Bilanz über Reformschritte von Papst Franziskus
Die Reformation nicht als punktuelles 500 Jahre zurückliegendes Ereignis sondern als Entwicklungsprozess und als Anstoß für Gegenwart und Zukunft zu sehen, ist Thema der Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster. Experten beleuchten bis einschließlich Freitag die Reformation, ihre Anliegen und Impulse aus protestantischer und römisch-katholischer Sicht. Der Rektor der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz, Franz Gruber, beleuchtete dabei auch die Bemühungen von Papst Franziskus, die Kirche zu reformieren, und fand gewisse Parallelitäten zu Martin Luther.
Papst Franziskus sei gewählt worden, um die Kirche zu reformieren. Dabei habe er bereits zahlreiche persönliche Akzente gesetzt. Es gehe dem Papst in erster Linie nicht um eine Reform über Strukturen oder lehramtliche Entscheidungen, sondern er wolle die Herzen und Grundeinstellungen der Menschen erreichen und verändern, so Gruber. Theologisches Fundament aller Kirchenreformen sei für den Papst die Barmherzigkeit Gottes.
Als offenen Probleme der Kirche habe Franziskus sehr bald den Klerus bzw. auch die vatikanische Kurie in den Blick genommen. Seinen Kritik daran sei sehr ähnlich jener, die schon Martin Luther vor 500 Jahren geübt hatte, so Prof. Gruber.
Gruber ging unter anderem auch auf die ökumenischen Akzente von Papst Franziskus ein. Dieser setze scheinbar weniger auf die Theologie als vielmehr auf das gemeinsame christliche Zeugnis als Motor der Ökumene.
Die Kirche müsse vor allem die Wunden den Menschen heilen, die Seelsorge müsse mutig und kreativ, offen und expansiv auf die Menschen zugehen, so die Grundüberzeugung des Papstes, für den die Erneuerung der Kirche unaufschiebbar sei.
Zwar habe Franziskus bislang die mediale und atmosphärische Wahrnehmung der katholischen Kirche verändert, aber noch keine grundlegenden Strukturreformen durchgeführt, bilanzierte Gruber. Franziskus habe inzwischen selbst eingesehen, dass vor allem die Kurienreform ein enorm langwieriger Prozess sein werde. Nachsatz des Linzer Dogmatikers: "Hoffentlich erlebt bzw. überlebt der Papst diese Reform noch."
"Reformation - Segen oder Fluch"
Die deutsche evangelische Kirchenhistorikerin und Theologin Prof. Athina Lexutt referierte in ihrem Vortrag bei der Sommerakademie über die Frage: "Die Reformation - Segen oder Fluch" aus protestantischer Perspektive. Wörtlich sagte die Theologin: "Ich stehe hier als evangelische Theologin und bekennende Christin, die von der lutherischen Lesart des Evangeliums Jesu Christi überzeugt ist und die sich intensiv mit der lutherischen Theologie auseinandergesetzt hat. Als solche kann und will ich klar von einem Segen sprechen. Ich stehe hier aber auch als Historikerin, die die Augen nicht verschließen kann vor all dem, was unter 'Fluch' einzuordnen ist."
In der Vergangenheit sei mit "Reformation" meist in verengender Sicht nur Martin Luther und seine Lehre verstanden worden. Man müsse aber redlicher Weise von vielen verschiedenen reformatorischen Bewegungen sprechen. Wie vielfältig und inhaltlich unterschiedlich akzentuiert diese Bewegungen waren, zeige sich darin, wie viele kirchliche und freikirchliche Gemeinschaften aus ihnen erwachsen seien.
Die Reformatoren hätten einen Kampf um die Wahrheit geführt. Lexutt: "Ich betrachte es als Segen, wenn um die Wahrheit mit allem Ernst gestritten wird. Mir ist gegenwärtig ein interkonfessioneller und interreligiöser Disput, welcher der Sache dient, lieber als ein Kuschelkurs, der die Inhalte verwässert."
Lexutt betonte, Reformation sei kein geschlossenes Phänomen, sondern habe sich in unterschiedliche Zweige aufgespalten. "Die Vielfalt der daraus hervorgegangenen Kirchen kann als unübersichtliches Gewimmel missinterpretiert werden - oder als bunte, vielfältige Gestaltung einer Grundidee verstanden werden." Für sie, so Lexutt, sei diese Vielfalt "nicht gerade ein Segen, aber auch kein Fluch, weil sich darin etwas spiegelt, was unter dem Stichwort der Einheit der Kirche gern beiseitegeschoben wird". Einheit werde oft mit Einheitlichkeit verwechselt, die nur durch straffe Ordnung und Hierarchie erreicht werden kann. Die Sehnsucht nach Einheit gehe aber an der reformatorischen Einsicht vorbei, dass jeder Mensch ein zutiefst in der Spannung existierendes Wesen ist. Lexutt: "Die Kirchen sind daher institutionelles Abbild des menschlichen So-Seins."
