"Es braucht mehr Europa und nicht mehr Grenzen"
Caritaspräsident Michael Landau empfiehlt Außenminister Sebastian Kurz dringend, die Balkanroute für Flüchtlinge wieder zu öffnen. Unter Hinweis auf die Durchtrennung des Eisernen Vorhangs durch ÖVP-Außenminister Alois Mock vor einem Vierteljahrhundert sagte Landau in einer Debatte mit dem Außenminister in der "Presse am Sonntag": "Ich kann mir nicht vorstellen, dass du als jener Außenminister in die Geschichte eingehen willst, der wieder Stacheldrahtzäune errichtet hat." Er räumte ein, "dass sich Flüchtlinge das Land nicht aussuchen können", aber "wir müssen sicherstellen, dass jeder, der um Asyl ansucht, ein rasches, qualitätsvolles und faires Verfahren erhält". Dazu brauche es mehr Europa und nicht mehr Grenzen.
Der Schließung der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien hielt Landau den "humanitären Imperativ" entgegen, dem Österreich und Deutschland mit der Öffnung ihrer Grenzen gefolgt waren, "als in Ungarn beim Lager in Röszke Menschen geschlagen wurden und um ihr Leben gelaufen sind". Die Schließung der Balkanroute stelle diesen Imperativ wieder in Frage. Es sei ein trauriges Verdienst dieser Bundesregierung, das Wort des Jahres 2015 "Willkommenskultur" zum Unwort des noch jungen Jahres 2016 gemacht zu haben. "So zu tun, als wären alle jene, die damals geholfen haben, naiv und eigentlich Teil des Problems, halte ich für extrem problematisch", verwies Landau auf die "Tausenden Menschen, die sich an den Grenzen und Bahnhöfen menschlich verhalten hatten".
Ihn störe außerdem, "dass sich die Republik richtig anstrengt, ein hässliches Gesicht zu zeigen", anstatt sich "am Mut der Österreicher zu orientiert. Wir sehen, dass es eine große Bereitschaft gibt, wenn diese ermutigt wird. Aber vielfach findet eine Ängstigung statt", mahnte der Caritaspräsident.
"Auf dreimal Zaun einmal Entwicklungshilfe"
An Kurz gewandt meinte Landau: "Ich würde mir wünschen, dass du die Energie, die du in das Errichten von Zäunen steckst, auch in die Suche nach einer europäischen Lösung investierst. Auf dreimal Zaun einmal Entwicklungshilfe sagen - das wäre ein Anfang." Dem Vorhaben von Kurz, die unbegrenzte Aufnahme in Mitteleuropa aufzugeben und das Geld, das für Asylverfahren und Unterbringung ausgegeben wird, in den Krisenherden vor Ort zu investieren, müssten endlich Taten folgen. Die zuletzt von der Regierung ausgebaute Katastrophenhilfe sei zwar begrüßenswert, dem müsse nun aber zügig die angekündigte Erhöhung für die Entwicklungszusammenarbeit folgen. Denn, "wenn mit einer Million Euro 10.000 Menschen in Afrika nachhaltig versorgt werden können, sind das 10.000 Menschen weniger, die ihr Leben im Mittelmeer riskieren müssen".
Kritik übte der Caritaspräsident auch einmal mehr an der von der Regierung festgelegten Obergrenze bei der Aufnahme von Asylwerbern. Klar sei zwar, "nicht jeder, der Asyl beantragt, wir auch Asyl erhalten, aber wir leben in einem Rechtsstaat. Jeder hat das Recht, dass sein Antrag geprüft wird". Asyl sei ein Menschenrecht und diese nicht quotenfähig. Es brauche vielmehr einen europäischen Verteilungsmechanismus und keine Einzelmaßnahmen.
Kurz: "Es kann kein Recht des Stärkeren geben"
Der Außenminister wehrte sich gegen den Vorwurf, er wolle Flüchtlinge bewusst durch humanitäre Missstände an den Grenzen abschrecken. "Ich habe gesagt, dass es unangenehme Bilder geben wird, nicht, dass ich sie mir wünsche", sagte der Außenminister im Interview. Zugleich bekräftigte er, dass es an den Grenzen "Leid geben" werde. "Aber trotzdem kann es kein Recht des Stärkeren geben." Es gehe nicht, dass junge Männer durchkommen und Frauen, Kinder, Alte und Schwache zurückbleiben, sagte Kurz.
Die von Landau geforderte europaweite Verteilung von Flüchtlingen könne man nur umsetzen, wenn sie "nicht dorthin ziehen, wohin sie wollen. Wer eine Wohnung in Berlin bezogen hat, wird nicht mehr nach Polen gehen. Etwas anderes zu glauben, ist absurd."
Kurz sagte, dass er als Caritas-Präsident "alles genauso machen" würde wie Landau. Dieser habe nämlich "die Aufgabe, bedingungslos helfen zu wollen. Als Minister muss ich möglichst vielen Menschen helfen, ohne dass Österreich überfordert wird".
Quelle: kathpress