Mutter Teresa war "Mutter im wahrsten Sinn"
Mutter Teresa strahlte eine starke Mütterlichkeit aus, die auf andere Menschen anziehend wirkte: Das ist nach Ansicht des österreichischen Priesters und früheren Reisebegleiters der "Mutter der Armen", Leo Maasburg, ein Grundstein für die enorme Popularität der Ordensgründerin, die am 4. September heiliggesprochen wird. "Ich habe mich oft gefragt, warum rennen ihr die Leute nach und wollen ihr die Hand schütteln", so der langjährige Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich in einem Kathpress-Interview zur bevorstehenden Heiligsprechung. Mutter Teresa habe "allen das gegeben, wonach sich jeder sehnt: Akzeptanz, bedingungslose Annahme und Geborgenheit".
Maasburg hofft, dass bei der Heiligsprechung der Name "Mutter Teresa" - und nicht ihr bürgerlicher Name Agnes Gonxha Bojaxhiu - in den Kirchenkalender Eingang findet.
Erst der Glaubenskontext mache die Botschaft Mutter Teresas vollständig - wer sie nur als Sozialarbeiterin sehe, verkenne sie daher, betont Maasburg, der die Gründerin der "Missionarinnen der Nächstenliebe" in den 1980er-Jahren auf zahlreichen Reisen in aller Welt begleitet hat: Die Heilige von Kalkutta habe "in jedem Menschen ein geliebtes Kind Gottes gesehen" und selbst in Massenansammlungen mit ihrem Gegenüber so gesprochen, als wäre sie nur für diese Person da. "Sie hörte zu und sagte dann etwas sehr Wertvolles, das bei vielen das ganze Leben geändert hat." Ihr Umgang mit anderen sei "total normal" gewesen, zudem habe sie kleine Dinge stets mit großer Liebe getan. "Sie war eine Heilige im Detail. Erst dadurch hat sie so Großes wirken können", ist der Priester überzeugt.
"Sehr managertalentiert" sei Mutter Teresa gewesen, so Maasburg weiter: Intuitiv habe sie stets Probleme direkt angesprochen, Kontakte und Unterstützerkreise an ihren Besuchsorten aufgebaut und gepflegt, Ratschläge eingeholt, transparent gehandelt und Entscheidungen persönlich verantwortet. Ihr Arbeitsrhythmus sei noch im hohen Alter stark überfordernd gewesen. "Über 35 Jahre lang wechselte sie im Schnitt alle 2,6 Tage Haus, Land oder Kontinent." Wöchentlich habe die Ordensgründerin zudem trotz ihrer Athrose 160 Grußkarten oder Briefe geschrieben.
Arbeitete sie einmal nicht, habe Mutter Teresa den Rosenkranz in den Händen gehabt und ihn gebetet, in anderen Momenten sei sie meditierend vor einer kleinen Weltkarte verharrt oder in einem Büchlein vermerkte Daten zu den Ordensniederlassungen studiert. Manchmal sei sie auch lange Zeit regungslos mit dem Gesicht in den Händen versunken dagesessen, erinnert sich Maasburg. Einmal wurde der Priester Zeuge davon, wie Mutter Teresa dabei von einem Journalisten unterbrochen wurde. "Sie schaute auf mit einem Lächeln, als gäbe es für sie keine freudigere Abwechslung, sprach drei Minuten mit dem Mann, und als das Gespräch beendet war, fiel sie sofort wieder zurück in diese intensive Stille, als hätte es überhaupt keine Störung gegeben."
Dolmetscher, Kofferträger und Priester
Maasburg lernte Mutter Teresa 1981 kennen. Der damals neu geweihte Priester war in Rom Mitarbeiter des tschechoslowakischen Exilbischofs Paul Hnilica (1921-2006), der einst von Papst Paul VI. damit beauftragt worden war, Mutter Teresa in Rom zu unterstützen. Da der Bischof jedoch selbst kein Englisch sprach, sollte Maasburg dolmetschen. "Nach dem ersten Übersetzungsgespräch hat Mutter Teresa gefragt: 'Father, haben Sie ein Auto?' Ich bejahte, und hatte somit bereits den ersten Job bei ihr - zwei ihrer Schwestern, die Stunden zuvor auf Mission nach Argentinien gesandt worden waren, zum Flughafen zu chauffieren", erzählt der Priester, der seine Erlebnisse im kürzlich neu aufgelegten Buch "Mutter Teresa - die wunderbaren Geschichten" publiziert hat.
Aus dem ersten Kontakt, bei dem Maasburg der Ordensgründerin eigenen Angaben zufolge eher skeptisch gegenüberstand, entwickelte sich rasch ein Arbeitsverhältnis: "Bischof Hnilica hat mir die Erlaubnis gegeben, dass ich ihr zu 50 Prozent zur Verfügung stehen kann. - Sie dürfte das zweimal gehört haben", erinnert sich der in Graz geborene Geistliche mit einem Schmunzeln. Mehr als sechs Jahre lang sollte er in Folge Mutter Teresa in einer Zeit enormer Aufbautätigkeit ihres Ordens in alle Welt begleiten, bis sie 1987 gesundheitsbedingt das Reisen stark reduzierte. Für die Ordensgründerin war er dabei "Übersetzer, Kofferträger, Chauffeur und Priester, denn sie wollte jeden Tag eine Messe haben und auch auf Englisch beichten können".
