Einigung Europas nicht "zurückbuchstabieren"
Kardinal Christoph Schönborn hat im Blick auf die anstehende Stichwahl zum Bundespräsidentenamt davor gewarnt, den Prozess der europäischen Einigung "zurückzubuchstabieren". Wie "seit Jahrzehnten üblich", gebe er und andere Bischöfe keine Wahlempfehlungen ab, im Vertrauen darauf, dass die Katholiken in Österreich nach ihrem besten Wissen und Gewissen entscheiden, sagte er in einem Interview in der Donnerstag-Ausgabe der "Kleinen Zeitung", dem ein Besuch des "Medienbischofs" in der Grazer "Styria"-Zentrale vorausging.
Zugleich sprach sich der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz dafür aus, den Weg des Aufeinanderzugehens der europäischen Länder nicht zu verlassen. "Weil ich zutiefst überzeugt bin vom Friedensprojekt Europa, das nicht vollkommen ist", begründete der Kardinal. Gegenüber einer "abgeschotteten Nationalstaatlichkeit, die so viel Unheil über Europa gebracht hat", sei der Weg der Einigung "unvergleichlich wünschenswerter". Dass hier in der Flüchtlingsfrage ein "Auseinanderbrechen" drohe, halte er "sogar für das eigentliche Drama", erklärte Schönborn. "Nach 70 Jahren des Aufeinanderzugehens, nach den schrecklichen Erfahrungen der zwei Weltkriege strebt Europa wieder auseinander. Das ist furchtbar kurzsichtig. In vielen Dingen leben wir heute ja völlig selbstverständlich ein europäisches Miteinander. Und das soll alles plötzlich zurückgeschraubt werden?"
Zu den zur Wahl stehenden Bundespräsidentschaftskandidaten äußerte sich der Wiener Erzbischof nicht. Beide Kandidaten kämen aus politischen Richtungen, die in manchen Aspekten "ein gewisses Naheverhältnis zum Christentum" haben; bei anderen Punkten gebe es "eher kritische Distanz". Bei allen bestehenden "unterschiedlichen Sensibilitäten und Traditionen" würden aber alle Parteien, die innerhalb des Verfassungsbogens sind, "in die politische Landschaft Österreichs" gehören. Er - Schönborn - werde dem von der Mehrheit der Bevölkerung gewählten Bundespräsidenten "respektvoll gegenüberstehen".
Große Koalition in "Gefahr der Abnützung"
Auf die Frage, ob Unzufriedenheit mit der regierenden SPÖ-ÖVP-Koalition zu deren Niederlage in der ersten Runde der Hofburg-Wahl geführt hat, antwortete der Kardinal: Das bisherige politische System habe Österreich Wohlstand und Stabilität beschert. "Die Kehrseite ist das Packeln", befand Schönborn. "Wenn zwei Großparteien so lange an der Macht sind, ist die Gefahr des Missbrauchs und der Abnützung gegeben. Und natürlich entsteht bei den Leuten ein Gefühl des Überdrusses."
Zugleich erinnerte Schönborn daran, dass den Skandal um die Hypo-Pleite - "das wohl größte wirtschaftliche Desaster in diesem Land" - nicht die Große Koalition verursacht habe. "Die daran Schuldigen werden offensichtlich öffentlich nicht als solche wahrgenommen", und er höre von den verantwortlichen "Hauptspielern" wenig reuige Worte über das, was da dem Land zugefügt worden ist. Bei der Frage, weshalb "ausgerechnet die Freiheitlichen Hauptprofiteure des allgemeinen Unbehagens an der Politik" sind, verwies Kardinal Schönborn auf einen "europaweiten Trend". Im Hintergrund stehe wohl, "dass unser Wohlstandsmodell am Ende ist: Jahrzehntelang konnten wir davon ausgehen, dass es jedes Jahr ein Stück besser geht. Jetzt wissen wir, dass es jedes Jahr ein Stück weniger gut geht."
Das Problem "einfacher Lösungen"
Dazu komme das Flüchtlingsthema, wies Schönborn hin. Statt sachlich über Chancen, Gefahren und Herausforderungen der Zuwanderung zu reden, habe sich in Österreich "ein Klima der Angst verbreitet, das auf einfache Antworten hofft". Die Grenzen zuzumachen und eine pauschalisierende "Negativcharakterisierung von Flüchtlingen" seien solche simplen Antworten. "In dieser Stimmung ist es sehr schwer, nüchtern, aber auch hoffnungsvoll auf die Wirklichkeit zu blicken", bedauerte der Kardinal. Dass die Stimmung im Land sehr besorgt ist, sei "verständlich". Jedoch, wie Schönborn einschränkte: "Die Verheißung einfacher Lösungen wird einmal eingelöst werden müssen. Dessen muss sich jede politische Partei bewusst sein."
Ohne Wenn und Aber offene Grenzen zu fordern, macht niemand Vernünftiger, erklärte der Wiener Erzbischof. Er selbst habe "von Anfang an sehr klar gesagt, dass die Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen, nicht grenzenlose Offenheit bedeuten kann". Angesichts von potenziellen 200 Millionen Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten sei es "das Vordringlichste, den Menschen zu Lebensmöglichkeiten in ihrer Heimat zu verhelfen, statt sie in Österreich teuer, aufwendig und nicht immer mit Erfolg zu integrieren". Dazu nötig seien endlich Frieden in Syrien und ein Marshallplan für Afrika.
Für die Bundesregierung gebe es beim Umgang mit Flüchtlingen die Genfer Flüchtlingskonvention als Parameter, an dem auf jeden Fall festzuhalten sei: "Flüchtlinge sind als Flüchtlinge zu behandeln. Das ist Völkerrecht! Das ist Menschenrecht!", betonte Schönborn.
Nicht nur Faymann ließ Mut vermissen
Die Wende in der Flüchtlingspolitik hin zu Grenzschließungen war nach den Worten des Kardinals auch ein Punkt, mit dem er sich beim jüngst zurückgetretenen, ansonsten von ihm geschätzten Bundeskanzler Werner Faymann "schwergetan" habe. Diesen Kurswechsel, die für Schönborn nur "als provisorische Notmaßnahme" akzeptabel sei, habe freilich die ÖVP schon vor Faymann vollzogen. Mit dem Kanzler habe er "eine ausgezeichnete Gesprächsbasis" gehabt. Faymann sei "ein überzeugter Christ", kirchlich verheiratet, mit getauften Kindern, nie aus der Kirche ausgetreten. "Das ist für einen engagierten Sozialdemokraten doch auch ein beachtliches Zeugnis", so Schönborn.
Auf die Frage, ob Faymann nicht zu sehr "Moderator" gewesen sei und Mut zu Reformen habe vermissen lassen, antwortete der Kardinal, auch er "hätte erwartet, dass SPÖ und ÖVP die dringend notwendigen Reformschritte setzen in der Pensionsfrage, in der Bundesstaatsreform und und und. Dazu gibt es schließlich eine Große Koalition." Versäumnisse hier könne man aber nicht einseitig Faymann vorwerfen. "Das ist schon ein Problem der Koalition insgesamt gewesen", sagte Schönborn. Er kenne "keinen Kanzler, keinen Bischof und nicht einmal einen Papst, der alle Qualitäten hat, die für sein Amt wünschenswert wären".
Quelle: kathpress