In Diskurs um Glaube und Vernunft aus Geschichte lernen
Für einen genauen Blick auf die Erfahrungen aus der Epoche der europäischen Aufklärung im Diskurs über die Religion plädiert der lutherische Bischof Michael Bünker. Man erlebe heute "wie Religion und Bildung auseinandertreten" sowie die "Tyrannei einer verzweckten, instrumentalisierten Religion", sagte Bünker am Dienstag beim "Europäischen Forum Alpbach". In dieser Situation könne man "aus dem vielschichtigen Erbe der Auseinandersetzung des Glaubens mit der Vernunft und der Religion mit der Aufklärung so manche Einsichten für die Gegenwart und wohl auch Anregungen für unser Verständnis von Religion heute gewinnen".
Der lutherische Bischof hielt in Alpbach zwei "Morgenbetrachtungen" im religiösen Begleitprogramm des internationalen Kongresses, der heuer unter dem Generalthema "Neue Aufklärung" stattfindet. Über Lessings positives Urteil zur Vielfalt von Religionen in der "Ringparabel" und den von Immanuel Kant vertretenen "Primat der Vernunft über den Glauben", der zugleich den Startschuss einer historisch-kritischen Bibelwissenschaft darstellte, führte Bünker in seinem historischen Aufriss hin zu den Christenverfolgungen während der Französischen Revolution und dem letztlich gescheiterten Versuch der Etablierung einer "Vernunftreligion".
Nach der folgenden Napoleonischen Zeit sei das Verhältnis von Staat und Kirche völlig neu geordnet worden. "Die Aufklärung galt fortan in Europa als religionsfeindlich und kirchenkritisch", erinnerte Bünker. Anders als in den USA, wo die revolutionäre Erhebung ebenfalls zu einem aufgeklärten Staatswesen geführt habe, das aber der Religion einen anderen Platz zuwies und durchaus positiv mit ihr verbunden war, sei in Europa damit der "Keim der Entchristianisierung, Säkularisierung gelegt" worden.
Bünker schloss mit dem Hinweis auf die Werke des evangelischen Theologen Friedrich Schleiermacher (1768-1834). "Religion gehört für ihn zum Menschsein dazu, sie ist immer und bei allen vorhanden, wenn auch verschüttet", schilderte der lutherische Bischof Schleiermachers Abgrenzung etwa zu Kant, für den Religion nur als Mittel zum Zweck der Moral Bedeutung behalten habe. Schleiermacher hingegen hätte - durch aus viel kritisiert, wie Bünker hinwies - auf die religiöse Prägung des Menschen verwiesen und das daraus entstehende Drängen des Glauben auf Gemeinschaft durch die Kirche.
"Neue Aufklärung"
Mehr als 700 Referenten und an die 5.000 Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur diskutieren beim Forum Alpbach bis Anfang September u.a. Fragen zur Zukunft der EU und Menschenrechtsthemen. Thema ist dabei auch der Beitrag der Religion zu jenen "konstruktiven Wege für das 21. Jahrhundert", die die Veranstalter aufzeigen wollen. Im Rahmen der "Hochschulgespräche" spricht etwa am Mittwoch ein prominent besetztes Podium - u.a. mit dem Salzburger Universitätsrektor und Theologen Heinrich Schmidinger und Kultusamt-Leiter Oliver Henhapel über das "Spannungsverhältnis von Universitätsautonomie und Theologien".
Die "interreligiösen Morgenbetrachtungen" der Pfarre Alpbach eröffnen traditionell das tägliche Vortrags- und Seminarprogramm des Kongresses. In den kommenden Tagen werden dabei u.a. auch die katholischen Bischöfe Franz Lackner (Salzburg) und Alois Schwarz (Gurk-Klagenfurt) sprechen. An den Morgenbetrachtungen wirken zahlreiche weitere Religionsvertreter, unter ihnen auch ein Rabbiner und ein Imam, mit.
Bereits am vergangenen Sonntag hatte der Trentiner Altbischof Luigi Bressan den Gottesdienst beim traditionellen "Tiroltag" am offiziellen Eröffnungswochenende des Forums gehalten. Im Beisein der Landeshauptleute von Tirol, Südtirol und Trient - Günther Platter, Arno Kompatscher und Ugo Rossi - sowie von Alt-Bundespräsident Heinz Fischer segnete Bressan im Anschluss auch das neue, erweitere Konferenzzentrum.
Quelle: kathpress