Katholiken und Evangelische würdigen gemeinsam Luther
Nach Jahrhunderten der Zerstrittenheit über seine Person können die katholische und evangelische Kirche Martin Luther heute "gemeinsam als Zeugen des Evangeliums, Lehrer im Glauben und Rufer zur geistlichen Erneuerung" würdigen. Das hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer in seinem Grußwort bei der Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster betont. Die Sommerakademie steht heuer unter dem Motto "Es muss sich etwas ändern. Anstöße der Reformation." Im Vorfeld des Jubiläumsjahres 2017 wollen die Veranstalter die Reformation nicht als punktuelles, vor 500 Jahren stattgefundenes Ereignis verstehen, sondern "als Entwicklungsprozess und als Anstoß für Gegenwart und Zukunft", wie es in einer Aussendung heißt.
Bischof Scheuer unterstrich in seinen Ausführungen einige reformatorische Grundanliegen - etwa die Betonung der Heiligen Schrift, von Christus, Glaube und Gnade - als Orientierung für die Beurteilung von Reformen. Der Bischof sprach beispielsweise von einem "Zeitalter der Religion ohne Gott", vor allem ohne Jesus Christus. In der gegenwärtigen Gesellschaft und Kirche gebe es seit einigen Jahren so etwas wie eine schleichende "Entchristologisierung" des allgemeinen Glaubensbewusstseins. Gott gelte vielleicht noch als universal bergende, schützende und segnende Macht, als die Natur, die den Kosmos beseelt. Manche würden im Göttlichen eine heilende Kraft- und Energiequelle sehen oder Religion werde auf Ethik und Glaube auf einen moralischen Imperativ reduziert. Die Fokusierung auf Christus sei demgegenüber für die Reformation zentral. Scheuer: "Diese Christozentrik ist ein heilsamer Kontrapunkt gegenüber der Jesusvergessenheit in vielen Varianten."
Ein weiterer reformatorischer Schwerpunkt - die Betonung der Heiligen Schrift - sei ebenfalls ein "gemeinsamer Bezugspunkt", so Scheuer. "Sie ist Norm und Kriterium aller Spiritualität und allen kirchlichen Lebens, sie schenkt einen gemeinsamen Sprachraum mit gemeinsamen Bildern, Vorstellungen, Anliegen und Gewohnheiten." Die Kirche solle ein Ort sein, "an den das Evangelium verkündet wird, an den das Evangelium aber auch ein Gesicht erhält". Der Bezug zum Evangelium sei die Wurzel jeder echten Reform der Kirche, betonte der Bischof.
Gnadenlose Gesellschaft
Scheuer hob weiters auch die Bedeutung der Gnade in der Reformation hervor. Gnade gehöre nicht unbedingt zu den Stichworten der Gegenwartskultur, führte Scheuer aus: "In vielen Bereichen ist vielmehr das Gegenteil hoch in Kurs: Politik, Wirtschaft, Sport oder auch die Unterhaltungsindustrie sind die Foren, auf denen die Bedeutung des Wortes 'gnadenlos' vor Augen geführt wird." Immer mehr werde der Wert eines Menschen von seinen Funktionsstellen, die er in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen einnimmt, definiert.
Es sei demgegenüber dem christlichen Glauben eigen, "dass der Mensch sich von Gott unbedingt erwünscht weiß", so Scheuer: "Sich selbst von Gott lieben zu lassen, befreit aus dem Teufelskreis der Selbstüberhebung und der Selbstverachtung, befreit vom Gotteskomplex und vom Mittelpunktwahn." Der Mensch werde zur Annahme seiner Endlichkeit und Sterblichkeit befreit. Er brauche den Grund für die Rechtfertigung seines Daseins nicht in sich selbst zu suchen.
Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate und Jahre, etwa im Zusammenhang mit Flucht, Asyl und Migration, seien eine Herausforderung für Christen, den eigenen Glauben zu leben und zu bezeugen. Scheuer: "Es ist eine Herausforderung, uns als Christen auf unsere Identität und Mitte zu besinnen. Diese Mitte ist Jesus Christus, in dem sich Gott unwiderruflich und unüberbietbar zusagt." Zudem sollten die Christen fähig sein, Auskunft zu geben über ihre Wurzeln. Die Achtung der Religionsfreiheit, Toleranz und Dialog würden ja gerade nicht bedeuten, sich des eigenen Glaubens zu schämen und diesen in der Öffentlichkeit zu verschweigen, betonte Scheuer.
Angst statt Zuversicht
Kritisch ging der Linzer Bischof in seinen Ausführungen auch mit gegenwärtigen Vorstellungen von Reform ins Gericht. Reform bedeute heute: "Wie kann durch eine Strukturreform möglichst viel Geld und Personal eingespart werden bei möglichst steigender Produktion und Output?" Noch vor 40 bis 50 Jahren hätte man unter Reform hingegen verstanden: "Du kannst etwas Neues in die Welt setzen, ein Projekt initiieren und bekommst dafür viel Geld und Personal" so der Bischof unter Verweis auf den vor wenigen Tagen aus dem Amt geschiedenen Bundespräsidenten Heinz Fischer.
Scheuer sprach zugleich von einer in Österreich fehlenden Weiterentwicklung in der Bildungspolitik, in der Ökologisierung der Wirtschaft und des Verkehrswesens; er sprach den "Wechsel von einer chaotischen zu einer restriktiven Asylpolitik" an, kritisierte "das ständige nationalegoistische Hickhack der europäischen Regierungsvertreter in den EU-Gremien" sowie das Nichtvorhandensein einer gemeinsamen gesellschaftspolitischen Vision: "All das lähmt das Land und erzeugt Angst anstatt Zuversicht."
Der Ruf nach Veränderung sei freilich fatal, "wenn er mit Realitätsverweigerung oder Wirklichkeitsflucht verbunden ist". Dann wäre die Forderung nach Reformen von Strukturen und Systemen nur ein Ablenkungsmanöver. Die Forderung nach Veränderung könne zudem auch nur die Innenseite von Verzweiflung, Sinnlosigkeit und Orientierungslosigkeit sein, warnte der Bischof.
Die bereits 18. Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster dauert noch bis Freitag. Im Rahmen der Tagung werden u.a. Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, und der österreichische lutherische Bischof Michael Bünker das Wort ergreifen.
Die Ökumenische Sommerakademie ist eine Veranstaltung der Katholische Privatuniversität Linz, des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, des Evangelischen Bildungswerks Oberösterreich, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, des Stiftes Kremsmünster, der Religionsabteilungen des ORF und des Landes Oberösterreich.
Quelle: kathpress