Kirchenmitarbeiter sollen sich "aus sicherem Boot" herauswagen
Wagemut und die Fähigkeit, sich nicht von der vermeintlichen Gottesferne bzw. dem weltanschaulichen Pluralismus der Gegenwart einschüchtern zu lassen - das sind nach den Worten des Bochumer Pastoraltheologen Matthias Sellmann die derzeit wichtigsten Haltungen für seelsorglich und kirchlich Tätige. Der deutsche Theologe und sein Team vom "Zentrum für angewandte Pastoralforschung" (ZAP) waren am Mittwoch Gäste bei einem "Tag der Innovation" in der Diözese Graz-Seckau, das vom Grazer "Pastoral-Innovator" Georg Plank mitveranstaltet wurde.
Rund 100 Kirchenmitarbeiter lauschten dabei Impulsen wie jenem, "aus einer bestimmten Komfortzone subventionierter Arbeit" in der Kirche herauszukommen und bei der Glaubensvermittlung neue Wege zu beschreiten. Sellmann verglich die gegenwärtige Kirchensituation mit dem Bericht im Matthäusevangelium über Jesu Gang auf dem Wasser und seine Aufforderung an Petrus, es ihm gleichzutun - letztlich die Einladung, für den Glauben eine neue Basis zu suchen und handlungsfähig zu werden.
In seinen Ausführungen unter der Leitfrage "Welche Kompetenzen sollte Pastoral heute für morgen lernen?" diagnostizierte Sellmann eine große Komplexität der heutigen Kultur, verursacht durch religiöse Selbstbestimmung "als zentrale Signatur" der Moderne, aber auch durch "epochale" Strukturprozesse in Diözesen und neue Rollenanforderungen an Kirchenmitarbeiter. Damit verbunden sei eine "Krise der Gotteserkennbarkeit und damit der Gottesrede". All dies muss und soll kein Anlass für Verunsicherung, Entmutigung oder Jammerei in der Kirche sein, so der Appell des Bochumer Theologen: "Komplexität ist nicht das Gegenteil von Handlungsfähigkeit."
Der gegebenen Situation könne sehr viel Positives abgewonnen werden. Für Sellmann ist sie sogar "ein Kairos" - ein glückhafter Moment der Geistesgeschichte, der neue Chancen bringt. Vor allem die Hinwendung zur religiösen Selbstbestimmung sei theologisch wie pastoral sehr zu begrüßen. Gott sei "oft nur mehr in seiner Abwesenheit anwesend". Dies erfordere ein neues Reden über ihn, jenseits dessen, was in der traditionellen Verkündigung üblich war. Sellmann nannte als mögliche Analogie die Erfahrung von Liebenden, denen die schmerzliche Trennung oft auch wieder die Tiefe der Beziehung und Liebe bewusst macht.
Neue Chancen durch Säkularisierung
Die Säkularisierung könne - so Sellmann unter Berufung auf Karl Rahner u.a. Theologen - endlich aus der "Verkirchlichung des Christlichen" befreien. Zu erinnern sei dabei an jene provokante Aussage, die Kardinal Mario Bergoglio vor dem Konklave traf: "Jesus rüttelt an der Tür, aber von innen, weil er hinaus will!" Die Folgen für die Organisation Kirche, vor allem im privilegierten deutschsprachigen Raum, beschrieb Sellmann wie folgt: "Endlich kommen wir aus einer bestimmten Komfortzone subventionierter Arbeit heraus und werden mit den vielen Arbeitnehmern vergleichbar, die solche Change-Ansprüche längst zu bewältigen haben."
Es gehe um einen Paradigmenwechsel im "geschützten" kirchlichen Bereich. Denn: "Wir verstehen oft überhaupt nicht mehr, wie es vielen Menschen tatsächlich geht!" Kirchliche Leute fragen laut Sellmann viel zu oft: "Muss ich das auch noch tun? Wie weit muss ich gehen?" Dies solle ersetzt werden durch: "Wie weit darf man unter Ausnutzung aller Möglichkeiten - kirchenrechtlich, dogmatisch usw. - gehen, ja muss man gehen im Blick auf die heutigen Menschen?" An die Grenzen des Möglichen solle um des Christseins willen gegangen werden, unabhängig von kirchlicher Vereinnahmung und Verengung. Sellmann sieht hier die Kirche in ärmeren Ländern, aber auch in den USA, als Vorbilder, die sich bereits viel länger unter Marktbedingungen bewähren müssen. Sein ermutigender Schlussimpuls: Kirchenmitarbeiter müssen nicht immer elegant und professionell sein. Etwas wagen heiße oft auch scheitern oder peinlich werden. Aber, so der Theologe: "If it doesn't challenge us, it doesn't change us!" (Wenn es uns nicht herausfordert, ändert es uns auch nicht).
Plank: Seid ehrgeizig und gelassen
Georg Plank, früherer Kommunikations-Chef der Diözese Graz-Seckau und Gründer von "Pastoral-Innovation", verwies vor den Zuhörern auf Statistiken aus der Wirtschaft, wonach von zehn guten Ideen meist eine umgesetzt wird, und von zehn umgesetzten Projekten nur eines die angestrebte Wirkung erzielt. "Im kirchlichen Bereich dürfte das Verhältnis eher noch schlechter sein, weil oft überdurchschnittlicher Idealismus durch unzureichende Rahmenbedingungen weniger Erfolg bringt als er verdient." Auf seiner Suche nach Beispielen von innovativen Kirchen habe Plank überrascht, dass Innovatoren oft alles andere als "perfekt" sind. Aber: Sie gäben sich "nie mit Mittelmaß zufrieden". Planks Rat an das Auditorium: "Seid ehrgeizig, und nehmt euch zugleich selbst nicht zu wichtig. Arbeitet ernsthaft und lacht zugleich über die Tollpatschigkeiten, die nicht ausbleiben, wenn Menschen Neues versuchen."
Quelle: kathpress