Küberl nimmt Abschied und zieht Bilanz über 22 Jahre Caritas
Die Caritas muss sich immer zugleich um konkrete Not kümmern wie auch deren strukturelle Ursachen aufzeigen. Darauf hat Direktor Franz Küberl am Freitag bei der Präsentation des Jahresberichts 2015 der Caritas Steiermark hingewiesen und an ein Wort des legendären früheren brasilianischen Erzbischof von Olinda und Recife, Dom Helder Camara, erinnert: "Wenn ich den Armen Brot gebe, nennt man mich einen Heiligen; wenn ich frage, warum die Armen nichts zu essen haben, dann werde ich als Kommunist beschimpft". An diesem Dilemma habe sich nichts geändert, erklärte Küberl. Denn das soziale Tun mit Blick auf das Evangelium stelle immer auch eine "Ruhestörung bestehender materieller und immaterieller Besitzverhältnisse" dar.
Küberl nutzte die Bilanz-Pressekonferenz auch zu einem persönlichen Ausblick über seine langjährige Tätigkeit bei der Caritas. Der ehemaliger Präsident der Caritas Österreich (1995-2013) steht seit 1994 an der Spitze der Caritas Steiermark, Ende August übergibt er seine Funktion an den bisherigen Wirtschaftsdirektor der Diözese Graz-Seckau, Herbert Beiglböck. Er habe sich in diesen 22 Jahren nicht nur nach innen um die Caritas gekümmert, sondern sich "oft und mit Energie in das Reiz- und Spannungsfeld Caritas und Politik begeben", sagte Küberl. Die Hilfe von Gesicht zu Gesicht sei zwar vorrangige Arbeit der Caritas. "Allerdings wollen wir ja nicht von der Verwaltung von Armut und sozialen Problemen leben, sondern die Caritas möglichst arbeitslos machen - wohlgemerkt die Caritas, nicht die Sozialpolitik."
Das Engagement der katholischen Hilfsorganisation entstehe immer im gemeinsamen Tun von Hilfsbedürftigen und Helfern, betonte Küberl. Erstere zeigten, was zu tun ist, letztere seien "Botschafter und Botschafterinnen", die die Nöte hören, Erfahrungen weitertragen und neue Dinge anstoßen. Ohne sie könne ein Caritasdirektor nichts bewirken, versicherte Küberl. Heute gebe es ein breites Spektrum an geleisteter Unterstützung von der unmittelbaren Nothilfe über vielfältige Beratungsleistungen, Pflegedienste bis hin zu Arbeitslosenprojekten.
Drei Dinge seien dabei wichtig: Hilfe müsse auf Augenhöhe geschehen und eine Beziehung schaffen, damit Hilfe überhaupt angenommen werden kann; sie müsse professionell sein und zu "Empowerment" führen; drittes, spirituell-religiöses Element ist das Evangelium als Leitfaden für die Caritas-Tätigkeit: "Die Handlungsanweisung Jesu ist unmissverständlich geschildert im Gleichnis vom barmherzigen Samariter", erinnerte Küberl. "Es ist der Verweis darauf, dass wir im Ärmsten Gott selber begegnen."
Im Flucht-Sommer 2015 "Geschichte erlebt"
Das Berichtsjahr 2015 sei nicht zuletzt wegen der Fluchtbewegungen ein spannendes, aber auch spannungsreiches Jahr gewesen, sagte der scheidende Caritas-Chef. In den Caritas-Einrichtungen und Beratungsstellen habe sich die Zahl der Klienten gegenüber 2014 von 9.579 auf 18.613 Personen verdoppelt. Gestiegen sei im selben Zeitraum aber auch die Zahl der Freiwilligen - von 1.020 auf 2.858. Im vergangenen Sommer sei das Thema Flucht an der "Haustür" angekommen, als zunächst Tausende, schließlich mehrere hunderttausend Schutzsuchende auf ihrem Fluchtweg durch die Steiermark kamen. "Ohne Zweifel haben wir in diesen Monaten Geschichte erlebt", so Küberl im Rückblick. "Deutlicher haben wir bei der Caritas vielleicht auch nie gespürt, wie sehr Auslandshilfe und Inlandshilfe miteinander verwoben sind."
