"So wird eine Pianistin Ordensfrau und bleibt Pianistin"
Mehr Ordensfrau oder Konzertpianistin? Joanna Jimin Lee muss nicht nachdenken: "Beides", antwortet sie prompt und plötzlich breitet sich ein weites hörbares Lachen über das Gesicht der zierlichen Koreanerin aus. Seit 2013 lebt Sr. Joanna als "Missionarin Christi" in Wien. Ihr Talent fürs Klavierspielen führte sie von Korea über St. Petersburg nach Wien. Ihr Herz pendelte zwischen der Leidenschaft für die Musik und ihrer Beziehung zu Jesus - heute ergänzen sich ihre beiden Berufungen, aus dem "entweder oder" ist ein "sowohl als auch" geworden. - "So wird eine Pianistin Ordensfrau und bleibt Pianistin."
Ihr erstes Gelübde legte Joanna als Kind ab, still und für sich bei ihrer Erstkommunion in Pohang, im Süden Koreas. Die Familie der Konzertpianistin gehört zur katholischen Minderheit, die Hausarzt-Praxis des Vaters lag auf dem Grund der Pfarre neben dem Pfarrhaus. Die Wechselbeziehung zwischen Musik und Glaube bestimmte bereits die Kindheit der Koreanerin. Beide Töchter sollten so gut Klavier spielen, "dass wir eine Messe passabel begleiten können", so der Wunsch der Mutter. Aus dem "passabel Begleiten" wurde eine Berufung. Joannas Schwester lebt heute als Organistin in den USA.
Die Mutter erkannte das Talent der Tochter bald und mit dieser Erkenntnis kam die Bestrebung, die Begabung der Tochter ordentlich zu fördern. Dass Joanna Jimin Lee heute Konzertpianistin ist, verdankt die zierliche Koreanerin aber einem Auftritt mit dem Seoul Symphony Orchestra. Joanna war damals 14, auf dem Konzertprogramm stand ein Mendelssohn-Konzert. Den Auftritt beschreibt sie als "besonderes Gefühl, als Empfinden mit dem Publikum eins zu sein". Dieses Gefühl war fortan Motivation für ihr Klavierspiel. Die Pianistin versteht sich als Transportmittel: "Wenn ich an das Publikum weitergeben kann, was ich aus dem Notenbild an Stimmung und Gefühl herauslese, bin ich glücklich, selber beschenkt."
Wettbewerbe und Konkurrenzdruck ließen die eigentliche Motivation der damals 14-Jährigen mit der Zeit in den Hintergrund treten, mit der Folge, "dass ich unzufrieden war und mich fragte, wieso mache ich das eigentlich?". Für Ruhm, Ehre und Reichtum wollte sie nie spielen.
Weg zur Pianistin verlangt Opfer
Sr. Joanna sitzt mir im Ordenszentrum "Quo vadis?" in Wien gegenüber; ihre Hände spielen mit dem dunklen Ring - einem Zeichen der Solidarität mit den Armen -, der ihren kleinen rechten Finger umschließt. Die tiefschwarzen Haare trägt sie in einem Pagenkopf, eine randlose Brille passt sich perfekt in ihr Gesicht ein. Die Geschichte ihrer musikalischen Laufbahn erzählt mir die zierliche Koreanerin wieder mit ernstem Gesicht. Mit 15 ging sie nach St. Petersburg. Der Weg zur erfolgreichen Konzertpianistin verlangte nicht nur dem Teenager sondern auch der Familie Opfer ab. Immer wieder war die Familie getrennt, die Mutter lebte zeitweise bei der Tochter in St. Petersburg und Österreich. In typischer koreanischer Manier hielt die Familie für die Karriere der Tochter durch.
Die ersten Erfolge Joannas gaben dem Elternhaus recht. Als 16-Jährige hatte die Tochter ihren ersten internationalen Erfolg beim Chopin-Wettbewerb in Darmstadt. In der folgenden Studienzeit in Wien und bei Hans Leygraf in Salzburg war sie immer wieder Preisträgerin bei international angesehenen Wettbewerben in Porto, Zaragoza und Genf. In Wien gewann sie 2000 den Bösendorfer-Wettbewerb. 2007 nahm sie die Professur an der Ewha Womans University in Seoul an. In der Musikwelt hatte es die Koreanerin sprichwörtlich "geschafft", glücklich machte sie das aber nicht.
