Entsetzen in Österreichs Kirchenspitzen
Mit Entsetzen, Beileidsbekundungen und Gebetsaufrufen haben die Vertreter von Österreichs Kirchen auf den Fund von 71 toten Flüchtlingen in einem auf der Autobahn östlich von Wien abgestellten Schlepper-LKW reagiert. "Mein Mitgefühl ist bei jenen Menschen, die diesen unvorstellbar qualvollen Tod erleiden mussten", erklärte Kardinal Christoph Schönborn in einer ersten Stellungnahme. Der Wiener Erzbischof wird am Montag um 19 Uhr einen Gedenkgottesdienst für die Verstorbenen und alle Flüchtlinge im Stephansdom halten und bat alle Kirchen des Landes, zu diesem Zeitpunkt aus Respekt und Mitgefühl mit den Opfern die Glocken zu läuten.
Nach dem Ermittlungsstand vom Freitag befanden sich vier Kinder unter den 71 Toten, die tags zuvor in einem Kühltransporter auf einem Pannenstreifen der Autobahn A4 aufgefunden wurden. Die Flüchtlinge dürften zumindest zum Teil aus Syrien stammen. Vier Personen sind infolge der Fahndung der ungarischen Behörden bisher als Tatverdächtige in Haft. Zuvor hatte am Donnerstag ein Mitarbeiter des Streckendienstes die Polizei verständigt, weil der LKW bereits seit längerem auf dem Seitenstreifen stand. Bei dem Fahrzeug war bereits Verwesungsgeruch wahrzunehmen.
Die menschliche Not der Flüchtlinge sei mit der furchtbaren Tat mit einem Schlag deutlich gemacht worden, so Schönborn, der als Reaktion "eine großherzige Haltung und mutige Entscheidungen" aller einforderte. Europa müsse endlich geeint vorgehen, um den Schleppern angesichts ihrer "unbeschreiblichen Menschenverachtung" das Handwerk zu legen. Die gemeinsame Bewältigung der Flüchtlingstragödie sei zudem eine Bewährungsprobe für die europäischen Werte.
Auf diese Werte spielte auch der zuständige Eisenstädter Ortsbischof Ägidius Zsifkovics an: Subtiler "Mittäter" der Tragödie sei auch die versagende Politik Europas, das "seine Unschuld verloren" und seinen Grundsätze von Frieden, Freiheit und Recht "durch humane Visionslosigkeit pervertiert" habe, so Österreichs "Europabischof". Wütender Nachsatz: "Das Maß ist voll!" Das Grauen der Flüchtlingstragödie rücke immer mehr in die Lebenswirklichkeit der Länder Europas. Eine Lösung müsse gesamteuropäisch sein, auch die Ursachen der Massenflucht berücksichtigen und Länder wie Griechenland und Italien entlasten.
Caritas-Bischof Manfred Scheuer rief zum "Innehalten" auf: "Worte wie Solidarität und Gastfreundschaft, Recht und Gerechtigkeit, Empathie und Menschlichkeit zerbröseln angesichts der Toten", stellte der Innsbrucker Bischof fest. Sie seien "neu zu lernen und entschieden umzusetzen". Unterbrochen und in Frage gestellt seien nun auch bisherige Strategien und "Bewältigungen" des Flüchtlingsproblems.
Caritas-Präsident Michael Landau pochte auf "rasche, sichere Zugänge zu Asylverfahren", um Schleppern das Handwerk zu legen und das Sterben an Europas Grenzen und nun auch innerhalb seiner Länder zu beenden. Wichtig sei ebenso "verlässliche und ausreichende Hilfe" für die Nachbarländer Syriens, ohne die Flüchtlinge zur Flucht nach Europa gezwungen würden.
Auch der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker forderte ein gemeinsames Vorgehen Europas. Dessen Ausbleiben habe "tödliche Auswirkungen auf schutzsuchende Menschen". Eine abgeschottete "Festung Europa" könne Vertriebene nicht von der Flucht nach Europa abhalten, weshalb legale Zugangswege sicherzustellen seien.
Im "Zustand moralischer Narkose" diagnostizierte der griechisch-orthodoxe Metropolit Arsenios den Kontinent Europa, dessen Politik scheinbar mehr den Anliegen entfesselter Finanzmärkte statt der Nächstenliebe und der humanistischen Vernunft diene. Ein Wegschauen sei nach der Tragödie unmöglich, denn "mit jedem toten Flüchtling stirbt Tag für Tag ein Stück Würde dieses Europas, dessen Vereinigung als Absage an Krieg und Terror entstanden ist". In seiner Kritik wurde der Metropolit sehr konkret: Europa investiere nicht in Krisenregionen, um Menschen so Flucht zu ersparen und schneide dem IS-Terror ebensowenig Geldflüsse und Waffenlieferungen ab. Er vermisse auch ein EU-Aufnahmeprogramm für die Terroropfer und Bemühungen zum Schutz verfolgter Christen in Nahost und Afrika.
Quelle: Kathpress