Zeitgleich studierte Maasburg Missionswissenschaft in Rom. "Ich bin manchmal direkt von der Uni zum Flughafen gefahren, um mit ihr in ein Missionsland aufzubrechen, was dann die ergänzende praktische Ausbildung dazu war", berichtet der Geistliche. Von Mutter Teresa habe er u.a. die große Wertschätzung für jede Kultur und Religion, Vertrauen in die Vorsehung Gottes sowie ein neues Verständnis von Bekehrung gelernt. "Sie wollte vor allem den Menschen näher zu Gott bringen. Ihr Beitrag dazu war nur jener, den anderen zu lieben und ihm die Zärtlichkeit Gottes zu vermitteln. Die Liebe bekehrt dann selbst, wen sie will, sagte sie."
"Nacht der Seele" ein "tiefer Glaubensakt"
Als einziges Nicht-Mitglied der "Missionare der Nächstenliebe" war Maasburg dann auch Teil jener elfköpfigen Kommission, die in den Jahren 2002 und 2003 die Seligsprechung Mutter Teresas im Vatikan vorbereitete. Das Verfahren - es war das schnellste der neuzeitlichen Kirchengeschichte - musste im Eiltempo vollzogen werden, 80.000 Seiten galt es zu bearbeiten. "In den letzten Tagen haben wir fast nichts mehr gegessen und bis zu 17 Stunden am Tag gearbeitet, um rechtzeitig abliefern zu können", erinnert er sich.
Von Mutter Teresas jahrelangen Empfindungen der Gottferne und Verlassenheit, die erst im Zuge der Seligsprechung bekannt und 2007 publiziert wurden, habe er nichts bemerkt, so Maasburg. "Nur ihr Spiritual, der Bischof in Kalkutta und ein Priester wussten davon." Als einziges mögliches Indiz für die sogenannte "Dunkle Nacht der Seele" wertete er, "dass Mutter Teresa sehr ernst und gesetzt war, wenn sie alleine betete und sich unbeobachtet wähnte. Kam jemand dazu, hat sie plötzlich wieder gelächelt und wirkte fröhlich." Durch die "Dunkle Nacht der Seele" habe Mutter Teresa einen "tiefen Glaubensakt gesetzt", sei sie doch gerade "nicht von Wunder zu Wunder geführt worden"; vorgelebt habe sie, "wie man einen geraden Weg geht, auch wenn man nicht klar sieht, wohin es führt".
Seligsprechung berücksichtigte Kritiken
Im Seligsprechungsprozess seien auch alle bisher vorgebrachten Kritikpunkte an Mutter Teresa behandelt worden, hält Maasburg fest. Manche hatten ihr etwa vorgeworfen, sie würde ihre Bekanntheit und Macht nicht ausreichend politisch einsetzen. "Mutter Teresa hätte wohl Einfluss nehmen können, sah ihre Berufung aber nicht in der politischen Macht, sondern immer nur in der individuellen Betreuung der Ärmsten, von Person zu Person." Der Vorwurf, die Hygiene in den Armenhäusern Kalkuttas würden westeuropäischen Standards nicht entsprechen, ist für Maasburg angesichts der Rahmenbedingungen vor Ort indes nur eine "Folge von Ignoranz".
Teils sei die Kritik auch schlicht eine Glaubensfrage, besonders wenn es um den vehementen Einsatz für Lebensschutz gegangen sei. Bei jeder Gelegenheit habe Mutter Teresa die Abtreibung angeprangert, darunter auch bei der Nobelpreisrede 1979, wo sie von der "größten Gefahr für den Weltfrieden" sprach. Dennoch sei Mutter Teresa "keine militante, sondern eine liebende Abtreibungsgegnerin" gewesen: Betroffenen Frauen sei sie "nie verurteilend, sondern helfend und mit einer unbeschreiblichen Zärtlichkeit begegnet, im Bewusstsein, dass eine Frau zweimal tötet, wenn sie abtreibt: Das Kind und ihre eigene Seele. Diese Verwundung wieder zu heilen und neues Leben zu schenken, war ihr sehr wichtig."
Füße auf dem Boden
Laut Maasburg hat Mutter Teresa den Ruhm "nie gesucht und wo immer möglich umgangen, wenn er aber da war, dann akzeptiert". Alle Zuwendungen und Ehrungen habe die Ordensgründerin nie für sich selbst, sondern stets im Namen der Armen angenommen. "Orden und Auszeichnungen steckte sie in ihre Handtasche und leerte deren Inhalt nach der Rückkehr in Kalkutta stets in einen Karton auf ihrem Kasten mit der Aufschrift 'Awards'. Wenn die Schachtel voll war, brachte sie eine ihrer Schwestern in einen Spind im Keller." Stellte eine Auszeichnung irgendeinen bestimmten Wert dar, sei sie rasch verkauft worden zugunsten der Arbeit für die Benachteiligten.
Mit den Füßen am Boden geblieben sei die Nobelpreisträgerin einerseits dank ihres "außergewöhnlichen, stillen Humors", andererseits durch Demutsübungen. "Sie hat sich stets auf den letzten Platz gesetzt und stillschweigend andere vorgelassen", so Maasburg. Sehr plausibel erscheine ihm auch die Erzählung, wonach Mutter Teresa einmal am Flug zu einem Treffen mit US-Präsident Ronald Reagan eigenhändig alle Toiletten des Jumbo-Jets gereingt und dies auf Nachfrage einer Mitschwester als "Exorzismus" bezeichnet habe. "Sie übernahm in ihren Häusern immer die Toilettenreinigung, bezeichnete sich als Expertin darin. Wir haben es alle so verstanden, dass sie jeder Versuchung des Hochmuts eine Demutsübung entgegensetzen wollte."
Quelle: kathpress