Bischof Scheuer würdigt Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel
Als einen der wichtigsten Zeugen für das Gedenken und die Wahrheit über den Holocaust hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer den verstorbenen Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel gewürdigt. Wiesel habe "eine Tradition des Erinnerns geprägt" und das Gedächtnis vergangener Leiden wach gehalten. "Er hat die Gottesrede radikal in die Leidensgeschichte der Menschen gestellt, zugespitzt in die Shoah", so der Bischof am Mittwoch in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress.
Wiesel, der die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebt hatte, war am vergangenen Samstag im Alter von 87 Jahren in New York gestorben. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen über den Holocaust und erhielt 1986 den Friedensnobelpreis für seinen Einsatz gegen Gewalt und Rassismus.
Wiesel sei selbst durch die Hölle von Auschwitz gegangen, erinnerte Bischof Scheuer, und habe dennoch Sätze gesagt wie: "Das Leben zu feiern ist wichtiger als die Toten zu beweinen." Aus dem Mund des Friedensnobelpreisträgers sei dies "keine Anweisung zum seligen Vergessen", so Scheuer: "Es ist Appell einer Hoffnung, die das Geheimnis des Menschen verteidigt, dass er mit Gott eins sei und eins sein wird. Wer vom Geheimnis dieses Wesentliche erahnt hat, den drängt es zur Dankbarkeit - trotz allem."
Wiesel habe auf diese Weise das Gedächtnis vergangener Leiden nicht nur funktional wach gehalten, also in dem Sinn, dass die Schreckensbilder der Vergangenheit vor einer neuerlichen Gegenwart einer "Hölle von Auschwitz" abhalten sollen. Zur "memoria passionis" (Erinnerung an das Leiden) gehöre auch "die Verweigerung, sich damit abzufinden, dass die Toten in alle Ewigkeit tot bleiben, die Besiegten besiegt", betonte Bischof Scheuer: "In der Erinnerung von Leid, Schmerz und Trauer geht es um ein solidarisches Antiwissen, das aus der Hoffnung auf den solidarischen Gott kommt, der den Besiegten, Verlorenen und Toten, Friede, Heil, Versöhnung und Gerechtigkeit schenken kann."
War "Gewissen der Welt"
Weltweit würdigten Vertreter aus Politik und Religion in den vergangenen Tagen den verstorbenen Friedensnobelpreisträger. "Er war ein lebendes Denkmal", sagte US-Präsident Barack Obama. Wiesel sei "eine der großen moralischen Stimmen unserer Zeit" und "Gewissen der Welt" gewesen. Trotz des erlittenen Leids habe er nie den Glauben an die Menschlichkeit verloren. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete den Verstorbenen als den "eloquentesten Anwalt für Toleranz und Frieden".
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erinnerte an den "Wortkünstler Elie". Dieser habe "mit seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit und seinen faszinierenden Büchern den Sieg des menschlichen Geistes über die Grausamkeit und das Böse verkörpert". Für Staatspräsident Reuven Rivlin hat Wiesel "die Entschlossenheit des menschlichen Geistes, die dunkelsten Teufel zu bezwingen und allen Widrigkeiten zum Trotz zu überleben" verkörpert wie kein anderer.
In Österreich sprach die Israelitische Kultusgemeinde Wien von Wiesel als "eine unverzichtbaren Stimme gegen Gewalt und Intoleranz auf der ganzen Welt". Sein "Mut, seine persönlichen schrecklichen Erlebnisse in Worte zu fassen, hat vielen Menschen bei der Bewältigung der Gräuel des Holocaust geholfen", so IKG-Präsident Oskar Deutsch in einer Aussendung. Wiesel sei "trotz der Millionen Opfer des Holocaust eine Persönlichkeit" gewesen, "die den Glauben an das Gute im Menschen behalten hatte".
Familie im Holocaust ermordet
Der 1928 im rumänischen Sighet geborene Wiesel war einer der großen literarischen Zeugen des nationalsozialistischen Massenmordes an den Juden und zählte auch wegen seines Einsatzes für unterdrückte und verfolgte Minderheiten zu den international anerkannten Autoritäten der Gegenwart. 1986 hatte er auf Vorschlag des Deutschen Bundestages den Friedensnobelpreis erhalten. Mit seiner Frau gründete er die Elie-Wiesel-Stiftung, die sich vor allem unter Jugendlichen gegen Intoleranz und Gleichgültigkeit einsetzt.
Wiesel genoss in seiner vom jüdischen Chassidismus geprägten Kindheit eine strenge rabbinische Schulausbildung. 1944 wurden er und seine Familie nach Auschwitz deportiert. Er selbst überlebte die Vernichtungsmaschinerie der Nazis, verlor aber seine Eltern und die jüngste Schwester. Nach dem Studium der Philosophie und Literatur an der Pariser Sorbonne von 1948 bis 1951 arbeitete er zunächst journalistisch und ging 1956 als UNO-Berichterstatter nach New York. Seit 1962 hatte er die Staatsbürgerschaft der USA und lebte in New York. Von 1979 bis 1986 hatte er den Vorsitz des Holocaust-Memorial-Council inne.
In mehr als 30 Büchern widmet sich Wiesel dem Leiden der unschuldigen Opfer und der Bestimmung jüdischer Identität. Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein erster und bis heute wichtigster Roman "Nacht" von 1958, "Die Juden in der UdSSR" von 1966 und "Das Geheimnis des Golem" von 1983. 1995 und 1997 legte er unter den Titeln "Alle Flüsse fließen ins Meer" und "... und das Meer wird nicht voll" seine Memoiren vor.
Ende 2014 war Wiesel mit dem Ehrendoktortitel der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. im polnischen Krakau ausgezeichnet worden. Vor einigen Jahren hatte er in einem italienischen Zeitungsinterview betont, dass die Päpste Johannes XIII. und Johannes Paul II. "Ehrenplätze im Gedächtnis des jüdischen Volkes" hätten, weil sie gezeigt hätten, dass Versöhnung zwischen Christen und Juden unerlässlich ist. Die Gesten der beiden Päpste zur Aussöhnung mit den Juden hätten Geschichte gemacht, und kein Papst könne jemals dahinter zurück.
Quelle: kathpress