"Wild entschlossene Gläubige" sind Kirche der Zukunft
In einer Zeit, in der Religion eine Frage der persönlichen Entscheidung geworden ist, muss sich nach Ansicht des Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner auch das kirchliche Selbstverständnis wandeln. Künftig werde die Kirche von "wild entschlossen glaubenden Menschen" leben, die "sich dem Evangelium anschließen, der Jesus-Bewegung also beitreten, und sich auch für diese von Gott in Dienst nehmen lassen", so der Theologe im Interview mit der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag" (aktuelle Ausgabe).
Zulehner sieht die Kirche hierzulande am Ende einer mit der Reformation begonnenen Epoche, bei der mit allen Mitteln der Staates, der Kultur und der politischen Macht versucht worden sei, "dass die Menschen bei uns im Land lückenlos katholisch waren, anderswo protestantisch". Diese "schicksalhafte Gläubigkeit", in der man in Österreich nur katholisch sein konnte oder "ins Jenseits oder ins Ausland ausgewiesen" wurde, sei künstlich erzeugt gewesen - und nun definitiv zu Ende.
Bei der Wahl-Kirche der Zukunft werde es nicht um "Wellness-Frömmigkeit", sondern um Berufung gehen, so die Überzeugung des Theologen. "Wenn jemand spürt, dass Gott in seinem Leben eine Bedeutung hat und dass er ihn braucht, dann wird er wie ein Priester bei seiner Weihe sagen: Herr, hier bin ich, was traust du mir zu?" Pfarrgemeinden müssten derartige persönliche Lebens- und Glaubenswege begleiten und Menschen gewinnen, die "das Evangelium in die Gesellschaft hinein verflüssigen".
Evangelium keine "zu gute Nachricht"
Oft werde das Evangelium allerdings als "zu gute Nachricht" dargestellt, bemängelte Zulehner. In Wahrheit gehe es darin nicht um Glück, Freude und das "blauäugige Versprechen: Jesus liebt dich, und alles ist wunderbar", sondern um das Glücken des Lebens. Die Kunst bestehe darin, auch das viele Leid des Menschen, seine Krankheit und Armut zu integrieren und Wege zu überlegen, wie diese bekämpft werden können. Tauche jemand ein bei Gott, "kann dieser Mensch gar nicht anders, als bei den arm gehaltenen und arm gemachten Menschen aufzutauchen", so Zulehner, Nachsatz: "Und manchmal ist es auch umgekehrt."
Den Aufruf von Papst Franziskus, das Evangelium als Arznei in das Leben der Menschen hineinzutröpfeln, Wunden zu heilen und ein Feldlazarett zu sein, müsse die Kirche auch angesichts der Flüchtlingsproblematik umsetzen. Diese bezeichnete Zulehner als "Lesehilfe für den Zustand Europas": Die Jahrzehnte, in denen Westeuropa erfolgreich eine "Insel des Reichtums inmitten einer Wüste der Armut" sein konnte, seien vorüber. Daraus ergäben sich soziale Abstiegsängste in der Bevölkerung, die von der Politik tragischerweise vermehrt statt verringert würden.
Friede sei jedoch nur dann möglich, wenn es mehr Gerechtigkeit zwischen Reich und Arm und zwischen den Regionen der Welt gebe. Derzeit ziehe es viele Menschen in die reichen Länder Mitteleuropas, "nicht nur, weil sie arm sind, sondern weil sie keine Hoffnung haben, dass die Armut überwunden werden kann", so der Pastoraltheologe. Sie seien deshalb keine Wirtschafts- oder Armutsflüchtlinge, sondern "Hoffnungsflüchtlinge", die man in einem gerechteren Europa durchaus besser verteilen könnte.
Quelle: kathpress