"Theologischer Preis" an Jan und Aleida Assmann verliehen
Die deutschen Kulturwissenschaftler und Ägyptologen Jan und Aleida Assmann sind mit dem "Theologischen Preis" der "Salzburger Hochschulwochen" ausgezeichnet worden. Mit dem heuer zum elften Mal vergebenen Preis würdigen die "Hochschulwochen" das Lebenswerk des deutschen Forscherpaares im Blick auf dessen theologischen Ertrag. Überreicht wurde der Preis am Mittwochabend, 3. August, im Rahmen eines Festaktes an der Universität Salzburg.
Mit ihren Arbeiten zur Theorie und Geschichte des "kulturellen Gedächtnisses" würden die beiden Wissenschaftler einen wichtigen Beitrag auch zur "theologischen Theoriebildung" leisten, heißt es in der Begründung der Jury, aus der Hochschulwochen-Obmann Martin Dürnberger bei der Begrüßung zitierte. Eine Theologie, die das Bewusstsein für historische und kulturelle Zusammenhänge schärfen wolle, komme nicht umhin, "sich von diesen Arbeiten herauszufordern, zu informieren, zu inspirieren zu lassen", so die Jury. Bei aller Eigenständigkeit blieben ihre Arbeiten außerdem stets aufeinander verwiesen, begründete die Jury die Vergabe des Preises an das Forscher-Paar.
Das Preisgeld von 5.000 Euro wurde heuer vom Abt des Benediktinerstiftes Admont, Bruno Hubl, persönlich gestiftet. Im vergangenen Jahr war die Koranforscherin Angelika Neuwirth ausgezeichnet worden; weitere Preisträger sind u.a. Walter Kasper, Karl Lehmann, Johann Baptist Metz und José Casanova.
In seiner Laudatio würdigte der Schweizer Publizist Iso Camartin die Forscher als leidenschaftliche Wissenschaftler, die mit ihren Arbeiten gerade zum Wert der Erinnerung und zur Erinnerungskultur heutige Gesellschaften daran gemahnen würden, dass "Erinnerungen so etwas wie Waffenträger sind, die eine wichtige Ausrüstung für den Menschen von heute bedeuten". Leser könnten bei den Assmanns lernen, dass Vergangenes nicht schlicht in der Geschichte verschwindet, sondern immer wiederkehrt und deren "unerledigte Elemente auf unseren Abruf" und auf eine "Situierung in unserem gegenwärtigen Kontext" warten. Bei all dem würden sie in ihrer von Nüchternheit und Rechtschaffenheit geprägten Art dem Weberschen Ideal des Wissenschaftlers schlechthin entsprechen, so Camartin.
Aleida Assmann: Plädoyer für "Menschenpflichten"
In ihrer Dankesrede plädierte Aleida Assmann für eine Wiederentdeckung der Tradition der "Menschenpflichten" - einer Tradition, die rund 4.000 Jahre in der Kulturgeschichte zurückreicht und an die angesichts der aktuellen dramatischen gesellschaftlichen und politischen Ereignisse wieder angeknüpft werden sollte. So stelle die aktuellen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen Europa vor eine nie da gewesene Herausforderung, insofern sich die europäischen Gesellschaften als tief gespalten darstellten: "Ziviles Engagement und Hilfsbereitschaft hier, wütende Proteste und rigorose Ablehnung dort".
Die Flüchtlingsfrage sei somit zu einer "Gretchenfrage" für Europa geworden, die eine neue Antwort auf die Frage verlange, wie zivilisiertes Zusammenleben in Europa möglich sein könne. "Gefragt ist ein neuer Gesellschaftsvertrag", so Assmann, der allerdings nicht nur bei den Menschenrechten ansetzen dürfe, sondern auch die individuelle, persönliche Dimension persönlicher "Menschenpflichten" umfassen müsse. In ihrem Kern würden diese "Menschenpflichten" die "Goldene Regel" enthalten: "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu". Doch auch Tugenden wie die Fürsorge für Arme, Flüchtlinge, die Sorge um Witwen und Waisen, die Sorge um Kranke, Nackte und Gefangene zähle zu diesen Jahrtausende alten Pflichten.
Konkret sei es an der Zeit, so Assmann abschließend, an den 1997 unternommenen Versuch der Initiative des "InterAction Council" zu erinnern, eine "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" als Ergänzung zur Erklärung der Menschenrechte zu institutionalisieren. In 19 Artikeln hatten die prominenten Unterzeichner - darunter der verstorbene deutsche Altbundeskanzler Helmut Schmidt, aber auch der damalige österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky - versucht, die Grundlagen des Zusammenlebens neu zu ordnen. Assmann: "Dieser Versuch wurde in der UN schubladisiert - es ist an der Zeit, ihn wiederzuentdecken".
