Wiens größte Armut ist die Sucht
Während in Österreich materielle Armut eher eine geringe Rolle spiele, sei die Alkohol- und Drogensucht hierzulande ein weit größeres Problem: Darauf weist die Oberin der am Wiener Mariahilfer Gürtel gelegenen einzigen österreichischen Niederlassung der "Missionarinnen der Nächstenliebe", Schwester Maria Tomislava Jukcic, hin. Der von Mutter Teresa von Kalkutta (1919-1997) gegründete Orden verfolge bis heute das Ziel, Jesus in den Armen zu sehen, schildert die Ordensfrau im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress aus Anlass der bevorstehenden Heiligsprechung Mutter Teresas am 4. September.
"Wenn man frühmorgens rund um unser Haus durch die Straßen geht, ist man mit so vielen Drogen konfrontiert. Es ist traurig, eine Tragödie, dass viele junge Menschen, die Gottes Schöpfung sind und ihrem Leben so viel tun könnten, durch die Sucht ihr Leben zerstören", sagt Sr. Tomislava. Auch die zahlreichen Bordelle am Gürtel sehe sie selbst als Teil des Elends der Bundeshauptstadt.
Mit Drogen und Alkohol, Obdachlosigkeit und anderen Formen der Armut sind die derzeit fünf in Wien stationierten Missionarinnen der Nächstenliebe tagtäglich konfrontiert: Die Schwestern mit ihrem weißen Sari und blauen Streifen betreiben eine Suppenküche, die jeweils um 15 Uhr rund 150 Menschen mit einem warmen Mittagessen versorgt. Dazu bieten sie in einem Stockwerk ihres Hauses Übergangswohnungen für Frauen und Mütter in Notsituationen und machen Hausbesuche bei Einsamen, Kranken und jungen Familien.
Nur lose ist bei diesen Tätigkeiten die Kooperation mit anderen Wiener Sozialeinrichtungen, wobei der meiste Kontakt zu Streetworkern besteht. "Sie sind unsere Freunde. Es ist sehr schön, wie sie sich in ihren roten Jacken um die Menschen kümmern. Manchmal brauchen wir ihre Hilfe, manchmal sie die unsere. Sie rufen etwa an, wenn junge Menschen in Notsituationen keine Bleibe über die Nacht haben. Bei uns kam man sich duschen und erhält Kleidung", berichtet Sr. Tomislava.
Keine Angst vor Terror
Immer am Donnerstag bleibt die Suppenküche geschlossen, da die Schwestern an diesem Tag den Hausputz erledigen und sich in ihrem Kloster eine Etage höher zum Einkehrtag treffen. Auch alle Morgen- und Abendstunden verbringen sie gemeinsam mit Gebeten, Mahlzeiten und dem täglichen Gottesdienst in der eigenen Kapelle, in der nahegelegenen Kalasantinerkirche oder in der Pfarre Reindorf. Wegen der internationalen Zusammensetzung der Häuser - Sr. Tomislava stammt aus Kroatien, ihre Mitschwestern aus Polen, der Schweiz und Indien - spricht man im Kloster Englisch, lernt gleichzeitig aber auch Deutsch.
Alle paar Jahre wechseln die Missionarinnen der Nächstenliebe, deren Durchschnittsalter Sr. Tomislava auf 40 Jahre schätzt, das Land. Alle Missionen sind an sozialen Brennpunkten angesiedelt, etliche auch in Krisengebieten, wie die Ermordung von vier Ordensfrauen im jemenitischen Aden kürzlich drastisch vor Augen führte. "Würde ich in den Jemen gesendet, so wäre ich bereit dazu und würde natürlich hingehen", so die Wiener Hausoberin. Angst vor Krieg und Terrorgefahr sei fehl am Platz, denn "kein Ort ist gefährlich, da es überall Gottes Menschen gibt und da er uns schützt. Wenn Gott von uns das Martyrium will, kann das ebenso hier in Wien sein."
Enge Beziehung zur "Mutter"
Sr. Tomislava Jukcic kannte Mutter Teresa - fällt ihr Name, ist es einfach die "Mutter" - persönlich aus zahlreichen Begegnungen. "Sie bedeutete viel für mich. Ich traf sie zum ersten Mal 1979, als ich noch ein Mädchen war und sie in meine Pfarre in Kroatien kam. "Schon damals wusste ich, dass sie eine Heilige war. 1982 trat ich dann in den Orden ein." Während der Ausbildungsjahre in Rom sei Mutter Teresa oft präsent gewesen. "Sie aß mit uns, sprach oft zu und mit uns, kannte uns und war eine von uns, die genauso wie alle die Teller wusch. Mutter war unsere Mutter - wir hatten eine enge Beziehung zu ihr."
