Sozialenzykliken markieren historische Wendepunkte
Es braucht eine ganzheitliche Ökologie, die der Gerechtigkeit dient: Mit dieser zentralen Forderung aus seiner Enzyklika "Laudato si" hat sich Papst Franziskus laut dem Kärntner Bischof Alois Schwarz in die Reihe jener Päpste gestellt, die mit ihren Sozialenzykliken immer wieder besondere Verwerfungen in der gesellschaftlichen Entwicklung markierten. Sie hätten beginnend mit Leo XIII. und "Rerum novarum" immer wieder wegweisende Impuls für das soziale Zusammenleben gesetzt - in Herausforderungen wie der Arbeiterfrage, der totalitären Systeme der 1920-er und 1930-er Jahre, dem Kalten Krieg mit seiner atomaren Bedrohung, der Verelendung des globalen Südens oder dem Zusammenbruch des Kommunismus. Franziskus werbe nun für einen "prophetischen und kontemplativen Lebensstil" nach dem Grundsatz "weniger ist mehr", so Schwarz.
Der in der Österreichischen Bischofskonferenz sowohl für Umwelt- als auch für Wirtschaft und Soziales zuständige Kärntner Bischof äußerte sich in einem "Kathpress"-Interview anlässlich der Jubiläen der Papstschreiben "Rerum novarum" und "Centesimus annus". Die erstgenannte präsentierte Leo XIII. am 15. Mai 1891 und gilt als die "Mutter aller Sozialenzykliken", hundert Jahre danach veröffentlichte Johannes Paul II. am 1. Mai 1991 "Centesimus annus".
Angesichts der Opfer, die die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008, die Eurokrise seit 2010 und Phänomene wie in den "Panama Papers" verursacht habe, ist es für Bischof Schwarz "vermessen, von einem Sieg des Kapitalismus zu sprechen". Vor diesem Triumphalismus und der Gefahr verweigerter Systemkorrekturen hatte schon Johannes Paul II. die westlichen Staaten nach dem Scheitern des Kommunismus gewarnt. Der von Papst Leo empfohlene "dritte Weg" zwischen einem sozialvergessenen Liberalismus und kollektivfixierten Kommunismus könnte nach dem Dafürhalten von Schwarz in einer ökosozialen Marktwirtschaft liegen, die eine ihrer Wurzeln in der Soziallehre der Kirche sieht. "Obgleich im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung weltweit eine gewisse Vereinheitlichung festzustellen ist, wird es unterschiedliche Lösungsansätze brauchen, die der jeweiligen Region, Kultur und den politischen Systemen angemessen sind", erklärte der Bischof.
Die begrenzten Ressourcen der Erde und zunehmende Umweltkrisen erforderten freilich eine Umkehr im Sinne von Papst Franziskus: Wachstum sei nicht einzig am steigenden Konsum zu bemessen. Und es brauche eine "Abkehr von einseitigen Messungen der Wirtschaftsleistung und des Wachstums anhand isolierter Parameter" - nach der Einschätzung von Bischof Schwarz ein "Auslaufmodell". Er empfiehlt demgegenüber einen offenen Dialog mit weltweiten Bestrebungen, die sich mit "Wohlstand ohne Wachstum" und mit alternativen regionalen - "und deshalb weniger krisenanfälligen" - Wirtschaftsmodellen beschäftigen. Schwarz erinnerte hier an die auch im ökumenischen Sozialwort aufgeführten Ansätze von alternativen Ökonomien und "Sozialregionen".
"Qualität löst Quantität ab"
"Qualität löst Quantität ab" - so das Plädoyer von Bischof Schwarz im Sinne des Papstes. "Wir bewahren den Planeten Erde, indem wir seine Ökosysteme weniger, pfleglicher und anders nutzen." Nachhaltigkeit sei aber auch untrennbar mit dem Streben nach höherer Lebensqualität verknüpft, wies Schwarz hin. Sie setze Wachstum, Aufstieg und Fülle voraus, "allerdings geht es dabei nicht um quantitatives Wachstum, sondern um persönliches und kollektives Wachstum, das von Ehrfurcht, Achtsamkeit, Gerechtigkeit und Solidarität gekennzeichnet ist". Gelinge die Umkehr dazu, "werden wir weltweit auch Fortschritt und Wohlstand innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde schaffen", zeigte sich der Bischof optimistisch.
Befragt nach konkreten Beiträgen der Kirche nannte Schwarz deren Vorreiterrolle im Bereich ökosoziales Wirtschaften, die von den österreichischen Bischöfe im November 2015 mit entsprechenden Selbstverpflichtungen unterstrichen worden sei. Forderungen im Hinblick auf das Gemeinwohl auch der künftigen Generationen würden glaubwürdig, je mehr innerkirchliche Entsprechungen es dafür gebe. "Als Arbeitgeberin, Unternehmerin, Eigentümerin von Geld- und Grundvermögen, Hausherrin und Betreiberin großer Liegenschaften ist die Kirche auch Wirtschaftsakteurin", sagte Schwarz. Nachhaltigkeitsmaßstäbe in Bereichen wie ethisches Investment, Energieeffizienz, Klimaschutz oder Beschaffungswesen "müssen auch in der Kirche als Wirtschaftsunternehmen wirksam sein".
Zudem sei es ihm ein wichtiges Anliegen als Diözesanbischof, Wirtschaftsethik nicht nur in kircheneigenen Betrieben umzusetzen, sondern auch im Bereich der Bildung und für die Wirtschaft die passenden Angebote zu machen.
Erwartungen an Christdemokraten
Auch die Parteien mit dem "C" im Programm oder Namen sieht Bischof Schwarz im Hinblick auf eine "enkeltaugliche" Politik besonderen Erwartungshaltungen ausgesetzt. Vordergründig zeige sich bei ihnen immer wieder eine "Diskrepanz zwischen der Ebene der Werte und den gesetzten Handlungen" - wobei auch die dazwischen liegende Ebene der empirischen Rahmenbedingungen beachtet werden müsse.
Auf die Frage, ob "christliche Politik" in einem zunehmend nationalistisch ausgerichteten Europa an Bedeutung verliere, antwortete Schwarz: "Es gibt hier tatsächlich einige aktuelle Entwicklungen, die Sorge bereiten und das ganze Projekt Europa in eine Schieflage bzw. an den Rand des Zusammenbruchs bringen." Der Bischof hält große Anstrengungen für erforderlich, "um das momentan schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen". Nationalismus mit "christlicher Politik" zu begründen "konterkariert sich von selbst", so Schwarz. "Die Kirche kann hier in keine Richtung schweigen."
Quelle: kathpress