Bundespräsidentschaftswahl: "Angst ist kein guter Ratgeber"
Die sechs Kandidaten für die Wahl zum Bundespräsidenten am kommenden Sonntag haben in einer Umfrage der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" ihre persönliche Einstellung zu den Themen Religion, Glaube und Lebensqualität erläutert. Trotz unterschiedlicher Haltungen hinsichtlich des Glaubens an Gott waren sich Irmgard Griss, Alexander van der Bellen, Norbert Hofer, Rudolf Hundstorfer, Andreas Khol und Richard Lugner einig, dass Religionen dem Leben Orientierung und Sicherheit geben könnten.
Irmgard Griss, von 2007 bis 2011 Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, betonte, Religion helfe, "Urvertrauen zu haben" und gebe "einen moralischen Maßstab" vor. "Religion ist Lebenshilfe", so Griss. Sie selbst sei katholisch und glaube an Gott. Auf die Frage, was für sie Lebensqualität ausmache, betonte sie den Wert der Selbstbestimmung. Ein gutes Leben bestehe darin, dass man eine Aufgabe gefunden habe "und sich bemüht, diese Aufgabe zu erfüllen, um einen Beitrag zu leisten, dass die Welt ein besserer Ort wird", so Griss.
Alexander van der Bellen, von 1997 bis 2008 Bundessprecher der Grünen, glaubt eigenen Angaben zufolge nicht im "engeren Sinn" an Gott, aber an die Botschaft des Neuen Testaments. In der Umfrage hob er das soziale Engagement hervor, das häufig religiöse motiviert sei. "Das schätze ich sehr, egal in welcher Religion", so van der Bellen, für den unter anderem Beziehungen zu Freunden, gutes Essen und Spaziergänge Lebensqualität bedeuten.
Für Norbert Hofer (FPÖ), dritter Präsident des Nationalrates, ist der Glaube an Gott "ein Leuchtturm". Er zeige ihm bei schwierigen Entscheidungen, "in welche Richtung ich gehen muss". Religion und das tägliche Gebet seien für ihn eine Art "Batterie, wo ich mich aufladen kann". Zu einem guten Leben gehört aus Sicht Hofers Dankbarkeit als "Schlüssel zum Glück" - etwa dafür, "dass die Kinder die Schule besuchen dürfen - das gibt es nicht überall, dass man das Wasser trinken kann, das aus der Wasserleitung kommt".
SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer, von 2008 bis 2016 Sozialminister und eigenen Angaben zufolge ohne religiöses Bekenntnis, sieht die Aufgabe von Religion in der Vermittlung humanitärer Werte. "Vieles würde auf lokaler Ebene gar nicht funktionieren ohne der Tätigkeit der Glaubensgemeinschaften. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft", so Hundstorfer. Aus diesem Grund bemühe er sich um einen guten Kontakt zu den anerkannten Religionsgemeinschaften. Vor allem mit Repräsentanten der katholischen Kirche pflege er einige persönliche Freundschaften.
Der Unternehmer Richard Lugner betonte, er sei römisch-katholisch und glaube "natürlich auch an Gott". Er habe vor mehr als 30 Jahren die erste große Moschee in Wien gebaut - Voraussetzung für den Auftrag sei die Zugehörigkeit des Bauherren zu einer monotheistischen Religion gewesen - er habe als Christ den Zuschlag bekommen. Ein gutes Leben sei für ihn ein "erfolgreiches Leben - gemeinsam mit einer Familie natürlich".
Auch ÖVP-Kandidat Andreas Khol, von 2002 bis 2006 Präsident des Nationalrates, glaubt eigenen Angaben zufolge an Gott und weist der Religion einen hohen Stellenwert zu. Religionen seien Orientierungshilfe und "unersetzliche Wertestifter" in der Gesellschaft. "Sie richten den Menschen auf ein spirituelles Ziel aus", so Khol. Für ihn sind sie daher ebenso Bestandteil eines guten Lebens, wie das "sinnerfüllte Dasein in Familie und Gemeinschaft", "geglückte menschliche Beziehungen" und "eine sinnvolle Aufgabe für die Gemeinschaft".