Jan Assmann: Blick auf Ägypten zeigt Relevanz der Menschenpflichten
Jan Assmann knüpfte an die Überlegungen seiner Frau an und arbeitete in seiner Dankesrede die ägyptischen Quellen dessen heraus, was man als "Menschenpflichten" bezeichnen könnte und was schließlich im Christentum im Gebot der Nächstenliebe kondensierte. "Was uns der Blick auf Ägypten lehren kann, ist die erstaunliche Konstanz humaner Tugenden - über alle Religionen und Gesellschaften hinweg: Menschenliebe, Gerechtigkeit, Duldsamkeit. Diese sind heute mehr denn je gefragt - und fanden ihre Entfaltung bereits im alten Ägypten", so Assmann.
Dabei erinnerte Assmann daran, dass diese Tugenden - wie auch die Menschenrechte, auf denen heutige westliche Gesellschaften fußen - "aus Kriegen und Katastrophen erwuchsen". Sich dieser Kriege und Katastrophen zu erinnern und der moralischen Imperative, die aus ihnen erwuchsen, würde dabei bedeuten, die "Waffen der memoria wieder zu entdecken, die heute mehr denn je gebraucht werden". Der biblische Monotheismus schärfe diese Waffen noch einmal dramatisch an, so Assmann, insofern er das Recht und die Moral konsequent "theologisiere": Indem alles Recht und alle Moral von Gott ausgehe, werde die Einhaltung der "Menschenpflichten" zu einem Akt unbedingten Gehorsams und zur "Herzensangelegenheit jedes einzelnen".
Biografische Notizen
Alaida Assmann wurde am 22. März 1947 als Tochter des Neutestamentlers Günther Bornkamm im nordrhein-westfälischen Bielefeld geboren. Sie studierte Anglistik und Ägyptologie in Heidelberg und Tübingen. Nach der Promotion 1977 im Fach Anglistik habilitierte sie sich 1992 in Heidelberg. Seit 1993 lehrte sie Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Es folgten mehrere Gastprofessuren, u.a. an den renommierten Universitäten von Princeton (2001), Yale (2002-2005) und 2005 an der Universität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in den Bereichen der Kulturanthropologie und den Wechselwirkungen von Erinnerung, Gedächtnis und Vergessen.
Ihr Ehemann, Jan Assmann, mit dem sie fünf Kinder hat, wurde am 7. Juli 1938 im niedersächsischen Langelsheim geboren. Assmann studierte Ägyptologie, Klassische Archäologie und Gräzistik in München, Heidelberg, Paris und Göttingen. Bis 1971 arbeitete er u.a. als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Deutschen Ägyptologischen Institut in Kairo. 1971 habilitierte er sich - es folgte ein Ruf auf den Lehrstuhl für Ägyptologie an der Universität Heidelberg, den er bis zu seiner Emeritierung 2003 inne hatte. Seither hat er eine Honorarprofessur für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz inne. Es folgten außerdem Gastprofessuren in Paris, Jerusalem und den USA.
Jan Assmann wurde vielfach ausgezeichnet - u.a. 1996 mit dem Max Planck Forschungspreis und 1998 mit dem Deutschen Historikerpreis. Außerdem wurde ihm 1998 ein Ehrendoktorrat der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster verliehen.
Für Aufsehen und Debatten sorgte u.a. sein Buch "Die Mosaische Unterscheidung. Oder: der Preis des Monotheismus", in dem er die "mosaische Unterscheidung" zwischen dem einen Gott und den falschen Göttern der ägyptischen Kosmologie als Initialzündung einer bis heute andauernden Konfliktgeschichte und als Quelle von Intoleranz, Gewalt, Hass und Ausgrenzung beschreibt. Notwendig sei daher eine Art Selbstrelativierung der monotheistischen Religionen, um ihr immanentes Gewaltpotenzial einzuhegen - was Assmann scharfe Kritik von theologischer Seite einbrachte. Zuletzt hatte Assmann 2012 bei einem Podiumsgespräch in Wien mit den Dogmatiker Jan-Heiner Tück diese These aufgegriffen und korrigiert: "Wenn es dem Weiterkommen der Debatte dient, dann nehme ich den Begriff der Relativierung zurück und spreche statt dessen von einem Perspektivenwechsel."
Quelle: kathpress