"Brexit" kann Neustart Europas beschleunigen
Das britische Votum für den EU-Austritt könnte dazu beitragen, dass die EU eines Tages zu einer "radikalen Umkehr" findet und einen Neustart wagt: Zu dieser Einschätzung kommt der in London wirkende Jesuit Robert Deinhammer am Freitag im Interview mit "Kathpress". Europas Institutionen bräuchten dringend eine tiefgreifende Reform und einen Wandel im Denken, der aber bislang unerreichbar weit entfernt schien, so der österreichische Religionsphilosoph und Jurist. Wenn nun durch den "Brexit" europaweit EU-Skeptiker Aufwind bekommen und Dominoeffekte drohten, könne sich dieser Prozess beschleunigen.
Die Entscheidung für den EU-Austritt sei vor allem eine Absage an die politische und mediale Elite Großbritanniens und ihrer "Realitätsverweigerung" gewesen, befand Deinhammer. Die aktuellen Migrationsströme und der Umgang der EU mit ihnen hätten für die Bevölkerung eindeutig den Ausschlag gegeben. "Die Strategie der EU-Befürworter, Ängste vor Brexit-Folgen zu schüren, war für die Menschen zu durchsichtig, weshalb dies nicht aufgegangen ist."
Das Vereinigten Königreich sei nun gespalten und künftig "sehr schwer zu einen", wie das regionale und demografisch stark unterschiedliche Stimmverhalten gezeigt habe. Neue Spannungen etwa mit Schottland seien realistisch, so Deinhammers Einschätzung. Auch die Konservative Partei sei entzweit, einzig Brexit-Befürworter Boris Johnson gehe gestärkt hervor und könne nun vielleicht sogar den Sprung an die Regierungsspitze schaffen.
Die Kirchen hatten sich im Vorfeld mit eindeutigen Wahlempfehlungen weitgehend zurückgehalten, was Deinhammer positiv bewertete: "Viele Bürger kamen sich manipuliert vor und es herrschte weitgehend der Eindruck, man glaube den Politikern nicht mehr. Hätten man sich in dieser Situation ebenfalls mit Appellen eingeschaltet, wäre dies kontraproduktiv gewesen", so der Jesuit.
Dennoch habe es auf Kirchenseite auch Versäumnisse gegeben. Deinhammer: "Die gesamte Kampagne für und gegen den Brexit war von ökonomischen Eigeninteressen bestimmt. Die Kirchen hätten zu einer inhaltlichen Diskussion beitragen können, bei der auch die politische und religiöse Dimension der EU behandelt wird." Schließlich seien dem Philosophen zufolge die EU-Gründungsväter vor allem christlich motiviert gewesen. Im Zuge der Säkularisierung und des EU-Fokus auf neoliberal orientierte Ökonomie seien aber jegliche religiöse und zunehmend auch die politisch-geistige Komponente der Gemeinschaft verloren gegangen.
Quelle: kathpress