Schönborn erwartet von Islam-Vertretern Distanzierung
Viele erwarten zu Recht "klarere Stellungnahmen von islamischen Autoritäten" gegen Terrorakte, die im Namen der Religion verübt werden - auch er selbst: Das sagte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, am Montag in einem Interview der Tageszeitung "Der Standard". "Der Terror hat zurzeit ein islamisches Etikett - ob zu Recht oder nicht", die Gewaltakte der jüngeren Vergangenheit stammten von Muslimen, nicht von Christen, Ex-Christen oder Menschen anderer Religionen. Nach den Worten des Kardinals ist das "ein großes Problem für den Islam, mit dem er sich auseinandersetzen muss".
Schönborn räumte ein, dass es auch in der Bibel "sehr viel grausame Stellen" gebe, "die freilich christlich interpretiert anders gelesen werden müssen". Und auch dem Christentum sei "nicht zu Unrecht vorgeworfen" worden, dass es auf eine "schlimme Gewaltgeschichte" zurückblicke. Auf die Frage, ob das Christentum "das Gewaltkapitel aufgearbeitet" habe und sich nun distanziere, was beim Islam noch fehle, antwortete Schönborn: "Ja, das ist so."
Aber ehrlicherweise müsse er anführen, dass die christliche Distanzierung vom Antisemitismus, von den Gewaltexzessen der Religionskriege etc. noch nicht so alt sei. "Ohne den Schrecken des Holocaust hätte es wahrscheinlich nicht das klare Bekenntnis gegen den Antisemitismus gegeben", sagte der Kardinal.
Mit der Frage, inwieweit der Terrorismus innerislamische Wurzeln hat, müsse man vorsichtig umgehen. Es dürfe z.B. auch nicht vergessen werden, "dass die größte Zahl an Opfern des Terrors Muslime sind". Die "Kernfrage" angesichts von Schreckenstaten wie jener in Nizza sei für Schönborn, wie er sagte: "Warum wird jemand zum Terroristen? Wie kommt es, dass sich jemand in einen Lastwagen setzt und, alle inneren Grenzen überschreitend, einfach in die Menge fährt und Männer, Frauen und Kinder tötet? Woher kommt diese schwere Störung des Menschseins?" Religiöser Fanatismus sei sicher ein Teil der Antwort darauf, könne das aber nicht vollständig erklären. "Da gibt es eine Komponente des Wahnsinns."
Schönborn verwies auf die Erfahrung, wonach niemand zum Täter werde, der nicht vorher zum Opfer wurde. Unter all jenen Sicherheitsmaßnahmen, die einer Gesellschaft zur Terrorverhütung zur Verfügung stehen, sind nach der Überzeugung des Wiener Erzbischofs "die Liebe und die Güte, Barmherzigkeit und Vergebung die wichtigsten".
Asyl: "Sorge" durch Kulturdifferenz
Zum Thema Asylpolitik ließ Kardinal Schönborn mit der Aussage aufhorchen: "Ich muss mich da selbst ein wenig korrigieren." In manchen Stellungnahmen habe er an frühere Flüchtlingsströme etwa aus Ungarn oder der damaligen Tschechoslowakei erinnert. "Es gibt aber einen Unterschied", so Schönborn: "Diese Flüchtlinge waren alle Europäer, hatten ungefähr dieselbe Kultur, viele dieselbe Religion. Selbst die Integration der Bosnier, die vielfach Muslime waren, ist durch die kulturelle Gemeinsamkeit schneller gegangen. Jetzt haben wir es zu tun mit einer Zuwanderung aus dem Nahen Osten, aus Afrika, und da ist die kulturelle und religiöse Differenz sicher ein Faktor, der Sorge macht."
Dass es in Österreich nach einer Welle der Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen im Vorjahr nun auch viel Hass und Ablehnung gibt, erklärte Schönborn mit wachsenden Existenzängsten: Hierzulande gehe man Schritt für Schritt von einer sehr prosperierenden Gesellschaft in eine Gesellschaft hinein, in der es vielen Menschen deutlich weniger gut gehe. Heute könne ein Alleinverdienender - außer er sei Erbe oder Gutverdiener - unmöglich Frau und mehrere Kinder ernähren und zusätzlich noch für ein Haus ansparen, wie das vor 30 Jahren durchaus noch möglich gewesen sei. Dieser "Verlust an Realwert" schüre Unsicherheit und Zukunftsangst gerade bei der älteren Generation, die eine Zeit permanenter Wohlstandsvermehrung erlebt habe. "Nehmen Sie mich", so Schönborn wörtlich: "Ich bin aufgewachsen ohne Zentralheizung, ohne Kühlschrank, Klo am Gang etc. Ich habe erlebt, dass es jedes Jahr ein bisschen besser gegangen ist." Heute dagegen wachse eine Generation heran, "deren Zukunftsaussichten deutlich schlechter sind". Hier seien "Spannungen unausweichlich".
Die von Papst Franziskus beklagte "Globalisierung der Gleichgültigkeit" angesichts ertrinkender Flüchtlinge im Mittelmeer sehe er differenziert, wie Schönborn darlegte. Heute seien wir täglich mit Katastrophen-Meldungen aus der ganzen Welt konfrontiert: "300 Tote hier, 50 dort", das sei eine "Überforderung durch die Flut an Information". Solche Schreckensnachrichten würden nicht mit der gleichen Intensität wahrgenommen, wie wenn in unmittelbarer Nähe ein Kind überfahren werde. Das Heilmittel gegen Gleichgültigkeit ist nach den Worten Schönborns "die Aufmerksamkeit zu schauen, was vor meiner Haustüre geschieht. Dass nicht jemand drei Wochen unbeachtet tot in der Nachbarwohnung liegt."
Quelle: kathpress