Barmherzigkeit fixer Bestandteil biblischen Glaubens
Barmherzigkeit und Liebe gehören zu jedem biblisch begründeten Glauben: Das war der Tenor auf einem ökumenischen "Minisymposion" zum Thema "Der barmherzige Gott in einer unbarmherzigen Welt", das am Mittwochabend in Wien stattgefunden hat. In Kurzvorträgen legten der lutherische Bischof Michael Bünker, der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Cilerdzic, die Vorsitzende der Katholischen Sozialakademie (ksoe) Magdalena Holztrattner sowie die Obdachlosen-Aktivistin Cecily Corti, Obfrau des 2003 gegründeten Vereins "Vinzenzgemeinschaft St. Stephan", ihre Sichtweisen auf den Begriff Barmherzigkeit dar. Veranstalter waren die Theologischen Kurse und die Stiftung "Pro Oriente".
Barmherzigkeit sei kein Gefühl, das sich einfach herstellen lässt, sondern vielmehr eine von Gott selbst kommende Gnade, führte Bischof Bünker aus. Sie sei ein "spontanes, seinem Wortursprung her sehr körperliches Gefühl", verwies er auf das hebräische Ursprungswort "Rachamim" ("Gebärmutter"), in der "die lebensspendende Mütterlichkeit Gottes" zum Ausdruck komme.
Dass nicht jeder im gleichen Umfang zur Barmherzigkeit fähig sei, sah Bünker bereits in der biblischen Erzählung vom barmherzigen Samariter bestätigt: Nie habe Jesus den vorbeigehenden Priester oder den Leviten dafür als "schlecht" bezeichnet, da sie nicht von Barmherzigkeit ergriffen waren. Nicht verwechseln dürfe man Barmherzigkeit auch mit Gerechtigkeit oder Mitgefühl, da die Barmherzigkeit über diese Kategorien hinausgehe. "Wir Menschen sollten in erster Linie der Gerechtigkeit verpflichtet sein, Gnade oder Barmherzigkeit kommt allerdings ausschließlich vom dreieinigen Gott", so Bünker.
Ähnlich beschrieb auch Magdalena Holztrattner die Barmherzigkeit als eine die Gerechtigkeit übersteigende Kategorie. Das Jahr der Barmherzigkeit, das von Franziskus in einer so unruhigen Zeit ausgerufen wurde, sei "eine Chance für die Kirche, Zeugnis dafür abzulegen, dass die Barmherzigkeit eine zentrale Wesenseigenschaft Gottes ist". Von Staaten könne man zwar nicht erwarten, dass sie Barmherzigkeit üben - diese stehe schließlich über dem Recht -, wohl aber Gerechtigkeit; in Zeiten von Obergrenzen und Asylrechts-Verschärfungen sei diese "auch nicht unbedingt gegeben", so Holztrattner.
"Niemand geht verloren", so Bischof Cilerdzics Deutung von Barmherzigkeit. Auch die Kirche müsse immer wieder eine ausgewogene Balance zwischen Barmherzigkeit und Recht finden. Er halte es etwa - sagte Cilerdzic - für einen Ausdruck von Barmherzigkeit, wenn die Kirche im Einzelfall von der Norm abweicht, wenn klar ersichtlich ist, dass dadurch Gottes Heilsplan besser entsprochen werden könne.
Positiv äußerte sich Cilerdzic in Bezug auf die gelebte Ökumene in Österreich. "Es ist ein wunderbares Zeichen Gottes, dass sich hier alle Kirchen auf Augenhöhe begegnen können, sich kennenlernen und untereinander austauschen". Das baue nicht nur gegenseitige Vorurteile ab, sondern mache auch die Kirchen selbst stärker.
Als konkretes Beispiel nannte Cilerdzic das ökumenische Bemühen um einen orthodoxen Religionsunterricht in Österreich. Das Zustandekommen dieses Unterrichts sei für ihn ebenfalls ein Ausdruck von Barmherzigkeit.
Sie könne mit dem Barmherzigkeits-Begriff im Grunde wenig anfangen, betonte Cecily Corti, derzufolge man alles im "Großbegriff" der Liebe zusammenfassen könne. Worauf es ankomme, sei vielmehr die Umsetzung dieser Theoriekonstrukte in die Praxis. Denn obwohl sie sich selbst seit Jahren für Obdachlose einsetze, empfinde sie keine besondere "Barmherzigkeit", sondern es sei vielmehr "normal, anderen Menschen zu helfen". Corti: "Wir sollen uns, wenn wir anderen Menschen helfen, dadurch nicht besser fühlen, da sonst immer die Gefahr der gönnerhaften Zuwendung besteht". Stets müsse der Empfangende ermächtigt werden, nie aber der Gebende.
Quelle: kathpress