Lexutt führte bedeutende Folgen der Reformation an, die sie als Segen bezeichnete: etwa die Ebnung des Weges für die historisch-kritische Exegese, die Bibelübersetzung ins Deutsche, Liturgie und Predigt in der Muttersprache oder Laien in geistlichen Ämtern. Nicht gerade ein Fluch, aber doch eine bedauerliche Einschränkung sei es, dass die Spiritualität und liturgische Vielfalt ins Hintertreffen geraten seien: "Es scheint, dass die evangelische Kirche humorloser, wortreicher, gestaltungsärmer und verbissener geworden ist", so Lexutt.
Abschließend bilanzierte die evangelische Theologin, es sei nicht immer eine eindeutige Antwort möglich, ob die Reformation Segen oder Fluch gewesen sei. Es überwiege aber ihrer Meinung nach das Positive: "So anstößig die Reformation in vielerlei Hinsicht war, so sehr hat das Reformatorische Anstöße gegeben zum An- und Weiterdenken, zum Gestalten einer lebendigen Kirche, eines lebendigen Christentums."
Reformation und Freiheit
Im Zentrum reformatorischer Theologie stehe die Rechtfertigungslehre, unterstrich der Wiener reformierte Theologe Prof. Ulrich Körtner. Diese Lehre von der bedingungslosen Annahme und Rechtfertigung des Menschen sei nichts anderes als eine Freiheitslehre, so Körtner in seinem Vortrag. Nach reformatorischem Verständnis seien Heilsgeschehen und Heilsgeschichte eine Geschichte der Freiheit, genauer gesagt, eine Geschichte der Befreiung.
Tatsächlich sei die Reformation in vielfältiger Hinsicht eine Befreiungsbewegung, "in der es um die Freiheit von klerikaler Bevormundung ebenso ging wie um politische und soziale Freiheiten", führte Prof. Körtner aus. Aber: "Wahre Freiheit besteht in der Befreiung des Menschen von seiner Sünde durch Gott - und das heiße im Sinne Martin Luthers und der übrigen Reformatoren - in der Befreiung vom Unglauben."
Dieser Befreiungsvorgang werde im Anschluss an Paulus als Rechtfertigungsgeschehen gedeutet. Der Mensch könne sich aus der selbstverschuldeten Unfreiheit der Sünde nicht selbst befreien, sondern einzig durch Gott befreit werden. Die solchermaßen wiedergewonnene Freiheit bleibe unverfügbare Gnade.
Reformatorische Theologie versteht unter Freiheit im gehaltvollen Sinne des Wortes deshalb nicht die Anlage des Menschen zur Entscheidungsfähigkeit, sondern die Freiheit des Glaubens. Die Alternative zwischen Freiheit und Unfreiheit sei identisch mit der Unterscheidung zwischen Glaube und Unglaube.
Eine in dieser Rechtfertigungslehre begründete Ethik sei in Folge nicht so sehr eine Ethik des Tuns als vielmehr des Lassens, führte Körtner weiter aus: "Das Hören des Wortes Gottes weist ein in eine Ethik des Lassens, die Gott Gott und den Mitmenschen ihn selbst sein lässt, statt über ihn und die Welt eigenmächtig verfügen zu wollen", so Körtner wörtlich und weiter: "Es kommt eben keineswegs darauf an, mit Marx gesprochen, die Welt oder unsere Mitmenschen nach unseren Vorstellungen zu verändern oder zu verbessern, sondern darauf, sie zu verschonen."
Auch für den Umgang mit der Natur habe dieses Freiheitsverständnis der Rechtfertigungslehre praktische Konsequenzen. Körtner: "Freiheit im Umgang mit der Natur besteht gerade nicht in einem willkürlichen Umgang mit ihr, sondern darin, Dinge zu lassen, die wir tun könnten, um durch solchen Verzicht und solche Selbstbeschränkung der Natur das Ihre zuzugestehen." Den Anderen und die Schöpfung sein zu lassen, schließe freilich das tätige Wohlwollen ein, "dass jedoch immer wieder in die Gefahr geraten kann, den Mitmenschen paternalistisch zu bevormunden". Eine aus der Rechtfertigung begründete Ethik sei daher immer auch eine Ethik der Selbstbegrenzung des handelnden Subjekts.
Die evangelische Sicht von Verantwortung hänge unmittelbar mit dem Glauben an die Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben zusammen. Die Wahrnehmung und Übernahme von Verantwortung geschehe "nicht nur im Wissen darum, dass Menschen scheitern können, sondern auch im Vertrauen darauf, dass uns vergeben wird".
Wie Körtner weiter ausführte, laute eine Kernfrage evangelischer Sozialethik, welche Institutionen Freiheit ermöglichen und fördern oder aber verhindern; Institutionen seien daran zu messen, "inwieweit sie Gerechtigkeit, Teilhabegerechtigkeit ebenso wie Verteilungsgerechtigkeit verwirklichen". Diese Frage richte sich auch an die Institution Kirche.
Quelle: kathpress