Ihren Glauben hatte die junge Pianisten nie ganz verloren. Das weltweit in allen Sonntagsmessen verlesene Evangelium gab ihr das Gefühl, mit ihrer Familie verbunden zu sein, im Gebet suchte sie Kraft und Unterstützung. Und trotzdem sei ihre Glaube noch unreflektiert gewesen. Die tiefe Jesus-Beziehung, die ihr Leben heute kennzeichnet, reifte erst nach einer Glaubenskrise in Wien. "Ich habe plötzlich nicht mehr alles unhinterfragt geglaubt. Wer ist dieser Jesus eigentlich, wie kann er Gott und Mensch zu gleich sein und wie ist eine jungfräuliche Geburt möglich?", spukte es damals durch ihren Kopf. In diese Zeit fallen auch der Besuch der Theologischen Kurse und der Beginn einer folgenschweren Freundschaft, jener zu Sr. Ruth Pucher, ebenfalls Missionarin Christi.
Im zweiten Jahr der Professur in Seoul dachte sie als angesehene Professorin seit langem wieder über das Gelübde nach, das sie als Kind gemacht hatte. Ein Jesuit habe sie damals gefragt, ob sie schon einmal darüber nachgedacht habe, Ordensschwester zu werden. Der weitere Weg bis zum Ordenseintritt war gesäumt mit Gesprächen, Gebeten, Exerzitien, die schließlich 2009 in den Eintritt mündete. "Ich hab einfach gespürt, das passt jetzt." Die Wahl der Ordensgemeinschaft war schnell getroffen. Sie kannte die "Missionarinnen Christi", war zuversichtlich, dass sie sich dort nicht verbiegen und ihre Persönlichkeit einer Ordensgemeinschaft ganz unterordnen müsse. Heuer hat Sr. Joanna zum zweiten Mal ihr zeitliches Gelübde für weitere 3 Jahre verlängert, "ich kann es mir aber auch längerfristig vorstellen", ist sie überzeugt.
Auch in der "Nonnen-WG" wird heiß diskutiert
Seit 2013 teilt sich Sr. Joanna nun eine Doppelhaushälfte mit Sr. Ruth und einer dritten Mitschwester. Den gemeinsamen Haushalt beschreibt sie ähnlich dem in einer "weltlichen Wohngemeinschaft". Auch in der "Nonnen-WG" wird heiß über Putzpläne und Badezimmerzeiten diskutiert; bis zu jenem kritischen Moment, an dem "ich mich tatsächlich fragte, ob es das wert ist, ob es sich als Mit-30erin lohnt, sich über Putzpläne zu ärgern". Bis zum Ordenseintritt führte die 39-Jährige ihren Alltag nach ihren Vorgaben. Heute sind Absprachen nötig, will sie die Gewürze in der Küche neu ordnen oder Möbel verrücken. Rückblickend wertet sie die "Reibungen und Diskussionen" als Chance, daran zu wachsen.
Der Universität ist sie treu geblieben. Die Musikerin arbeitet als Seelsorgerin für Musikstudierende im Auftrag der Erzdiözese Wien. Musikalische Akzente setzt sie auch in ihrer Arbeit im Ordenszentrum "Quo Vadis?". Dort bietet sie Studierenden jeden Mittwoch eine Bühne, "auf der sie nicht perfekt sein müssen und Erfahrung sammeln können". Ihren nächsten großen Auftritt hat die Ordensfrau in Innsbruck im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50-Jahr-Jubiläum der Vereinigung der Frauenorden. Gemeinsam mit dem oberösterreichischen Vokalensemble "LALA" gibt die "Missioarin Christi" am Freitag, 29. April, ein Konzert im Innsbrucker Congress.
Im Orden hat Sr. Joanna jenes Gefühl wieder gefunden, das sie als 14-Jährige dazu bewogen hatte, Pianistin zu werden. Heute spielt sie nicht mehr für Ruhm und Erfolg. Heute lässt sie wieder teilhaben an jenem Leben, "wie ich es in der Musik empfinde. Tiefs und Hochs unserer menschlichen Gefühle Ausdruck geben; frei von Berührungsangst begegnen und kommunizieren. Dann geschieht immer wieder, was ich als Jugendliche erlebt habe: Es entsteht eine Schwingung im Raum, fremde Herzen öffnen sich, die Haut wird dünner und der Atem fließt ganz von selbst. So wird eine Pianistin Ordensfrau und bleibt Pianistin."
Quelle: kathpress