Meinungsforscher erwarten Dreikampf
Laut Meinungsforschern könnte es am Sonntag zu einem Dreikampf kommen: Aktuellen Umfragen zufolge haben vor allem FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, Alexander Van der Bellen (Grüne) sowie die Unabhängige Irmgard Griss Chancen auf den Einzug in die Stichwahl. Abgeschlagen sehen die Meinungsforscher SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer, ÖVP-Bewerber Andreas Khol und Richard Lugner.
"Entängstigt euch!"
Einen Kontrapunkt zu heute vorherrschenden Ängsten und Zukunftssorgen etwa in der Flüchtlingsfrage oder wegen der Arbeitslosigkeit hat Kardinal Christoph Schönborn gesetzt: "Angst ist kein guter Ratgeber", schrieb er am Freitag in seiner wöchentlichen Kolumne in der Gratiszeitung "Heute". Mit Angst ließen sich "keine Gegenwartsprobleme lösen, keine Hoffnungsperspektiven entwickeln". Auch Eltern würden ihre Kinder nicht zukunftstauglich machen, wenn sie nur Grenzen ziehen und vor Gefahren warnen, statt deren gute Anlagen zu fördern. "Genau das brauchen wir jetzt für unser Land", betonte der Wiener Erzbischof zwei Tage vor der Wahl des Bundespräsidenten.
Seine Gedanken stellte der Kardinal unter den Titel "Entängstigt euch!", den auch der Wiener Theologe Paul M. Zulehner für sein jüngstes Buch - laut Schönborn "ein echter Mutmacher" - wählte: "Wo viele Probleme sehen, zeigt er Chancen." Schönborn erinnerte auch an die Begeisterung rund um Präsident Obamas Wahlkampfslogan "Yes, we can!" und äußerte die Hoffnung: "Wie sehr brauchen wir jetzt Menschen in allen Bereichen, die nicht Ängste schüren, sondern mögliche Schritte zeigen." Das in Österreich beliebte Jammern bringe dagegen nicht weiter. Und der Kardinal führte auch die Bibel für seinen Appell ins Treffen, wo es auf jeder zweiten Seite heiße: "Fürchtet euch nicht!"
Schönborn betonte zudem, wie wichtig es sei, dass möglichst viele Staatsbürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten. "In vielen Ländern wären die Menschen froh, wenn sie überhaupt wählen könnten."
"Muss nicht ein perfekter Kandidat sein"
"Es muss nicht ein perfekter Kandidat sein. Er oder sie muss nur halbwegs passen": Mit diesem Aufruf zur Gelassenheit wandte sich Michael Prüller, der Sprecher Kardinal Schönborns und Chefredakteur der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag", in deren jüngster Ausgabe an jene Leser, die womöglich Schwierigkeiten hätten, sich bei der Bundespräsidentenwahl für einen Kandidaten entscheiden zu können. Das Votum sei ja "nicht eine vollinhaltliche Zustimmung zu einem Menschen, seiner Persönlichkeit, seiner Ideologie, seiner Partei und seinem Programm", betonte Prüller.
Eine "gute Richtschnur" für die Wahl könne sein, jenen Menschen zu wählen, "von dem man am ehesten glaubt, dass er für die Freiheit einsteht, nicht nur der Christen, sondern auch für die Freiheit und die Würde der Menschen am Rande der Mehrheitsgesellschaft".
Wie ein Staatsoberhaupt in dieser Hinsicht versagen könne, zeigte Prüller am Beispiel des türkischen Präsident Recep Erdogan auf. Dieser verfolge einen "Kurs der Ausgrenzung von religiösen Minderheiten", wenn - wie erst Anfang April wurde - in der Türkei erstmals seit Jahrzehnten wieder ein orthodoxes Kloster, das Metamorphosis-Kloster von Chalki, enteignet wurde. Erdogan zeige sich zwar "gelegentlich generös, betreibt aber die Islamisierung auf dem Rücken der Christen in der Türkei", kritisierte Prüller. "Im Vergleich dazu sind alle unsere Präsidenten harmlos."
Quelle: kathpress