"Festung Europa" wird auf Dauer nicht funktionieren
Eine "Festung Europa" wird sich nach der Überzeugung von Kardinal Christoph Schönborn auf Dauer nicht aufrechterhalten lassen. Dass die Balkanroute jetzt für Flüchtlinge dicht gemacht wurde, "kann nur eine provisorische Notmaßnahme sein, aber keine Dauerlösung", sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz nach deren Vollversammlung am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien. Schönborn verwies auf die verzweifelte Lage und Perspektivlosigkeit in libanesischen Flüchtlingslagern, wo es für Betroffene die Parole "nur weg" gebe und sie auch unsicherste Fluchtwege in Kauf nähmen, um ihre Lage zu verbessern. Diese "Logik der Flucht" sei bereits vor Jahrzehnten bei den vietnamesischen Boat People zu beobachten gewesen.
Der Kardinal äußerte die Sorge, dass beim Flüchtlingsthema nach der Welle der Hilfsbereitschaft nun "das Pendel in die andere Richtung auszuschlagen droht". Das Problem sei fraglos enorm und komplex, und auch die Kirche habe "kein Rezept" für die Beilegung der Krise. Die Rechtsgrundlage international verbriefter Menschenrechte für Schutzsuchende dürfe jedenfalls nicht aufgegeben werden, so Schönborn. Eine Korrektur notwendig sei beim Umstand, dass nur wenige Länder die Last der Flüchtlingsbewegungen zu tragen haben. Dass etwa Griechenland nach den Grenzschließungen in die Mitte Europas mit dem Problem allein gelassen werde, "wird nicht gehen", so Schönborn.
Als "Heuchelei" bezeichnete es der Wiener Erzbischof, dass europäische Länder - darunter auch Österreich - seit Jahren die öffentlichen Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit systematisch kürzten, dass gleichzeitig weiterhin Waffenlieferungen aus dem Westen in die Krisenregionen möglich seien und dann über Flüchtlinge geklagt werde.
Kardinal sucht Gespräch mit Regierung
Die jüngst veröffentlichte Stellungnahme von Theologen, Ordensvertretern und Repräsentanten katholischer Organisationen gegen eine inhumane Flüchtlingspolitik habe er "beeindruckt" zur Kenntnis genommen, werde sie aber nicht selbst unterschreiben, sagte Schönborn. Er suche vielmehr das Gespräch mit der Bundesregierung, der er nun auch keine Ratschläge über die Medien erteilen wolle. Die Gefahr einer Infiltration mit Jihadisten unter den Flüchtlingen sehe er durchaus und "habe selber Evidenzen dafür", räumte der Kardinal ein. Zugleich sei unbestreitbar, dass sich der allergrößte Teil der oft unter widrigsten Umständen Geflohenen dem Krieg und der Gewalt entziehen und nicht selber Gewalt entfachen wollten.
Schönborn unterstrich seine Überzeugung, dass das europäische Friedens- und Integrationsprojekt nicht am Flucht- und Migrationsthema scheitern dürfe. Im Blick auf Nachbarländer Österreichs sei er "besorgt", hoffe aber, dass die europäische Gemeinsamkeit größer sein werde als nationalistische Abschottung. Wenn Bischofkonferenzen vormals kommunistischer Länder zu unterschiedlichen Einschätzungen in der Flüchtlingsfrage kommen als westliche, dann bedaure er dies, es gelte aber auch die geschichtlichen Hintergründe dieser Nationen im Auge zu haben. Polen z.B., das sich derzeit strikt gegen Flüchtlingsaufnahmequoten wehrt, müsse mit der Realität von einer Million ukrainischer Flüchtling im eigenen Land zurechtkommen.
Quelle: kathpress