Terroranschläge erfordern Vergebung und Versöhnung
Nachdem die meisten religiösen Führer die Pariser Terroranschläge verurteilt haben, muss nun im nächsten Schritt die Frage nach dem Umgang mit den Tätern beantwortet werden: Das hat der Innsbrucker Dogmatikprofessor Jozef Niewiadomski im Interview mit "Kathpress" dargelegt. Gläubige Menschen müssten Schritte der Vergebung und Versöhnung wagen, "da erst damit der Teufelskreis der gegenseitigen Verdächtigung und des gegenseitigen Hasses unterbrochen werden kann", so der Theologe. Das von der Kirche fokussierte Thema der Barmherzigkeit sei dazu imstande, die aktuellen Krisen zu deeskalieren und "die Gegenwart aus ihren Sackgassen zu befreien".
Nicht vergessen dürfe man laut Niewiadomski, "dass Terroristen letztendes doch auch Opfer sind. Mit den Worten Jesu beurteilt, müsste man wohl sagen, sie wissen nicht was sie tun." Jedes Dämonisieren der Täter provoziere erneute Gewaltreaktionen und schaukle die Gewaltspirale auf. Die Bombardierungen allein würden auch neue Terroristen gebären und mit ihren Kollateralschäden sowie den vielen "unschuldigen" Toten zu neuen Hassgefühlen führen. Höchste Zeit sei es daher für eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, "warum es in der arabischen Welt so viel Hass auf den Westen gibt und warum sich so viele Muslime vom Westen gedemütigt fühlen".
Zwar sei die Welt durchaus klüger geworden durch Fehler, für die Niewiadomski die Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 als ein Beispiel nannte: Der sofortige Kriegseintritt der USA gegen den Irak, vor dem Papst Johannes Paul II. als einer der wenigen Stimmen mahnte, habe die Situation nur drastisch verschlimmert. Deutlich sichtbar könne der Terror nicht durch alleiniges Pochen auf Gerechtigkeit, sondern nur durch einen deeskalierenden Diskurs eingegrenzt werden - "zu dem auch die Kirche ihren Beitrag leisten sollte", so der Dogmatiker.
Täter-Opfer-Schema überwinden
Die wichtigste Urerfahrung der Kirche für den Umgang mit Gewalt ist laut dem Theologen der Friedensgruß des auferstandenen Christus, "der als Opfer den Tätern gegenüber Barmherzigkeit, nicht Rache zeigte". Erst dieser Zugang überwinde den "unversöhnten Zustand zwischen dem selbstgerechten Täter und dem Ressentiment-erfüllten Opfer, dessen Verewigung geradezu der Inbegriff der Hölle darstellt. Dass sich dabei jeder in der Hölle vermutet, ist ja genau die Hölle", verwies Niewiadomski auf einen Ausspruch des französischen Religionsphilosophen René Girard.
Als Beispiel für die Umsetzung führte Niewiadomski den Hirtenbrief der Bischöfe Polens im Jahr 1966 an ihre deutschen Amtsbrüder an. Darin waren aus polnischer Sicht die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, ebenso jedoch auch die polnischen Verfehlungen bei der Vertreibung der Schlesier erwähnt worden. "Mit der entscheidenden Formel: 'Wir vergeben und bitten um Vergebung' hat dieser Schritt entscheidend zur deutsch-polnischen Versöhnung beigetragen", berichtete der Theologe. Auch das damalige Ausbleiben einer entsprechenden deutschen Reaktion sowie darauf folgende Repressalien durch das kommunistische Regime hätten dem keinen Abbruch getan.
Barmherzigkeits-Jahr Chance für Veränderung
War die Barmherzigkeit in Kirchenkreisen zuletzt eher Teilaspekt der Diskussion um den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, so wurde sie von Papst Franziskus mit dem am 8. Dezember beginnenden "Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit" nun zum "Universalthema der Weltkirche" erhoben, betonte Niewiadomski. Hoch genug könne man diesen Schritt kaum einschätzen: Viel mehr als bloß ein schillerndes Tourismusevent und eine Frömmigkeitsübung sei das Heilige Jahr eine "große Chance" der Kirche, sich damit selbst eine "völlig neue Gestalt zu verpassen", besonders im Umgang mit Armut, Hunger, Flüchtlingen, der Umwelt und im Dialog mit anderen Religionen.
Der Pontifex selbst habe dazu "starke Zeichen" gesetzt, indem er auch die Krankenbetten sowie sogar die Türen von Gefängniszellen zu "Heiligen Pforten" und somit Orten des Ablasses erklärt habe. Ebenso weitete er die Beichtvollmacht aus auf Sünden wie Abtreibungen, deren Vergebung sonst dem Heiligen Stuhl vorbehalten waren. "Der Papst appelliert an die Kirche: Spart nicht mit dem höchsten Gut! Niemand soll zu kurz kommen, alle sollen in der Bitte der Kirche um Gottes Barmherzigkeit eingeschlossen sein", so der Innsbrucker Theologe. Dies stelle jene infrage, die einen "Ausverkauf der Kirche" durch zu liberalen, "barmherzigen" Umgang mit Verfehlungen kritisieren.
Schwierig ist für die Vermittlung der Barmherzigkeit freilich der Begriff selbst: Friedrich Nietzsches negative Beurteilung als Schwäche sei schuld daran, dass das Wort im deutschen Sprachraum in Misskredit geraten sei, erläuterte Niewiadomski. Das lateinische "misericordia" - also etwa "ein Herz für die Miserablen haben" - geht da weiter, erst recht das hebräische "rachamim", der Mehrzahlbegriff für "rechem", "Gebärmutter": "Ein archaisches Bild der Wärme, in der man sicher aufgehoben ist und die Lebensgrundlage bietet für jene, die keine Lebensperspektive haben", erläuterte der Experte.
Quelle: kathpress