"Gesetze sind für Menschen gemacht, nicht umgekehrt"
Mit einer programmatischen Rede hat Papst Franziskus am Samstag die Beratungen der Synode über Ehe und Familie zum Abschluss gebracht. "Katholisch.at" dokumentiert Auszüge daraus:
"Während ich der Arbeit der Synode folgte, habe ich mich gefragt: Was wird der Abschluss dieser Synode über die Familie für die Kirche bedeuten? Sicher bedeutet es nicht, dass wir alle Themen über die Familie abschließend behandelt haben, aber wir haben versucht, sie mit dem Licht des Evangeliums, der Tradition und der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche zu erleuchten. In ihr hat die Synode die Freude der Hoffnung ausgegossen ohne einfach zu wiederholen, was ohnehin feststeht oder schon gesagt wurde. (...) Es bedeutet, sie (die Synode, Anm.) hat alle zu einem Verständnis für die Wichtigkeit der Familie und der Ehe zwischen Mann und Frau gedrängt, die auf Einzigartigkeit und Unauflöslichkeit gründet, und dazu, sie wertzuschätzen als fundamentale Grundlage der Gesellschaft und des menschlichen Lebens. (...)
Es bedeutet, dass sie versucht hat, die Wirklichkeit, besser die Wirklichkeiten von heute mit den Augen Gottes zu sehen, um die Herzen der Menschen zu entflammen und zu erleuchten mit der Flamme des Glaubens, in einem historischen Moment der Entmutigung und der sozialen, wirtschaftlichen, moralischen Krise und herrschender Negativität. (...) Es bedeutet auch, sie hat die verschlossenen Herzen offengelegt, die sich oft sogar hinter der Lehre der Kirche verstecken oder hinter guten Absichten, um sich auf den Stuhl Mose zu setzen und manchmal überheblich und oberflächlich über schwierige Fälle und verletzte Familien zu richten. Es bedeutet, sie hat bekräftigt, dass die Kirche eine Kirche der geistig Armen und der Sünder auf der Suche nach Vergebung ist und nicht nur der Gerechten und Heiligen - oder besser gesagt der Gerechten und Heiligen, wenn sie sich als Arme und als Sünder fühlen. (...)
Es bedeutet, sie hat versucht, die Horizonte zu öffnen, um jede Verschwörungs-Hermeneutik oder Verengung der Perspektiven zu überwinden, um die Freiheit der Kinder Gottes zu verteidigen und zu verbreiten. Um die Schönheit der christlichen Neuigkeit zu vermitteln, die manchmal vom Rost einer archaischen oder schlichtweg unverständlichen Sprache bedeckt wird. (...) Über die vom Lehramt der Kirche klar definierten dogmatischen Fragen hinaus haben wir gesehen, dass das, was dem Bischof eines Kontinents normal erscheint, dem Bischof eines anderen Kontinents als merkwürdig, fast skandalös vorkommt; das was in einer Gesellschaft als Rechtsverletzung angesehen werden kann, kann in einer anderen eine offensichtliche und unantastbare Regel sein; das was für einige Gewissensfreiheit ist, bedeutet für andere nur Verwirrung. In Wahrheit sind die Kulturen in sich sehr verschieden und jedes allgemeine Prinzip muss in die jeweilige Kultur übertragen werden, wenn es eingehalten und angewendet werden soll. (...)
Wir haben gesehen, auch dank des Reichtums unserer Verschiedenheit, dass die vor uns liegende Herausforderung immer dieselben ist: dem Menschen das Evangelium zu verkünden und dabei die Familie gegen alle ideologischen und individualistischen Attacken zu verteidigen. (...)
Die Erfahrung der Synode hat uns besser verstehen lassen, dass die wahren Verteidiger der Lehre nicht diejenigen sind, die den Buchstaben verteidigen, sondern den Geist, nicht die Idee, sondern den Menschen, nicht die Formeln, sondern die unentgeltliche Liebe Gottes und seiner Vergebung. Das bedeutet nicht, in gewisser Weise die Wichtigkeit der Formeln, der Gesetze und göttlichen Gebote zu vermindern, sondern die Größe des wahren Gottes zu rühmen, der uns nicht gemäß unseren Verdiensten beurteilt, nicht einmal nach unseren Werken, sondern einzig nach der grenzenlosen Güte seiner Barmherzigkeit. (...)
Es bedeutet, die Gesetze und Gebote mehr als für den Menschen gemacht zu bewerten und nicht umgekehrt. (...) Die erste Aufgabe der Kirche ist es nicht, zu verurteilen und den Kirchenbann auszusprechen, sondern die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden, zur Umkehr aufzurufen und alle Menschen zum Heil des Herrn zu führen.