Flüchtlingskrise zeigt Konstruktionsfehler der EU
Die derzeitige Flüchtlingskrise offenbart Konstruktionsfehler der Europäischen Union und Verbesserungsbedarf in ihrem Integrationsprozess: So hat der stellvertretende Generalsekretär der Kommission der EU-Bischofskonferenzen (COMECE), Michael Kuhn, den Verlauf der EU-Türkei-Verhandlungen über den Umgang mit Flüchtlingen beschrieben. Die EU sei in den letzten Jahrzehnten stark von nur wirtschaftlicher Integration statt auch von echter politischer Integration geprägt gewesen. Damit hänge nun die Lösung des Füchtlingsproblems letztlich "vom guten Willen und der Aufnahmebereitschaft der Mitgliedstaaten" ab, so der österreichische Theologe am Dienstag gegenüber Radio Vatikan.
Die in Brüssel angesiedelte EU-Bischofskommission COMECE war als Beobachter bei den Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei über den Umgang mit Flüchtlingen aus dem Nahen Osten anwesend. Im Prinzip sei allen klar, dass die Türkei aufgrund ihrer geografischen Lage eine "Schlüsselrolle" bei der Lösung der Flüchtlingsfrage habe - besonders, da die in jüngster Vergangenheit auf griechischen Inseln errichteten "Hotspots" für die Aufnahme und Registrierung von den Flüchtlingen gemieden würden, erläuterte Kuhn. Die Türkei wisse jedoch selbst nicht, wie sie mit den Flüchtlingen umgehen solle, weil die meisten Flüchtlinge ohnehin nach Westeuropa weiter wollten.
Die "verschiedenen Vorstellungen" innerhalb Europas über den Umgang mit Flüchtlingen könne man auch unter den katholischen Bischöfen wiederfinden, so der aus Wien stammende Experte. So einig sich die Kirchenvertreter auch beim Prinzip einer menschlichen Behandlung der Flüchtlinge seien, so sehr unterscheide sich ihre Sichtweisen darin, wie genau das geschehen solle sowie wie hoch die betreffenden Flüchtlingszahlen sein könnten. Westeuropas Bischöfe würden hier vor allem "eine Dosierung bei der Aufnahme" verlangen, jene von Mittel-, Süd- und Osteuropa hingegen eher "ein schnelles Durchschleusen durch ihre Länder."
Am Montag hatten die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei beraten. Um Menschen in ein anderes Land zurückzuschicken, müsse dort der gesamte völkerrechtliche Schutz gewährleistet sein, hieß es. Die Verhandlungen brachten demnach noch kein konkretes Resultat hervor und wurden auf nächste Woche verschoben.
UN-Flüchtlingskommissar: Krise bewältigbar
Dass die EU nun jedoch vor einer "Stunde der Wahrheit" stehe, betonte am Dienstag der Hohe Flüchtlingskommissar der UNO, Filippo Grandi, im EU-Parlament in Straßburg: Europa müsse jetzt die Werte bekräftigen, auf die es sich gegründet habe. Die derzeitige Fluchtbewegung müsse keine Krise sein; "sie kann bewältigt werden". In einer Welt voller Konflikte seien Massenmigrationen eine Realität, so Grandi. Der Bau von Zäunen und Mauern sei keine Lösung. Hierdurch verschlimmere sich nur das Leiden jener Menschen, die ohnehin schon so viel gelitten hätten.
"Wir haben alle die Stapel der Rettungswesten an den griechischen Küsten gesehen", sagte der UN-Flüchtlingskommissar. Es seien die Westen derer unter den rund eine Million Ankömmlingen über das Mittelmeer, die überlebt hätten. Mehr als 7.000 Menschen seien aber bei der Überfahrt gestorben.
Europa gelte als sicherer Kontinent, der sich für die Menschenrechte einsetze. Diese Hoffnung dürfe den Flüchtlingen nicht genommen werden.
Frauen seien am schlimmsten betroffen von der Flüchtlingskrise, sagte Grandi. Weltweit müssten rund 20.000 Frauen täglich ihr Zuhause verlassen. Frauen und Mädchen seien auf der Flucht oft Gewalt ausgesetzt und bräuchten daher besonderen Schutz. Der UN-Hochkommissar äußerte im EU-Parlament zudem Bedenken, Flüchtlinge in ein anderes Land zurückzuschicken.
Deutscher Flüchtlingsbischof für "Lastverteilung"
Noch vor Ende des Brüsseler EU-Sondergipfels hatte der Hamburger Erzbischof Stefan Heße an die Politiker in Brüssel appelliert, eine gemeinsame Lösung für die Flüchtlingskrise zu finden. "Nur auf alle Schultern verteilt, lässt sich diese schwere Aufgabe bewältigen", sagte Heße, der auch Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist. Staat und Gesellschaft bräuchten "eine auf lange Sicht ausgerichtete Kultur der Gastfreundschaft und der Integration".
Heße rief zu weiterer Unterstützung der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe auf. Insbesondere Initiativen zur Selbsthilfe oder zum Kennenlernen gelte es zu erhalten und zu fördern, sagte der Erzbischof. Er betonte, das kirchliche Engagement in der Flüchtlingshilfe sei "von einer hohen Bereitschaft Haupt- und Ehrenamtlicher geprägt". Der Hamburger Erzbischof äußerte sich beim Spitzengespräch zwischen Vertretern der Landesregierung und der katholischen Kirche Mecklenburg-Vorpommerns.
Quelle: kathpress