Papst bekräftigt pastorale Neuausrichtung der Kirche
Papst Franziskus bekräftigt den Weg der pastoralen Neuausrichtung der Kirche, in der alle Menschen ihren Platz haben und in der dem persönlichen, geschulten und gereiften Gewissen große Bedeutung zukommt. Das hat Kardinal Christoph Schönborn am Freitag bei der Präsentation des nachsynodalen Schreibens "Amoris Laetitia" von Papst Franziskus betont. Das schließe auch die Möglichkeit des Zugangs zu den Sakramenten u.a. für wiederverheiratete Geschiedene "in gewissen Fällen" ein.
Das päpstliche Schreiben umfasst neun Kapitel auf knapp 190 Seiten und wurde von Kardinal Schönborn gemeinsam mit Kardinal Lorenzo Baldisseri, dem Synoden-Generalsekretär, im Vatikan der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Papst vertiefe in seinem Schreiben die Bedeutung der ehelichen und familiären Liebe und leite dazu an, wie es gelingen kann, "den Wert und den Reichtum der Ehe zu entdecken", betonte Schönborn. Zugleich werde aber auch schmerzlich sichtbar, wie verletzend die Erfahrungen vom Scheitern einer Beziehungen sein könne. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass besonders die Frage, wie die Kirche mit Verwundungen der Liebe und dem Scheitern von Beziehungen umgeht, so zentral sei. Für viele sei sie zur Testfrage geworden, "ob die Kirche wirklich der Ort erfahrbarer Barmherzigkeit Gottes ist", so Schönborn.
Zwei Fehlhaltungen benenne Papst Franziskus in diesem Zusammenhang ausdrücklich, erläuterte der Wiener Erzbischof: Zum einen die des Rigorismus. Der Papst schreibe wörtlich in Abschnitt 305: "Daher darf ein Hirte sich nicht damit zufrieden geben, gegenüber denen, die in 'irregulären' Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft. Das ist der Fall der verschlossenen Herzen, die sich sogar hinter der Lehre der Kirche zu verstecken pflegen." Andererseits dürfe die Kirche auf keine Weise darauf verzichten, "das vollkommene Ideal der Ehe, den Plan Gottes in seiner ganzen Größe vorzulegen", wie es in Abschnitt 307 heißt.
Sakramentenempfang bei "irregulären" Situationen
Über den Zugang zu den Sakramenten für Personen, die in "irregulären" Situationen leben, betone der Papst eingangs die Notwendigkeit, die Situationen gut zu unterscheiden. Wörtlich schreibe der Papst in Abschnitt 305: "Die Unterscheidung muss dazu verhelfen, die möglichen Wege der Antwort auf Gott und des Wachstums inmitten der Begrenzungen zu finden. In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade und des Wachstums und nehmen den Mut für Wege der Heiligung, die Gott verherrlichen".
Franziskus erinnere zudem an ein Wort, das er in seinem Schreiben "Evangelii gaudium" geschrieben hatte: "Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen". Im Sinne dieses "Weges der Liebe " ("via caritatis") sage der Papst dann schlicht und einfach in einer Fußnote, dass auch die Hilfe der Sakramente "in gewissen Fällen" gegeben werden kann, erläuterte Schönborn.
Dazu biete der Papst aber keine Kasuistik und keine Rezepte, sondern verweise einfach an zwei seiner bekannten Worte aus dem Schreiben "Evangelii Gaudium": "Die Priester erinnere ich daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn" und: "Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen".
Wie Kardinal Schönborn weiter ausführte, wisse er wohl um die Sorgen von Bischöfen, Priestern und Gläubigen, die sich ob der geforderten "Unterscheidung der Situationen" überfordert fühlten, wenn dies nicht genauer geregelt sei. So schreibe der Papst wörtlich in Abschnitt 308: "Ich verstehe diejenigen, die eine unerbittliche Pastoral vorziehen, die keinen Anlass zu irgendeiner Verwirrung gibt." Dem halte er aber in Abschnitt 311 entgegen: "Wir stellen der Barmherzigkeit so viele Bedingungen, dass wir sie gleichsam aushöhlen und sie um ihren konkreten Sinn und ihre reale Bedeutung bringen, und das ist die übelste Weise, das Evangelium zu verflüssigen."
Logik der Integration
Der Kardinal hob positiv hervor, dass in dem Dokument konsequent die künstliche und äußerliche Trennung von "regulär" und "irregulär" überwunden wird und alle unter den gemeinsamen Anspruch des Evangeliums gestellt würden. Dieses Prinzip der Inklusion wende der Papst ausdrücklich auch auf die Wiederverheirateten Geschiedenen an, wenn er in Abschnitt 299 schreibe: "Die Logik der Integration ist der Schlüssel ihrer pastoralen Begleitung (...) Sie sollen sich nicht nur als nicht exkommuniziert fühlen, sondern können als lebendige Glieder der Kirche leben und reifen, indem sie diese wie eine Mutter empfinden, die sie immer aufnimmt."
