Engagierte geraten unter Rechtfertigungsdruck
Wer Flüchtlingshilfe leistet, muss sich heute oft für sein Engagement rechtfertigen. Das hat die Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreich (kfbö), Veronika Pernsteiner, bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Frauen auf der Flucht" beklagt. Helfende in Pfarren und anderswo müssten sogar mit Anfeindungen rechnen, "wenn sie aus dem Evangelium leben und Flüchtlinge unterstützen". Pernsteiner ortet weiters eine zunehmende Verrohung der Sprache. "Wem bin ich Nächste? Wer ist mein Nächster?", müsse man sich fragen angesichts der schleichenden Radikalisierung in Sprache und Auftreten.
Die Diskussion um Wertekurse für Geflüchtete sieht die kfbö-Vorsitzende kritisch: "Vielmehr hilft es, Begegnungen zu schaffen und Menschen einzuladen." Pernsteiner - selbst in der Flüchtlingshilfe aktiv - schlug vor, dass beim traditionellen österreichweiten kfb-Benefizsuppenessen in der Fastenzeit Frauen mit Migrationshintergrund in den Pfarren Suppen aus ihrer Heimat zubereiten.
Zum Abschluss der einwöchigen Sommerstudientagung der Katholischen Frauenbewegung in Wieselburg diskutierte Pernsteiner in einer hochkarätigen Runde über "Frauen auf der Flucht". Auch der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner, Rainald Tippow, Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, und Fluchtexpertin Tirhas Habtu lobten dabei das große Engagement von Frauengruppen in den Pfarren für geflüchtete Menschen.
Angst ist Problem, nicht Flüchtlingszahl
"Viele hundert österreichische Pfarren" würden sich in der Flüchtlingsbetreuung engagieren, und diese Hilfe sei vor allem von Frauen getragen, teilte Flüchtlingskoordinator Tippow mit. Zahlenmäßig sei der Flüchtlingszustrom "völlig problemlos bewältigbar". Von den 65 Millionen Menschen auf Flucht weltweit seien weit über 90 Prozent Binnenflüchtlinge oder kämen in Nachbarländern unter. Europaweit kommen auf 1000 Einwohner nur zwei Flüchtlinge, relativierte Tippow den behaupteten "Notstand". Das Problem seien Verängstigung in der Bevölkerung und Streit in der Politik. Rationalität werde durch Emotionen überdeckt, bedauerte der Experte. Viel laste auf den Schultern der Zivilgesellschaft, verwies Tippow auf die vielen Deutschkurse, die Pfarren oder Klöster für Flüchtlinge organisieren.
Ein Vorurteil kritisiert er scharf: Geld sei kein Anreiz für Flüchtlinge, nach Österreich zu kommen. Asylwerbern stünden nur 200 Euro sowie 120 Euro fürs Wohnen zu.
Um die Flüchtlingskrise wirklich einzudämmen, braucht es nach der Überzeugung Tippows einen Marshall-Plan für Afrika; die jetzt aus den Krisengebieten in Nahost nach Europa Flüchtenden seien nur ein kleiner Teil dessen, was noch an Migration aus Afrika zu erwarten sei. Viele hätten aufgrund von fehlenden Perspektiven und Jobs in ihrer Heimat nichts zu verlieren.
Abgesehen von dieser notwendigen international koordinierten großen Hilfe könne jede und jeder hierzulande konkret helfen, betonte der Flüchtlingskoordinator: etwa, indem Menschen mit Asylstatus zum AMS begleitet werden. Die Teilnahme an den dortigen Beratungsgesprächen könne aufgrund von Zeitdruck und Sprachschwierigkeiten oft "kleine Wunder bewirken".
Es braucht auch politischen Einsatz
Nicht nur konkret zu helfen, wie das die Katholische Frauenbewegung tue, sondern auch sich politisch einzusetzen, ist für den Wiener Theologen Paul Zulehner ein Gebot der Stunde. Er lobte das politische Lobbying der kfbö etwa auf dem Gebiet der Mindestsicherung. Rund um die Flüchtlingsthematik würden archaische Existenzängste unter den "zu kurz Gekommenen" und von Abstieg Betroffenen auftreten. "Wie kann man Angst nehmen?" müsse in dieser Situation eine Leitfrage für Verantwortungsträger sein, forderte Zulehner. Österreich sei eines der reichsten Länder der Welt, niemand habe aufgrund der Flüchtlinge auch nur einen Cent weniger am Lohnzettel.
Flüchtlinge sollten nicht nur als Last, sondern auch als Chance wahrgenommen werden, weil sie Leistungen und auch Werte mitbringen, wies Zulehner hin. Sie könnten bei kluger Investition auch der Wirtschaft viel bringen.
Laut Fluchtexpertin Tirhas Habtu, die aufgrund ihrer Regierungskritik nicht mehr in ihre Heimat Eritrea zurückkehren kann, wollen entwurzelte, oft kriegstraumatisierte weibliche Flüchtlinge vorrangig Informationen über ihre Rechte und Pflichten sowie darüber, wie das Zusammenleben in Österreich funktioniert. Auf die Frage, ob man Angst vor einer Islamisierung aufgrund der Zuwanderung haben müsse, sagte sie: "Wenn Menschen ehrlich ihren Glauben leben und darin verwurzelt sind, dann brauchen sie sich nicht zu fürchten, wenn Flüchtlinge aus anderen Kulturen und Religionen kommen." Generell sei vielen Frauen ihr Glaube wichtig, sie würden gerne hier Kirchen aufsuchen.
Veronika Pernsteiner, Vorsitzende der größten Frauenorganisation des Landes, zog eine positive Bilanz über die einwöchige kfbö-Sommerstudientagung in Wieselburg. Neben hochkarätigen Vorträgen, Workshops und einem Ausflug zur Basilika Sonntagberg gab es für die Frauen aus allen Diözesen Österreichs und aus Südtirol viele Möglichkeiten zum Austausch und Begegnung im Hinblick auf das Jahresthema "Frauen.Leben.Stärken".
Quelle: kathpress