Christen im Jemen "bald an einer Hand abzuzählen"
Ein düsteres Bild von der Lage der wenigen im Jemen verbliebenen Christen hat Bischof Paul Hinder gezeichnet, dessen Apostolisches Vikariat sich auch auf die Vereinigten Arabischen Emirate und den Oman erstreckt. Nach dem Anschlag der ersten Märzwoche in der jemenitischen Hafenstadt Aden, bei dem vier Schwestern und zwölf Mitarbeiter starben, sei das gottesdienstliche Leben bis auf Ausnahmen zum Stillstand gekommen, berichtete der gebürtige Schweizer Kapuziner im Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen: "Wir haben nur einen Priester, der, so gut es geht, für die verbliebenen zwei Schwesterngemeinschaften da ist. Der andere Priester, der bei dem jüngsten Anschlag entführt wurde, ist vermisst."
Zwar gebe es neben den wenigen ausländischen auch einheimische Christen im Jemen, "aber man kann sie bald an einer Hand abzählen", sagte der seit 2005 auf der arabischen Halbinsel tätige Bischof. Die Christen seien teils ausgewandert, teils gehe das Christentum zurück, weil bei der Heirat mit Muslimen die Nachkommen muslimisch aufwachsen müssen. Das Pflegeheim, das Ziel des Attentates war, diente laut Hinder muslimischen Bewohnern und Patienten. Elf der ermordeten Mitarbeiter seien Muslime gewesen. "Aber es ist klar: Es war ein von Christinnen geführtes Haus, und das hat die radikale Gruppe, die den Anschlag ausführte, gestört", so Hinder. "Es war ein Akt gegen Christen, aber auch ein Akt gegen jene, die den Jemen wieder in einigermaßen normale Bahnen lenken wollen."
Von Religionsfreiheit könne auch in Saudi-Arabien keine Rede sein, für das Hinder bis zur Teilung seines Vikariates 2011 ebenfalls zuständig war. Dass Christen dort ihren Glauben leben, werde nur toleriert, wenn dies ohne Störung anderer geschehe. Eine Regel für christliche Gottesdienste laute: Es wird nicht gesungen und es gibt keine Lautsprecher. "Wenn sich wer gestört fühlt und die Polizei ruft, haben wir ein Problem." Der Bischof nennt dies "eine untragbare Einschränkung der Kultusfreiheit". Von Religionsfreiheit könne man ohnehin nur sprechen, wenn Menschen eine religiöse Wahlfreiheit haben.
Toleranz in Emiraten und im Oman
Anders sei die Situation in den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Oman: "Am Ostersonntag haben wir in unserer Kathedralpfarre in Abu Dhabi 20 Messen in verschiedenen Sprachen", erzählte Hinder. In den insgesamt acht Pfarren seien zu Ostern Tausende Gläubige - vor allem christliche Gastarbeiter - zu erwarten. Wertschätzung erfahre er auch von höchster Stelle, so Hinder: "Ich werde von Scheichs zum Mittagessen eingeladen: Das zeigt, dass anerkannt wird, wenn wir nicht nur für unsere Leute da sind." Und er habe Hilfe erhalten, um jene Schwester herauszuholen, die den Anschlag im Jemen überlebte. Jüngst sei das neue Antidiskriminierungsgesetz in den Vereinigten Arabischen Emiraten in einem Prozess zum Tragen gekommen: Hotelangestellte mussten sich verantworten, weil sie sich über Christen lustig gemacht haben. Ähnlich sei es im Oman, auch wenn es dort weniger Katholiken gebe.
Der Besuch des einflussreichen Großimams der Al-Azhar-Universität in Kairo beim Papst zeigt nach Einschätzung Bischof Hinders, "dass man einen Weg sucht, gemeinsam auf Erscheinungen wie den IS zu reagieren". Er hoffe, dass sich islamische Gelehrte die Frage stellen: "Warum kann der Koran oder die islamische Tradition so ausgelegt werden, wie das der IS tut." Dies werde freilich Zeit benötigen, auch wenn es dafür eine "große Dringlichkeit aufgrund der aktuellen Entwicklungen" gebe.
Quelle: kathpress