Patriarch für militärischen Schutz der Christen
Die Terrormiliz IS lässt sich militärisch relativ leicht besiegen und aus dem Irak vertreiben, doch damit ist eine positive Zukunft des Landes noch lange nicht gesichert. Das hat der chaldäisch-katholische Patriarch Louis Raphael Sako im "Kathpress"-Interview betont. Rund 120.000 Christen mussten 2014 im Nordirak vor der Terrormiliz IS aus Mosul und der angrenzenden Ninive-Ebene fliehen. Der Großteil davon hat sich in die nahegelegene sichere kurdische Autonomieregion gerettet, und wartet dort nach wie vor ab. Eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat hält Sako nur dann für realistisch, wenn sie vor Ort von einer internationalen Streitmacht geschützt werden.
Der Patriarch begleitete dieser Tage Kardinal Christoph Schönborn bei seinem Besuch in Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Norden des Irak. Schönborn besuchte zahlreiche Flüchtlingscamps und kirchliche Hilfseinrichtungen.
Die vor Ort in Erbil wahrnehmbare Stimmung, dass der IS noch 2016 militärisch besiegt und aus dem Land vertrieben wird, hielt der Patriarch im "Kathpress"-Interview vor Ort für realistisch. Die meisten Flüchtlinge würden dann auch gerne in ihre Heimatstädte und Dörfer zurückkehren, betonte Sako. Das sei aber auch nach dem IS noch viel zu gefährlich.
Der IS habe sich nur deshalb so rasch im Irak etablieren können, weil der fundamentalistische und extremistische muslimische Nährboden schon lange vorher gelegt worden war. Nicht nur die IS-Kämpfer, sondern vor allem auch die früheren muslimischen Nachbarn der Christen hätten sich 2014 vielfach an deren Vertreibung beteiligt und deren Häuser geplündert. Die Christen aus Mosul und der Ninive-Ebene hätten jegliches Vertrauen in ihre muslimischen Nachbarn verloren. Dieses wieder aufzubauen, werde lange dauern, räumte der Patriarch ein.
Mentalitätswandel nötig
Der fundamentalistische muslimische Nährboden lasse sich militärisch nicht besiegen, sondern müsse langsam durch Bildungsmaßnahmen überwunden werden, so Sako. Die Änderung dieser Mentalität sei freilich zuallererst Aufgabe der Muslime selbst. Kurzfristig brauche es deshalb militärischen Schutz für die Christen in der Ninive-Ebene. Das könne nur eine internationale militärische Streitmacht garantieren, denn der Irak sei ein gespaltenes Land.
Vergeltung und Rache sei ein weit verbreitetes Prinzip in den Gesellschaften des Nahen Ostens, beklagte Sako weiter. Diese Gefahr bestehe auch nach der Herrschaft des IS und wieder neuen Machtverhältnissen in der Region. So werde die Gewaltspirale freilich nur weiter fortgeschrieben, warnte der Patriarch. Die Christen könnten hier ein positive Rolle spielen, indem sie aufzeigten, dass man auf erlittenes Unrecht nicht mit weiterem Unrecht reagieren dürfe.
Die einzige Chance für eine positive Zukunft des Irak liege in der strikten Trennung von Religion und Staat, zeigte sich das chaldäische Kirchenoberhaupt überzeugt. Im Irak müsse sich eine neue "Kultur und Mentalität der Staatsangehörigkeit" herausbilden. Das könne nur gelingen, wenn der Westen Druck auf die Regierung ausübt. Das Selbstverständnis als Bürger des Irak müsse Vorrang haben vor der ethnischen Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit. Das sei freilich gerade in den muslimisch geprägten Stammesgesellschaften im Nahen Osten so schwer zu etablieren. Für den Islam bedeute dies, dass es ohne Reformen nicht gehen werde. Hier seien die islamischen Autoritäten gefordert.
Hoffnungszeichen gegen das Vergessen
Mit dem Besuch von Kardinal Schönborn in Erbil zeigte sich der chaldäische Patriarch sehr zufrieden. "Die Christen hier brauchen das Gefühl, dass sie nicht von der Welt vergessen und isoliert sind." Die spirituelle und moralische Unterstützung sei noch wichtiger als materielle Hilfe, so Sako. Alle anderen Gruppen in der Region würden von außerhalb unterstützt; beispielsweise die Sunniten von den Golfstaaten, die Schiiten vom Iran. Nur die Christen stünden allein da. Die Hilfe des Westens sei viel zu gering, kritisierte der Patriarch. Umso wichtiger sei ein Besuch wie jener von Schönborn. Sako: "Er hat uns Christen hier Hoffnung gebracht."
Nur durch mehr internationale westliche Solidarität sei es möglich, dass es auch weiterhin im Irak Christen geben wird und nicht alle das Land verlassen. Er wolle jedenfalls auf keinen Fall der letzte chaldäische Patriarch sein, der seinen Sitz im Irak hat, betonte Sako.
Vor dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten und dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 lebten im Irak noch bis zu 1,4 Millionen Christen, jetzt sind es im gesamten Land nicht einmal mehr 300.000. Die Christen gehören verschiedenen Konfessionen an, wobei die größten davon die chaldäisch-katholische, syrisch-katholische, syrisch-orthodoxe, assyrische, armenisch-apostolische und armenisch-katholische Kirche sind.
Quelle: kathpress