Außergewöhnlich sei vor allem Mutter Teresas Art zu sprechen gewesen, erinnert sich Sr. Tomislava. "Wie sie über Jesus sprach, war so überzeugend. Nicht auf intellektueller Ebene, sondern man spürte, dass sie ihn gut kannte, ihn liebte und dass er für sie gegenwärtig war. Da hatte kein Zweifel Platz." Die Missionarinnen der Nächstenliebe sollten mit Jesus "wie Mann und Frau mit Jesus zusammenleben - wobei sie ihre Hände ganz eng zusammenlegte, um es zu verdeutlichen". Zum Einsatz gekommen seien ihre runzeligen Hände auch, wenn sie von Schwestern in Problemen oder Streitigkeiten aufgesucht wurde. "Sie legte dir dann ihre Händen auf die Wangen, blickte in die Augen und sagte: Schwester, bist du glücklich?"
Leben ohne E-Card
Auch 19 Jahre nach ihrem Tod sei Mutter Teresas Auftrag im Orden weiterhin aktuell. Dass man künftig eine derart strahlende Heilige als Gründerin besitze, sei keine Überforderung. "Wir wollen nicht selbst zu lauter Mutter Teresas werden, versuchen aber, in ihren Fußspuren Jesus zu folgen", so Sr. Tomislava.
Dazu gehört auch das Leben in Einfachheit, auch wenn man, wie die Ordensfrau betonte, heute materiell besser aufgestellt sei als zur Gründungszeit. "Wir wollen keinen Komfort, sondern wollen weiterhin von der Vorsehung Gottes leben und Jesus darin folgen. Das soll sich nicht ändern", betont Sr. Tomislava. Nicht nur auf Annehmlichkeiten wird daher verzichtet, sondern im Regelfall auch etwa auf die Krankenversicherung - "denn auch Krankheit ist Vorsehung", wie die Ordensfrau betonte. Im Fall des Falles sei man auf helfende Menschen angewiesen, immer wieder auch auf das Wiener Spital der Barmherzigen Brüder, das auch ohne E-Card behandelt. Sr. Tomislava: "Gott sorgt für uns."
Oft gelte es zudem, mit den verfügbaren Sachspenden zu improvisieren. Da es jedoch in Wien viele großzügige Menschen gebe, gelinge es, den Obdachlosen in der Suppenküche stets ein "gutes Essen" zuzubereiten. Auch die freiwilligen Helfer rechnet die Ordensfrau der "Vorsehung" zu. "Wir haben keine fixen Volontäre, und die die helfen, stammen aus aller Welt. Auch von den Armen kommen viele und helfen uns, oft als Zeichen des Dankes. Viele haben Probleme im Leben wie Alkohol oder Drogen, sie sind jedoch zu wunderbaren Dingen fähig, wenn sie nur die Gelegenheit haben, diese zu tun."
Bibel vor dem Essen
70 Plätze bietet die direkt bei der U-Bahn-Station Gumpendorfer Straße gelegene Suppenküche des Ordens. Um die weitaus höhere tägliche Nachfrage zu decken, wird stets in zwei oder mehr Durchgängen serviert. Im Unterschied zu anderen Häusern wird vor dem Essen ein Tischgebet gesprochen, dazu das Tagesevangelium und ein Marienlied. Man wolle "nicht nur mit dem Essen, sondern auch das Wort Gottes nähren", erläutert Sr. Tomislava die "spirituelle Dimension des Apostolats".
Die Gäste der Ausspeisung gehörten oft anderen Konfessionen oder Religionen an, würden das Gebet jedoch respektieren. "Die meisten reagieren sehr positiv." Man wolle die Menschen nicht katholisch machen, sondern ihr Problem sehen und auf sie eingehen, so die Wiener Hausoberin. Ziel des Ordens sei es, die Welt mit Jesus bekannt zu machen. "Das ist unsere Botschaft, dass wir jedem sagen: Jesus liebt dich, wer auch immer du bist. Was wir selbst dazu beitragen können, sind nur kleine Dinge, keine großen. Aber es kommt darauf an, dass die Menschen wissen, dass sie geliebte Kinder Gottes sind."
Heiligsprechungsfest für Arme
Keine der in Wien stationierten Missionarinnen der Nächstenliebe wird zu den Heiligsprechungs-Feierlichkeiten am 4. September nach Rom fahren. "Im Orden haben wir entschieden, dass aus jeder Region nur zwei Schwestern fahren, und zu unserer Region gehören neben Österreich auch Deutschland, Kroatien, Bosnien, Slowenien, Belgien, Holland, Schweden und Dänemark", so Sr. Tomislava. Da der Orden auch in Rom Häuser hat, werden dennoch viele seiner Mitglieder am Petersplatz erwartet - "es kommen sicher 700", so die Oberin.
Gebührend gefeiert wird die Kanonisierung der Ordensgründerin dennoch auch in Wien: "Wir werden einen Fernseher ausborgen, ein besonders gutes Essen für die Gäste unserer Suppenküche zubereiten und mit ihnen die Feier ansehen", kündigt Sr. Tomislava an. Mutter Teresa sei den Besuchern der Einrichtung ein Begriff, doch aufgrund der Sprachprobleme - die meisten stammen aus dem Ausland - habe man die Heiligsprechung bislang nicht bekanntgegeben. "Wenn wir sie einladen, werden sie jedoch kommen."
Quelle: kathpress