Willkommenskultur ist nicht naiv
Heftige Kritik an einem "Madigmachen" von Engagement für Flüchtlinge sowie an einer "Ironisierung von Willkommenskultur" hat der Wiener Theologe Paul Zulehner geäußert. Dass Christen, Orden, Pfarrgemeinde und Hilfswerke als naiv diskreditiert würden und sich für ihr Tun schon verteidigen müssten, sei untragbar. "Willkommenskultur ist nichts anderes als politisch ausformulierte Nächstenliebe", so der Pastoraltheologe am Samstag in einem Blogeintrag auf https://zulehner.wordpress.com. Nicht das Engagement vieler Menschen, sondern das "Desengagement der Politik" gelte es zu beklagen.
Immer häufiger würde die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und damit auch die gesellschaftliche Integration von Migranten unterwandert, wenn Medien die Nächstenliebe "journalistisch derart verkomplizieren, dass sie nicht mehr geübt werden muss", stellte Zulehner fest. So komme es, dass schon zwei Drittel jener Menschen, die gegen Schutzsuchende Abwehr und Ärger verspüren, es für möglich hielten, guter Christ zu sein ohne sich für Flüchtlinge zu engagieren.
Die Kirche könne jedoch gar nicht anders "als zunächst zu sagen: Wenn es nur einen Gott gibt, ist jeder und jede einer und eine von uns", betonte Zulehner. Nächstenliebe dürfe nicht von Gottesliebe getrennt und müsse auch politisch operationalisiert werden, denn: "Mystik gibt es nicht ohne Politik", so der Wiener Theologe. "Man kann sich an den Fremden und Obdachlosen vorbei nicht ins Heil retten, sagt Jesus unmissverständlich."
Lob für Merkel
Klare Unterstützung signalisierte Zulehner für Angela Merkel, die "keine Wendekanzlerin" sei und dazu stehe, dass bei entsprechendem Willen die historische Herausforderung der Gegenwart zu meistern sei. Wer hingegen behaupte, diese Aufgabe auf dem Boden von Recht und Humanität nicht lösen zu können, müsse abgewählt werden. "Es ist naiv, den Menschen im Land vorzugaukeln, es gebe eine gerechte und friedliche Zukunft der Welt, wenn wir uns als Oase des Reichtums in einer Wüste der Armut abschotten", mahnte der Theologe.
Flüchtlinge würden nicht wegen einer Willkommenskultur oder einer angeblichen Einladung durch Merkel im Mittelmeer ertrinken, betonte Zulehner. Sie seien vielmehr durch den Krieg aus der Heimat vertrieben worden und hätten keine legale Zugänge nach Europa wie etwa gefahrloses Resettlement. Außerdem stünden auch die Waffenlieferungen und fehlende Anstrengungen des Wiederaufbaus der Region nach Vorbild des "Marshall-Plans" hinter den "Verwerfungen" der Gegenwart.
Die Politik dürfte nach Einschätzung des Theologen für die Flüchtlingsdebatte manchmal dankbar sein, verdecke sie doch eigentliche sozialpolitische Probleme wie bezahlbaren Wohnraum und Arbeit, von der man leben kann. Zulehner: "Flüchtlinge decken die längst vorhandenen Engpässe auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt auf und verursachen diese nicht."
Kirchen-Schelte der "Furche"
Zulehner reagierte mit seiner Äußerung auf Rudolf Mitlöhner, der in der Wochenzeitung "Die Furche" (28. Juli) die christlichen Kirchen zu Selbstkritik aufgefordert hatte; sie sollten sich fragen, ob sie sich nicht "nicht aus falsch verstandener Nächstenliebe oder aus Naivität oder aus dem Bedürfnis, einmal auf der 'richtigen Seite' zu stehen, dem Vorschub geleistet haben, was als 'Willkommenskultur' für jene Verwerfungen mitverantwortlich war, mit denen wir jetzt konfrontiert sind", hatte der "Furche"-Chefredakteur geschrieben. Kirchen sollten sich wieder mehr auf Glaube, Riten, Tradition und Werte konzentrieren.
Quelle: kathpress