Auschwitz ist "Umkehrung der Passionsgeschichte"
Die Gräueltaten der Nationalsozialisten gegenüber den Juden in der Mitte des 20. Jahrhunderts sind für den österreichisch-israelischen Schriftsteller Doron Rabinovici eine "Umkehrung der Passionsgeschichte". Die Juden erschienen dabei nicht als Täter, sondern als Opfer. Der Autor und überzeugte Atheist ortet in den letzten Jahren einen "veränderten Antisemitismus", weil dieser nicht mehr Juden als Rasse oder Religion angreife, sondern sich "als politische Kritik verkleidet". Den christlich-jüdischen Dialog bewertete Rabinovici im Kathpress-Interview als "sehr wichtig", weil damit die "judenfeindliche Predigt" aufgehört habe.
Rabinovici diskutierte in diesen Tagen mit der Publizistin Isolde Charim zum Thema "Plötzlich fremd. Othering und seine Auswirkungen zwischen Christen und Juden". Der Diskussionsabend in Wien wurde anlässlich des 60. Jubiläums des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstaltet.
Mit dem Begriff "Othering" wird laut Rabinovici ausgedrückt, dass die Eigendefinition einer Gruppe "stark verbunden" sei mit dem "Blick auf einen Anderen". Das passe einerseits gut zum Verhältnis zwischen Christentum und Judentum, andererseits aber auch "zum Blick einer postnationalen Gesellschaft auf die israelische Gesellschaft". Der Schriftsteller hob hervor, dass die jüdische Erfahrung, "das Andere immer mitdenken zu müssen" und die Religion in Differenz zur Umwelt zu sehen, "universal" geworden sei.
Rabinovici berief sich auf eine These, die Isolde Charim bei der Diskussion aufstellte: Diaspora sei einmal "zutiefst jüdische Identität" gewesen. Heute werde der Begriff jedoch in einem allgemeineren Sinn verstanden. Diaspora meine somit das "Leben unter Anderen, ohne dass es die eine Leitkultur gibt". Die Globalisierung verändere die Perspektive, wodurch "wir alle" zu einem Teil einer "großen multikulturellen Diaspora" werden. Man könne nahezu "überall zu einem Starbucks oder McDonalds" gehen oder "da die Nachrichten von dort" sehen. Das verändere die Position, so Rabinovici.
"Kampf gegen Klischees geht immer weiter"
Für den Schriftsteller sind die Errungenschaften des christlich-jüdischen Dialogs "sehr wichtig", wobei trotzdem "immer weiter etwas zu tun" sei. Er verglich den "Kampf gegen Feindbilder und Vorurteile" mit dem Bauen von Sandburgen: Auch wenn eine beeindruckende Sandburg gebaut worden sei, müsse sie am nächsten Morgen meist wieder neu gebaut werden. Der "Kampf gegen Klischees" höre nicht auf und müsse immer weiter geführt werden. Rabinovici halte es für zentral, sich damit "selbstkritisch" auseinanderzusetzen.
Im christlich-jüdischen Dialog komme es darauf an, welcher Zugang betont werde. In diesem Punkt spielt der Papst für Rabinovici eine wichtige Rolle, da dieser vorleben könne, wie mit anderen Religionen umgegangen wird. Nicht fruchtbar für den Dialog sei ein Zugang, der erwarte, dass "alle Juden christlich werden", oder der für ihre Konversion bete. Der Schriftsteller begrüßt, dass das im Moment nicht der Fall sei. Die Frage, die alles umspannt, ist für Rabinovici, "wie sehr man den Anderen aushält".
Es gelte, das Andere auszuhalten, "ohne zustimmen zu müssen". Für das Abendland sei der Jude "weiterhin der Andere par excellence", so der Schriftsteller. Das Jüdische hätte hier die "Leerstelle zwischen Religion und Ökonomie" gefüllt und sei deshalb "am Leben gelassen" geworden. Im Gegensatz dazu werde die muslimische Gemeinschaft "als fremde" wahrgenommen.
Das Grundproblem "des Christentums als theologischer Konstruktion" bestehe für Rabinovici darin, das Erbe von jemandem sein zu wollen, der gelebt hat. Lange sei der Dialog zwischen Juden und Christen nicht vorhanden gewesen: Das Christentum feiere das Opfer Jesu und habe die Schuld dafür "den Juden zugeschoben". Die Juden hätten laut dem Schriftsteller mit dem Christentum "kein Problem". Für sie seien die Christen "nur ein Teil der Völker". Das "wahre Problem" haben die Juden mit jenen Juden, die nicht an Gott glauben oder die Gesetze nicht befolgen, so Rabinovici.
Eine der vielen Herausforderungen im jüdisch-christlichen Dialog sieht er in der unterschiedlichen Wahrnehmung von Juden und Christen. Der nicht gläubige Jude bleibe in den Augen der gläubigen Juden und seiner nicht-jüdischen Umwelt trotzdem ein Jude und würde sich wahrscheinlich auch selbst als Jude bezeichnen. Das sei bei Christen weniger der Fall. Der Grund dafür ist für den Schriftsteller, dass im Judentum Uneinigkeit darüber herrsche, ob dieses eine religiöse, kulturelle, nationale oder historische Schicksalsgemeinschaft ist. Das gilt es für Rabinovici im Dialog zu bedenken.
Quelle: kathpress