"Wir sitzen beide im gleichen Boot"
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche sind in Ostdeutschland nur eine kleine Minderheit. So haben beide Kirchen die enge Zusammenarbeit bitter nötig und deshalb ist es auch beiden Seiten ein Anliegen, das 2017 anstehende 500-Jahr-Reformationsjubiläum ökumenisch zu begehen. Das ist der Tenor zahlreicher Gespräche, die die beiden österreichischen Bischöfe Manfred Scheuer und Michael Bünker bei ihrem aktuellen Besuch in Ostdeutschland geführt haben. Bünker und Scheuer sind bei ihrem Lokalaugenschein im Vorfeld des Reformationsjubiläums u.a. mit der lutherischen Reformationsbotschafterin Margot Käßmann, dem Magdeburger katholischen Bischof Gerhard Feige und der ostdeutschen evangelischen Landesbischöfin Ilse Junkermann zusammengetroffen.
In Ostdeutschland liegt der Anteil aller christlichen Konfessionen je nach Region zwischen 7 und 15 Prozent. In der Lutherstadt Wittenberg sind es gar nur 12 Prozent (9 Prozent evangelisch, drei Prozent katholisch) und in manchen Gegenden sind es noch viel weniger. So macht etwa in Martin Luthers Geburtsort Eisleben der Anteil der Evangelischen 5 Prozent und jener der Katholiken gar nur 3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Diesen Christen steht eine überwältigende Mehrheit der Konfessionslosen gegenüber.
"Aber auch nur wenige Christen können Salz der Erde sein", zeigte sich Reformationsbotschafterin Käßmann überzeugt. Wer sich in Ostdeutschland zum Christentum bekennt, der lebe seinen Glauben in der Regel wesentlich intensiver als in Ländern mit großen christlichen Mehrheiten. In Ostdeutschland wachse bereits die vierte Generation ohne Gott heran. Das könne freilich auch insofern eine Chance sein, dass man es nicht mit Menschen zu tun habe, die sich von der Kirche abwendeten, sondern die völlig unvoreingenommen auch ein gewisses Interesse am Christentum zeigten, so Käßmann.
Für Landesbischöfin Isle Junkermnn darf die geringe Zahl an Christen - und die Zahlen gehen weiter zurück - keine Ausrede dafür sein, sich einzuigeln und abzuschotten. Die Kirchen müssten vielmehr ihre Türen offenhalten und mit niederschwelligen Angeboten auf die Menschen zugehen. In vielen Dörfern auf dem Land seien die Kirchen schon jetzt die einzige Institution, die noch öffentlich Aktivitäten setzt, und seien es nur kulturelle wie die Veranstaltung von Kirchenkonzerten.
Solidarität in der Bevölkerung schwindet
Die katholische Diözese Magdeburg ist mit 23.000 Quadratkilometern die viertgrößte katholische Diözese Deutschlands, mit nur 84.000 Katholiken zugleich - gemessen an der Katholikenzahl - die zweitkleinste. "Nur drei Prozent der Bevölkerung hier sind katholisch", berichtete Bischof Feige. Rund 15 Prozent sind evangelisch. Macht mehr als 80 Prozent Konfessionslose. Eine immense Herausforderung für beide Kirchen, sagt Feige. Zusammenarbeit, sprich "Ökumene", wird deshalb groß geschrieben. "Wir setzen gemeinsam Aktivitäten, etwa gegen Fremdenfeindlichkeit oder zum Schutz des Sonntags", erzählte der Bischof. Freilich sei es nicht einfach, sich in einer derart säkularisierten Gesellschaft Gehör zu verschaffen. "Wir sitzen beide im gleichen Boot", räumt Feige freimütig ein.
Sorgen bereiten dem katholischen Bischof die demografische Entwicklung in seiner Diözese - "Immer mehr Menschen wandern ab" - und das gesellschaftliche Klima: "Die Solidarität in der Bevölkerung schwindet immer mehr." Der jüngste Wahlerfolg der rechtspopulistischen AfD in Sachsen-Anhalt wie auch in vielen anderen Teilen Deutschlands sei ein vielschichtiges Phänomen. Hinter der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit stecke wohl aber vor allem auch ein dramatisches soziales Problem. "Die Armut ist inzwischen mitten in der Gesellschaft angekommen", so Bischof Feige. Immer mehr Menschen seien verbittert, verärgert und hätten Zukunftsängste. Die Flüchtlinge seien in vielen Fällen nur mehr ein Katalysator, der diese Ängste in Aggressionen ummünze.
Margot Käßmann wies darauf hin, dass die ostdeutsche Gesellschaft über Jahrzehnte abgeschottet gelebt habe. Begegnungen mit Gastarbeitern, wie im Westen üblich, seien erst gar nicht möglich gewesen. Zum anderen gebe es gerade im Osten so wenige Migranten, "und das, was man nicht kennt, vor dem hat man die größte Angst". So gebe es beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern bei nur zwei Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Eine wesentliche Aufgabe für die Kirchen sieht die Reformationsbotschafterin deshalb auch darin, Begegnungsräume und -möglichkeiten für Einheimische und Migranten bzw. Flüchtlinge zu schaffen.
"Christusfest" 2017
Wer in gesellschaftlichen Fragen so aufeinander angewiesen ist, der rückt auch in innerkirchlichen Fragen enger zueinander: Seit Jahren nützen beispielsweise die Katholiken immer wieder den evangelischen Dom in Magdeburg für ihre Gottesdienste, und die Evangelischen weichen in den katholischen Dom aus, wenn ihre Kathedrale gerade renoviert wird. Dass auch das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam begangen wird, ist naturgemäß keine Frage, "schließlich geht es ja auch nicht um irgendwelche Luther-Festspiele oder protestantische Selbstbeweihräucherungen, sondern um ein Christusfest", unterstrich Bischof Feige. Das sei letztlich auch das zentrale Anliegen Martin Luthers gewesen: neu auf Christus hinzuweisen.
"Für beide Seiten, Protestanten wie Katholiken, gibt es Gründe, das Reformationsjubiläum zu feiern und zu trauern", so Bischof Feige wörtlich. Beide Seiten hätten sich in der Vergangenheit auch viel angetan. Er wolle der evangelischen Kirche keine Vorgaben machen, wie sie das Jubiläum feiert, er freue sich jedenfalls aber über viele gemeinsame Aktivitäten. Feige verwies in diesem Zusammenhang auf eine im Oktober geplante gemeinsame Israelreise von Vertretern der Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie einen besonderen evangelisch-katholischen Versöhnungsgottesdienst im kommenden März in Hildesheim. Wir brauchen alle gemeinsam die "Heilung der Erinnerung", so Bischof Feige dazu wörtlich.
Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf ein gemeinsames Dokument der Deutschen Bischofskonferenz und der EKD mit dem Titel: "Erinnerung heilen - Jesus Christus bezeugen". Das laut Bischof Feige bahnbrechende und noch vor wenigen Jahren so nicht möglich gewesene Dokument war im Vorfeld des Reformationsjubiläums erarbeitet worden. Es räume mit zahlreichen gegenseitigen Vorurteilen und Vorbehalten auf und eröffne neue Perspektiven für die Zukunft, so der Bischof.
Für Käßmann muss das Reformationsjubiläum international und ökumenisch begangen werden. Und es solle u.a. auch ein deutliches Zeichen gegen Fremdenfeindlicheit gesetzt werden. Wer rassistische Ideologien verbreitet oder der Gewalt das Wort redet, werde sicher zu keiner Veranstaltung im Rahmen des Jubiläums eingeladen, betonte Käßmann auf Anfrage, wie es die Kirchen mit der Bewegung Pegida oder der Partei AfD hielten. Käßmann und Bischof Feige unisono: "Organisationen wie Pegida verteidigen sicher nicht das christliche Abendland."
Weitere Themen, die im Rahmen des Jubiläumsjahres im Vordergrund stehen müssen, sind laut Käßman die Frage der Bildung oder der Dialog mit den Muslimen. Auch Luthers Antisemitismus bedürfe noch einer weiteren gründlichen Aufarbeitung. Und im Übrigen gehe es natürlich auch nicht nur um Martin Luther. Auch andere große Reformatoren wie Johannes Calvin oder Huldrych Zwingli müssten gebührend Berücksichtigung finden. 2017 sollte daher auch nur ein Symboldatum und Startschuss für einen Prozess sein, der dann von anderen reformatorischen Kirchen in den kommenden Jahren weitergeführt werden soll, so Käßmann.
Allein in Wittenberg stehen 2017 unzählige Veranstaltungen auf dem Programm. Highlights sind die "Weltausstellung Reformation" von 20. Mai bis 10. September und ein großes Festwochenende am 27./28. Mai einem Begegnungsfest, einem nächtlichen Taize-Gebet und einem großen Festgottesdienst, zu dem die Veranstalter mindestens 200.000 Teilnehmer erwarten.
Quelle: kathpress