Errungenschaften für Indigene wieder in Gefahr
Vor Entwicklungen in Brasilien, durch die die Errungenschaften für die indigene Bevölkerung Amazoniens wieder in Gefahr geraten, hat der austrobrasilianische Bischof Erwin Kräutler gewarnt. Mit der Verfassungsänderung von 1988 habe die "brasilianische Apartheid-Geschichte" geendet, die die Indios als "die Wilden" und die Weißen als "die Zivilisierten" betrachtet habe, sagte er in einem Interview in der "Wiener Zeitung" am Dienstag. "Leider Gottes gibt es heute im Nationalkongress wieder beängstigende Bestrebungen, die Verfassung zu ändern und bereits durchgeführte Demarkierungen von Indio-Gebieten zu revidieren", warnte der bisherige Bischof der brasilianischen Amazonas-Diözese Xingu.
Nach seiner altersbedingten Emeritierung Anfang April wird der 76-jährige Kräutler noch bis 2019 der Kommission der Brasilianischen Bischofskonferenz für Amazonien angehören. Den Bischofsstab seiner Diözese wird der gebürtige Vorarlberger nach 35 Jahren an den Franziskanerpater Joao Muniz Alves weitergeben.
Wie Kräutler, 2010 für seinen Einsatz für die Rechte der Indios und die Rettung des Regenwaldes mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, der "Wiener Zeitung" versicherte, würden sich die katholische Kirche in Brasilien und verschiedene Pro-Indio-Organisationen vehement gegen eine neuerliche Entrechtung stemmen. "Unser Kampf für die Rechte der indigenen Völker geht also weiter, und es bleibt zu hoffen, dass ihre in der Verfassung festgeschriebenen Rechte auch in Zukunft Geltung haben und respektiert werden."
Mitte März hatte auch der neue Indigenen-Beauftragte der Brasilianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Roque Paloschi, davor gewarnt, dass die sich in der Amazonas-Region ausbreitende Landwirtschaft den Druck auf die Schutzgebiete der Indios erhöhe. Die verfassungsgemäße Markierung indigener Territorien sollte zwar längst abgeschlossen sein, dies sei aber noch immer nicht der Fall. In einem Interview mit der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur KNA machte Paloschi den von der Agrarlobby beherrschten Kongress, die Regierung sowie die indifferente Mehrheitsbevölkerung für den derzeitigen Stillstand bei der Landzuteilung an die Indigenen verantwortlich.
Brasilien steckt "in schrecklicher Krise"
Brasilien stecke generell "in einer schrecklichen Krise, wirtschaftlich und vor allem moralisch", wies Bischof Kräutler hin. "Schändliche Polarisierungen und gegenseitige Schuldzuweisungen sind an der Tagesordnung. Eigentlich ist es fast ein Wunder, dass die Proteste bisher nicht in blutige Straßenfehden ausgeartet sind." Medien und Justiz hätten ihre politische Unabhängigkeit aufgegeben, Politiker aller Parteien seien in Korruptionsskandale verstrickt. Diese Fehlentwicklungen begannen laut Kräutler bereits unter Präsident Lula da Silva, seine Nachfolgerin und politische "Ziehtochter" Dilma Rousseff sei "total überfordert und dazu noch präpotent und eigensinnig". Jedoch sei die Opposition "keineswegs vertrauenswürdiger", schränkte der Bischof ein. "Ich kann im Moment absolut niemanden im politischen Szenario Brasiliens ausmachen, der oder die für mich wählbar wäre."
Großereignisse wie die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele in Rio 2016 sieht der Bischof als Fortsetzung von "Panem et Circenses" (Brot und Spiele), mit denen schon im alten Rom die Bevölkerung "politisch mundtot" gemacht werden sollte. Die genannten Events sollen nach den Worten Kräutlers "von der Krise ablenken, in der Brasilien steckt".
"Kein Schreibtisch-Bischof"
Als "Pensionist" will Kräutler, der dem Orden der Missionare vom Kostbaren Blut angehört und seit 1965 in Brasilien tätig ist, weiterhin aktiv sein und in Brasilien und Österreich "Pilger zwischen zwei Welten" bleiben. "Nach mehr als 50 Jahren die Koffer zu packen, meine sieben Sachen zu verstauen, ein paar Bücher und Schriften per Post über den Atlantik zu schicken und dann klammheimlich zu verschwinden, das tue ich sicher nicht." Seinem Nachfolger Alves, einem Moraltheologen, der in seinem Heimatstaat Maranhao beim einfachen Volk sehr beliebt sei, wünscht Kräutler "viel Mut und Kraft". Er hoffe, "dass er nicht allzu sehr erschrickt, wenn er das gigantische Ausmaß des Bistums entdeckt und mit den nicht minder gigantischen Problemen dieser Gegend konfrontiert wird".
Alves solle sich zunächst "heiser hören" und mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen auf die Menschen am Xingu zugehen. Als er - Kräutler - 1980 zum Bischof ernannt wurde, baten ihn die Leute, "kein Schreibtisch-Bischof zu sein, sondern sie immer wieder in ihren Gemeinden besuchen". Dass ihn Joao Muniz Alves nach seiner Ernennung sofort angerufen und gebeten habe, Hauptkonsekrator bei seiner Bischofsweihe zu sein, ist für Kräutler ein Signal, dass sein Nachfolger "den Weg, den die Kirche am Xingu seit Jahrzehnten geht, weitergehen möchte".
Er selbst habe trotz mehrfacher Todesdrohungen wegen seines Einsatzes für die Indios und einem als Autounfall getarnten Attentat 1987 "in keinem Augenblick" ans Aufgeben gedacht, berichtete Kräutler. "Das wäre so etwas wie Fahnenflucht gewesen." Gerade in den bedrohlichen Zeiten habe er "ganz besonders die Liebe und Zuneigung des Volkes am Xingu erleben" dürfen. "Meine Liebe zu diesem Volk war nie eine Einbahnstraße", so der Bischof.
Quelle: kathpress