Kirchen fordern bessere Integration und Ende der "Festung Europa"
Menschenwürdige Behandlung aller Menschen auf der Flucht, das Ende der "Festung Europa" und des Waffenhandels in Kriegsgebiete sowie ein umfassender Fokus auf Integration gehören zu den Forderungen, die von kirchlicher Seite anlässlich des Weltflüchtlingstages an die österreichische Bundesregierung erhoben wurden. Die komplexe Problemstellung von Migration und Flucht verbiete vereinfachende Lösungen, warnen etwa in Vorarlberg die christlichen Kirchen und Institutionen in einem offenen Brief, der an die Bundesregierung und an die Landeshauptleutekonferenz gerichtet ist.
Die Hauptgründe, warum derzeit so viele Menschen ihre Heimat verlassen und anderswo Zuflucht suchen, würden oft außer Acht gelassen, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben der Kirchen in Vorarlberg. "Teils jahrelange kriegerische Auseinandersetzungen, Verfolgung aus ethnischen oder religiösen Gründen sowie auch Nahrungsmittelmangel infolge von Dürren und Wasserknappheit, die wiederum mit dem weltweiten Klimawandel zusammenhängen." Europa - und damit auch Österreich - habe durch Waffenhandel, die Wirtschaftspolitik und den Klimawandel wesentlich zur aktuellen Situation der Flüchtlinge beigetragen.
Die unbedingte Achtung der Menschenwürde aller Flüchtenden, ein Ende der EU-Grenzsicherung mit Waffengewalt und Stacheldraht sowie eine an Menschenrechten orientierte Asyl- und Einwanderungspolitik gehören zu dem gemeinsamen Forderungskatalog der Kirchen an die Regierung. Österreich solle sich weiters für eine faire Wirtschafts- und Außenpolitik in der EU einsetzen, welche ihr Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zudem überdenken sollte.
Gefordert werden in dem Schreiben der katholischen, evangelischen, altkatholischen und serbisch-orthodoxen Kirchen Vorarlbergs zudem sichere Korridore für Menschen auf der Flucht und ein europäisches Aufnahme- und Verteilsystem. Die EU müsse die Nachbarländer Syriens finanziell unterstützen und Österreich seine Verpflichtung einlösen, 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Sämtliche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und benachbarte Regionen sollten nach Ansicht der Kirchenvertreter zudem eingestellt und bestehende Gesetze für Waffenexport strikt kontrolliert werden.
"Neue Aufgaben nicht verschlafen"
Auf eine dringend erforderliche "Drehung der Aufgabenstellung" macht indes der Integrationsbeauftragte der Diözese Graz-Seckau, Erich Hohl, aufmerksam. Die Politik dürfe es nicht verschlafen, nach der kurzfristigen Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen nun die Integration der dauerhaft Hierbleibenden in den Mittelpunkt zu rücken. Die Bundesregierung wie auch die Länder und Gemeinden bräuchten einen "langfristig angelegten Integrationsplan mit österreichweit vergleichbaren Standards", so der Kirchenexperte.
Hohl warnte vor dem Entstehen neuer Ghettos, die Integration verhindern würden. Anstelle dessen sei es wichtig, dass Menschen "in überschaubarer Dimension in die Aufnahmegesellschaft hineinwachsen und weitgehend aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt bestreiten" könnten. Die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür gelte es rasch und klug zu schaffen.
Hilfe, um Teil der Gesellschaft zu werden
Nachdem Caritas-Präsident Michael Landau bereits am Freitag auf Österreich-Ebene ein Integrationspaket von der Regierung gefordert hatte, veranschaulichte der steirische Caritas-Direktor Franz Küberl zum Weltflüchtlingstag gemeinsam mit der steirischen evangelischen Diakonie, wie Maßnahmen dazu in der Praxis aussehen können. Nachdem beide Hilfswerke in der Steiermark mit Schließung der Balkanroute nun nicht mehr in der ersten Notversorgung aktiv sind, verlagere sich der Schwerpunkt nun zur Begleitung und Betreuung der Männer, Frauen und Kinder, die hier Asyl suchen, legte Küberl dar. "Wir müssen den Flüchtlingen helfen, Teil unserer Gesellschaft zu werden und hier menschenwürdig zu leben", so sein Aufruf zu Solidarität.
