"Humanitäre Korridore" für Flüchtlinge wiederbeleben
Kardinal Christoph Schönborn hat sich dafür ausgesprochen, die Idee "humanitärer Korridore" für Flüchtlinge in Österreich wieder verstärkt aufzugreifen, d.h. ihnen die Möglichkeit zu geben, jenseits von "Fluchtdramen" und in Sicherheit ins Land zu kommen. Er erinnerte in der "Pressestunde" am Sonntag an 1.500 Syrer, die im Vorjahr im Einvernehmen mit dem Innenministerium direkt aus den Krisengebieten aufgenommen wurden und sich mittlerweile gut in Österreich integriert hätten. Ein solches "geordnetes Resettlement" - die dauerhafte Neuansiedlung von Flüchtlingen in einem Drittland - würde nach den Worten des Kardinals auch dem Schlepperwesen entgegenwirken, da sich seit dem Schließen der Balkanroute wieder im Aufwind befindet.
Das Vorgehen bei den Grenzschließungen kritisierte Schönborn in der "Pressestunde" im Gespräch mit Andreas Pfeifer (ORF) und Petra Stuiber ("Der Standard") wie schon bei der Pressekonferenz am Freitag zum Abschluss der Bischofs-Frühjahrsvollversammlung scharf: Das eigenmächtige Vorgehen europäischer Nationalstaaten ohne Berücksichtigung deutscher Vorbehalte und ohne Einbindung Griechenlands halte er für einen "Akt mangelnder europäischer Solidarität", sagte der Wiener Erzbischof. Österreich müsse sich diesen Vorwurf ebenso gefallen lassen wie einige seiner Nachbarstaaten und Länder auf dem Balkan.
Zugleich äußerte Schönborn Verständnis für politische "Notmaßnahmen", wenn sich EU-Staaten beharrlich solidarischen Lösungen verweigerten. Bundeskanzler Werner Faymann habe ihm im persönlichen Gespräch dargelegt, dass neuerliche 90.000 Asylanträge im Jahr 2016 nicht verkraftbar wären. Die Politik als "die Kunst des Möglichen" habe jedenfalls eine humanitäre Verantwortung für Heimatvertriebene, der sie sich nicht entziehen könne. "Wie geht es weiter mit den Menschen in Idomeni? Das ist unsere gemeinsame Verantwortung, nicht nur ein griechisches Problem", betonte der Kardinal.
Wertschätzung für Merkels Flüchtlingspolitik
Schönborn brach eine Lanze für die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die mit einem "tiefen Gespür für Menschlichkeit" agiert habe. Sie sage am deutlichsten, dass Europa die derzeitige Krise gemeinsam schultern müsse - eine Haltung, die auch Politikern anderer Länder gut anstünde, wie Schönborn anmerkte. Er äußerte Freude darüber, dass die deutschen Bischöfe der Kanzlerin - "eine mutige, kluge Frau" - trotz innenpolitischem Gegenwind die Stange halten.
Die jüngst veröffentlichte Stellungnahme, in der Theologen, Ordensvertretern und Repräsentanten katholischer Organisationen gegen ein Schüren fremdenfeindlicher Ressentiments aus politischem Kalkül aufgetreten waren, schätze er und stimme inhaltlich voll zu, so der Kardinal. Er teile die Kritik an einer "Politik der Angst und der Inhumanität" und halte daran fest, dass Asyl - in allen Religionen, wie Schönborn erklärte - ein "heiliges Recht" sei.
"Flüchtlinge haben Recht auf Obdach"
Angesprochen auf die am Montagabend in Wien-Liesing geplante Bürgerinitiative-Demonstration gegen ein neues Asylquartier, auf das katholische und evangelische Pfarrgemeinden mit einem Friedensgebet und gemeinsamen Glockengeläut reagieren wollen, sagte Kardinal Schönborn: "Flüchtlinge haben ein Recht auf Obdach", bis ihr Asylverfahren abgeschlossen sei. "Sollen sie sich in Luft auflösen?" Der Sorge von Anrainern müsse mit einem Betonen des Miteinanders und nicht mit dem Schüren von Angst begegnet werden. Nichts anderes sei da Anliegen des Gebets in Liesing, zu dem wie üblich mit Glockengeläut eingeladen werde.
Er selbst habe im persönlichen Kontakt mit Flüchtlingen immer wieder seinen Horizont erweitert. "Es ändert die Perspektive", wenn man Fluchtgeschichten konkreter Menschen höre. Wer die trostlose Situation in Flüchtlingslagern im Umkreis Syriens - die zuletzt immer weniger internationale Unterstützung erfuhren - mitbekomme, könne nachvollziehen, dass Betroffene "nichts wie weg" wollten.
Die Sendung in der ORF TVThek zum ansehen.
Quelle: kathpress