Ihre Hilfsaufgaben habe die Caritas nur durch eine "Welle der Hilfsbereitschaft" und enormes zivilgesellschaftliches Engagements gut bewältigen können. Leider sei die Caritas aber auch mit einem "Gegenpol an wachsender Skepsis bis hin zu offener Feindseligkeit den Flüchtlingen" konfrontiert gewesen. Küberl erwähnte ablehnende, "zum Teil auch bösartige Zuschriften und Kommentare" in den sozialen Netzwerken, aber auch die 4.000 Haussammler seien mit Vorbehalten befasst gewesen. "Selten haben wir wohl unsere Arbeit so oft erklärt und argumentiert", berichtete Küberl.
Not lindern auch "Gebot der Vernunft"
Neben der großen Herausforderung durch Fluchtbewegungen seien die vielfältigen anderen Angebote der Caritas im gewohnten Ausmaß weitergeführt worden - "es wird eben nicht zwischen Not und Not unterschieden", merkte Küberl an. Das sei jesuanischer Auftrag und zugleich ein "Gebot der Vernunft". Denn Not schafft laut Küberl ein Gefälle zwischen Besitzenden und Bedürftigen, "und dies ist seine große Gefahr für den sozialen Frieden".
Auffallend und "beängstigend" sei 2015 die zunehmende Wohnungslosigkeit auch von Familien und Frauen mit Kindern gewesen. Die steirische Caritas reagiere darauf mit dem neuen Projekt "FranzisCa". Vor allem schwierige Familiensituationen und schlechte bzw. keine Ausbildung waren laut Küberl ebenfalls immer wieder Thema für die Caritas-Mitarbeiter; sie beobachteten auch eine Zunahme von Gewalt und neurotischen Verhaltensformen.
Caritas-Generalsekretärin Maria Gschaider berichtete von steigenden Spendeneinnahmen: Die so gewonnenen 7,1 Millionen Euro seien um 300.000 mehr als im Jahr 2014. Diese Summe beweise, wie sehr Menschen bereit seien, auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten etwas abzugeben. "Die weniger gute Nachricht ist, dass die Caritas insgesamt ein negatives operatives Betriebsergebnis verzeichnen musste", berichtete Gschaider. Die Caritas wirtschafte sorgsam, doch habe sie in allen Bereichen mit einer verschlechterten Finanzierungssituation zu kämpfen, während der Hilfebedarf überall steige. Das trotzdem positive Gesamtergebnis von plus 16.000 Euro der drei Körperschaften der steirischen Caritas - Caritas, Caritas-Akademie, Immobilienkörperschaft - begründete die Generalsekretärin mit der Auflösung freier Rücklagen.
Großes Interview in "Kleiner Zeitung"
Bereits am vergangenen Wochenende hatte Franz Küberl in einem ausführlichen Interview mit "Kleine Zeitung"-Chefredakteur Hubert Patterer Bilanz über seine Zeit als Grazer Caritasdirektor gezogen. Er sei immer wieder auf Helfende, Freiwillige und Spender gestoßen, "die vielleicht nie die Türschwelle eines Ordinariates übertreten würden, aber ihre Gläubigkeit durch ihr tätiges Mitwirken in der Caritas bezeugen". Für nicht wenige sei die Caritas "eine Art religiöse Reifungsmöglichkeit jenseits von Weihrauch" und "der letzte seidene Faden zur Kirche", sagte Küberl. Seine Überzeugung: "Man geht immer dann in den Glauben hinein, wenn man in die Not der Menschen eintaucht." Die konkrete Hinwendung zu Menschen in Not ist für den scheidenden Direktor "der Fundamentalausdruck des Glaubens". Das sei die Botschaft der Caritas wie auch Kernbotschaft von Papst Franziskus.
Die Caritas sei somit auch "untrennbar Kirche", wies Küberl hin. Die Caritas tue sich insofern leichter, als sie "nicht die ganze Kirchenlehre von zweitausend Jahren und jede Regel, sei sie noch so fragwürdig, mit in den Rucksack packen" müsse und wolle: "Für uns ist wichtig, dass die Bergpredigt und der barmherzige Samariter im Gepäck sind."
Quelle: kathpress