Christliche Gefangenenseelsorger vereint gegen Extremismus
Die Kirchen in Ost- und Westeuropa wollen künftig verstärkt dem Problem von Extremismus in Gefängnissen entgegenwirken. Immer häufiger versuchten radikale Islamisten Mithäftlinge in den Justizanstalten als Terroristen etwa für die IS-Miliz zu rekrutieren, sagte Bischof Irinarkh (Grezin), Vorsitzender der Synode-Abteilung für Gefangenenseelsorge des russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchats, am Mittwoch in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress in Wien. In einer bestehenden Kooperation von Seelsorgern aus Österreich und mehreren osteuropäischen Ländern liegt der Fokus derzeit besonders bei diesem Thema.
Bischof Irinarkh nahm in den vergangenen Tagen an einem Gefangenenseelsorge-Treffen mit den zuständigen Bischöfen und Erzpriestern aus Russland, Ukraine, Weißrussland, Moldawien und dem römisch-katholischen Wiener Weihbischof Franz Scharl teil. Der von der Erzdiözese Wien angeregte Austausch besteht seit 2014. Bei regelmäßigen Treffen, an denen sich auch Strafvollzugs-Experten aus den Justizministerien der Länder beteiligen, werden Erfahrungen aus der Arbeitspraxis ausgetauscht, um die Seelsorge weiter zu entwickeln.
Erstmals nach dem Kaukasus-Konflikten der 1990er-Jahre seien durch den Syrienkrieg und das Erstarken der Terrorgruppe IS die Radikalisierung in den Gefängnissen wieder zu einem "akuten Problem" geworden, erklärte Bischof Irinarkh. Anhänger des IS suchten in Gefängnissen nach Unterstützern und rekrutierten dabei auch Christen, so seine Warnung. Zwar sei für Terrorismus die Strafverfolgung zuständig, doch erkenne der Staat zunehmend, dass ein Gegenwirken die Zusammenarbeit mit der christlichen wie auch muslimischen Gefängnisseelsorge unbedingt erfordere.
Eine Generallösung gegen Radikalisierung gebe es derzeit weder in Russland noch in Westeuropa, betonte der Bischof. "Der einzig mögliche Weg ist jedoch die Prävention - bei der wir alle voneinander lernen können." Soziale Vorbeugung, Wertebildung, Kurse zur Identifikation von besonders gefährdeten Häftlingen und die besondere Förderung junger Häftlinge gehören zu den Maßnahmen, die die katholisch-orthodoxe Kooperation bis zu ihrem nächsten Treffen im April 2017 - dann im russischen Nischnij Nowgorod - weiterentwickeln will.
Eine Woche beten für Gefangene
Seit den 1990er-Jahren sind in den russischen Justizanstalten 528 Kirchen und 400 Gebetsräume errichtet worden, bilanzierte Bischof Irinarkh. Allein für die in Moskau stationierten Gefangenen in U-Haft gebe es 80 russisch-orthodoxe Seelsorger, landesweit seien es 1.200 - hinzu kommen Seelsorger der Muslime sowie von Katholiken, Protestanten und anderen christlichen Konfessionen.
Besondere Aufmerksamkeit unter den österreichischen Teilnehmern der Wiener Gefangenenseelsorge-Konferenz fand u.a. eine jährliche Gebetswoche für die Menschen im Strafvollzug, die am kommenden Samstag in Moskau, Kiew und Minsk startet. Die orthodoxen Geistlichen und Gläubigen sind dabei angehalten, jeden Tag für eine bestimmte Gruppe - Gefangene, deren Angehörige, Opfer von Straftaten, Justizbeamte und Seelsorger - sowie auch für die Gerechtigkeit allgemein zu beten.
Darüber hinaus gibt es zum Fest des Gefangenen-Patrons Nikolaus, der im Kalender der Ostkirche am 19. Dezember gefeiert wird, einen "Gnadentag", an dem der Moskauer Patriarch Kyrill I. zu Gebet und Spenden für die Gefangenen aufruft. "Mit den Spenden können wir die Seelsorge im darauf folgenden Jahr bestreiten - und sind somit ein Stück unabhängiger von den Diözesen", erklärte Bischof Irinarkh. Weitere Schwerpunkte im Jahr sind eine Geschenkaktion für Gefangene aller Konfessionen zu Weihnachten und Ostern, sowie ein Weihnachtsfest für die Familien der Gefangenen und die Strafvollzugsbeamten in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale.
Havanna ein "einzigartiges Ereignis"
Das bisher dritte Treffen der Zuständigen für die Gefangenenseelsorge in Wien stand nach der erstmaligen Begegnung von Papst Franziskus und dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. im vergangenen Februar auf Kuba unter neuen Vorzeichen. Im Kathpress-Gespräch bezeichnete Bischof Irinarkh die Begegnung von Papst und Patriarch als "einzigartiges Ereignis", das zeige, "dass sich alles ändert". Katholiken und Orthodoxe seien nach Havanna "Brüder, die sich zueinander sogar am nächsten stehen, da die Lehre beider Kirchen auf dem Evangelium beruht". Die Zusammenarbeit sei angesichts der Säkularisierung und der Christenverfolgung im Nahen Osten ein Gebot der Stunde.
Quelle: kathpress