Schönborns Resümee: "Papst Franziskus vertraut auf die 'Freude der Liebe'. Sie weiß den Weg zu finden. Sie ist der Kompass, der uns den Weg zeigt." Nichts sei freilich so anspruchsvoll wie die Liebe. "Sie ist nicht billig zu haben", betonte der Kardinal wörtlich. Deshalb brauche auch niemand zu fürchten, dass Papst Franziskus mit "Amoris Laetitia" auf einen allzu einfachen Weg einlade.
"Keiner muss sich verurteilt fühlen"
Der Wiener Erzbischof erläuterte das neue Papstdokument auch mit sehr persönlichen Worten. In der kirchlichen Rede über Ehe und Familie bestehe oft eine Tendenz, diese zweigleisig zu führen: "Da gibt es die Ehen und Familien, die 'in Ordnung' sind, die den Regeln entsprechen, in denen alles 'stimmt' und 'passt', und dann gibt es die 'irregulären' Situationen, die ein Problem darstellen." Schon mit dem Wort "irregulär" werde suggeriert, dass diese Unterscheidung so fein säuberlich getroffen werden kann.
Wer auf der Seite der "Irregulären" zu stehen kommt, werde damit leben müssen, dass die "Regulären" auf der anderen Seite seien, so der Kardinal: "Wie schmerzlich das für die ist, die selber aus einer Patchwork-Familie stammen, ist mir persönlich vertraut durch die eigene Familiensituation. Die kirchliche Rede kann hier verletzend sein, ja das Gefühl geben, ausgeschlossen zu sein."
Papst Franziskus habe sein Schreiben aber unter das Leitwort gestellt: "Es geht darum, alle zu integrieren", zitierte der Kardinal aus Abschnitt 297. Denn es gehe um eine Grundeinsicht des Evangeliums, dass alle Menschen der Barmherzigkeit bedürften. Schönborn: "Deshalb ist die Lektüre von Amoris Laetitia so wohltuend. Keiner muss sich verurteilt, keiner verachtet fühlen." In diesem Klima des Angenommenseins werde die Rede von der christlichen Sicht von Ehe und Familie "zur Einladung, zur Ermutigung, zur Freude über die Liebe, an die wir glauben dürfen und die niemanden, wirklich und ehrlich niemand ausschließt".
Der Kardinal räumte ein, dass dieses durchgehende Prinzip der Inklusion vielen auch Sorge bereite, ob denn damit nicht dem Relativismus das Wort gesprochen und die so oft angesprochene Barmherzigkeit damit zur Beliebigkeit werde. Papst Franziskus sei aber davon überzeugt, dass die christliche Sicht von Ehe und Familie auch heute eine ungebrochene Anziehungskraft habe, betonte Schönborn.
"Sprachereignis" und synodaler Prozess
"Amoris Laetitia" sei für ihn vor allem auch ein "Sprachereignis", wie es schon "Evangelii gaudium" war, führte Kardinal Schönborn weiter aus. Etwas im kirchlichen Diskurs habe sich gewandelt. Dieser Wandel der Sprache sei schon während des synodalen Weges spürbar geworden, merkte Schönborn an: "Zwischen den beiden Synodensitzungen von Oktober 2014 und Oktober 2015 ist deutlich erkennbar, wie der Ton wertschätzender geworden ist, wie die verschiedenen Lebenssituationen einfach einmal angenommen werden, ohne sie gleich zu be- oder verurteilen." In "Amoris Laetitia" sei dies zum durchgehenden Sprachstil geworden.
Der Papst betone dabei auch ausdrücklich, dass er sich damit die ihm vorgelegten Aussagen der beiden Synoden zu eigen mache, so Schönborn. Der Kardinal sprach wörtlich von der "Fruchtbarkeit der Vorgangsweise" von Papst Franziskus. Dieser habe ausdrücklich eine offene Diskussion über die pastorale Begleitung von komplexen Situationen gewünscht, und er habe sich in seinem Schreiben nun weitgehend auf die von den beiden Synoden ihm vorgelegten Texte stützen können.
Der Papst spreche sich für einen klaren Blick auf die nüchterne Realität der Familien aus. Dieser Realismus führe aber nicht weg vom Ideal sondern bewirke genau das Gegenteil, so Schönborn: "Papst Franziskus schafft es, zusammen mit den Arbeiten der beiden Synoden, einen zutiefst hoffnungsvollen, positiven Blick auf die Familie zu werfen." Doch erfordert dieser ermutigende Blick auf die Familie jene pastorale Neuausrichtung, von der schon das Papstschreiben "Evangelii Gaudium" spricht.
Immer wieder spreche der Papst im Rahmen der pastoralen Neuausrichtung das Vertrauen in das Gewissen der Menschen an, so Schönborn. Wörtlich halte der Papst in Abschnitt 37 fest: "Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen." Dem Gewissen der Gläubigen Raum zu geben, sei für die Verantwortlichen in der Kirche aber oft noch schwer, räumt der Papst laut Schönborn ein.
Quelle: kathpress