Konkret hat die Caritas Steiermark die Aktion "Ein Teil von uns" gestartet, in der Hilfsmöglichkeiten gebündelt werden. Vor allem geht es dabei um Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche und bei der Verbesserung der Deutschkenntnisse. Der mit der Hilfe der Diözese Graz-Seckau eingerichtete Wohnungskautionsfonds unterstützt Flüchtlinge beim Umzug in eine erste eigene Wohnung.
Solidarität mit Kinderflüchtlingen
Auf die Situation der Flüchtlingskinder machte das Don Bosco Flüchtlingswerk aufmerksam: Allein bis Ende Mai seien heuer laut UNICEF 7.000 unbegleitete Minderjährige über die zentrale Mittelmeerroute nach Italien gekommen, hunderte weitere würden auf den Ägäis-Inseln festsitzen. Die Kapazitäten der Mittelmeerländer, minderjährige Flüchtlinge angemessen zu betreuen und zu verpflegen, seien erschöpft, warnte Geschäftsführerin Eva Kern in einer Mitteilung. "Internationale Hilfe ist notwendig. Die EU, darunter auch Österreich, soll sich endlich solidarisch zeigen."
Lobende Worte fand Kern für die Tagsatz-Erhöhung für minderjährige Flüchtlingen im Burgenland. Dem richtigen Schritt, um die derzeitige prekäre Lage der Flüchtlingskinder zu verbessern, sollten nun noch weitere Verbesserungen folgen. Das Don Bosco Flüchtlingswerk hat erst kürzlich gemeinsam mit über 45 Organisationen aus dem Kinder- und Jugendbereich Kinderrechts-Kampagne "Keine halben Kinder - Kinderrechte sind unteilbar" gestartet. Gefordert wird dabei die Gleichstellung aller Kinder.
Bischöfe fordern verstärkte Hilfe vor Ort
Verstärkte Hilfe für Menschen in Not haben die katholischen Bischöfe Österreichs zum Weltflüchtlingstag gefordert. "Es geht nicht primär darum, wie wir unser Problem mit den Flüchtlingen lösen, sondern wie wir dazu beitragen können, die Probleme der Flüchtlinge zu lösen", stellte Kardinal Christoph Schönborn bei der Sommervollversammlung der Bischöfe klar, die in der Vorwoche in Mariazell stattfand. Durch aktive Friedenspolitik, Wirtschaftshilfe und Entwicklungshilfe sollten die Bedingungen geschaffen werden, dass Menschen "erst gar nicht flüchten müssen". Wer nach Österreich komme und hier Asyl erhalte, brauche Hilfe bei der Integration.
Unterstützung signalisierten die Bischöfe für den Vorschlag von Außenminister Sebastian Kurz, humanitäre Korridore auf- und auszubauen. Es wäre ein "ganz großer Fortschritt", wenn künftig jährlich bis zu 15.000 schutzbedürftige Flüchtlinge direkt über humanitäre Korridore nach Österreich kommen könnten, sagte Schönborn. Österreich habe im Zuge der Hilfe für Flüchtlinge aus Syrien damit schon gute Erfahrungen gemacht, und es sei zudem ein geeigneter Weg, um das kriminelle Schlepperwesen zu bekämpfen. Das Mittelmeer dürfe zudem keine "Todeszone für Flüchtlinge" sein.
Nächstenliebe und Solidarität hätten eine persönliche und institutionelle Seite, führte Schönborn weiter aus. Jeder Einzelne sei dazu aufgerufen, mit Flüchtlingen zu reden, ihre Geschichten zu hören und zu helfen, andererseits sei eine große europäische politische Lösung notwendig, "wie wir für die gewaltigen Flüchtlingsströme, die noch viel größer werden können, zu einer halbwegs menschlichen geordneten Lösung kommen können." Das müsse Europa jedenfalls weit besser umsetzen als bisher, forderte der Vorsitzende der Bischofskonferenz.
Für die Bewältigung der Flüchtlingssituation sei eine "solidarische Lösung in Europa" notwendig", so Schönborn. Den von Minister Kurz eingebrachten Vorschlag, Australien als Modell für den Umgang mit Flüchtlingen zu sehen, lehnte er hingegen ab.
Angaben des Kardinals zufolge wird derzeit jeder zweite Asylwerber in Österreich von der Kirche betreut - rund 9.500 in kirchlichen Quartieren, weitere 35.000 in mobiler Betreuung. Daneben gebe es zahlreiche pfarrliche Initiativen zur Integration von Flüchtlingen etwa in Form von Sprachkursen und Freizeitgestaltung, oder bei Behördengängen.
Quelle: kathpress