"Empathie kann man nicht verordnen"
Wenn Kriegsflüchtlinge in einem der reichsten Länder der Welt auf der Straße schlafen müssen, ist das für Cecily Corti Ausdruck von "Gier und Angst, der Wohlstand könnte weniger werden". Verordnen könne man Empathie nicht, so die Obfrau des Vereins "Vinzenzgemeinschaft St. Stephan" in einem "Kurier"-Interview am Sonntag. "Die Leute müssen das selbst in sich spüren: Dass wir eine Welt sind, und dass wir uns in Europa nicht abschotten können. Und dass fremde Menschen auch eine Bereicherung sind."
Die Flüchtlingswelle sei auch in der 2004 von ihr gegründeten Notschlafstelle "VinziRast" in Wien Meidling spürbar. Der Andrang von Schwarzafrikanern, Syrern und Afghanen habe deutlich zugenommen. Einige hätten bereits Asylstatus, anderen müssten noch auf einen Bescheid warten. "Alle sind sie aber obdachlos. Wir nehmen alle auf. Es gilt bedingungslose Akzeptanz." Zweimal pro Woche wacht und schläft Corti in der Notschlafstelle.
Mittlerweile habe sie akzeptiert, "dass wir jeden Tag Leute wegschicken müssen". "Wenn wir nirgendwo mehr ein Bett frei haben und jemand fragt, wohin er soll, muss ich ihm sagen, dass ich das leider auch nicht weiß". Die Ohnmacht, die sie zu Beginn ihres Engagements noch oft spürte, habe sie abgelegt. "Irgendwann habe ich eingesehen, dass ich die Dinge nur im Kleinen verändern kann."
Andern zu helfen ist für Corit auch Hilfe für sich selbst. "Wenn wir anderen helfen, helfen wir immer auch uns selbst. Das ist nicht neu, man muss sich das nur eingestehen. Mein Leben hat große Bereicherungen erfahren." In der "VinziRast" könne sie "Weisheiten" üben, wie etwa den Respekt anderen gegenüber und auch Empathie. "Ich habe heute keine Scheu, einem Obdachlosen auf der Straße zu begegnen. Ich habe aber auch keine Scheu, einmal keine Spende zu gebe."
Corti weiß, was es heißt Flüchtlinge zu sein. 1945 musste sie mit ihrer Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien vor politischer Verfolgung fliehen. In ihrem neuen Buch "Man muss auf dem Grund gewesen sein" geht die Witwe des 1993 verstorbenen Regisseurs und Publizisten Axel Corti anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte dem Menschsein auf den Grund: Wer bin ich jenseits der Erziehung, der Tradition? Jenseits der gesellschaftlichen Normen und Strukturen? (Infos: www.vinzirast.at; Das 160 Seiten starke Buch ist ab 31. August für 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich)