
Neudörfl als Gegenmodell zu Traiskirchen
Neudörfl sei "ein Synonym dafür, dass eine menschliche Asylpolitik nicht nur hier in der Gemeinde, sondern darüber hinaus im Burgenland und in ganz Österreich möglich ist". In Bezug auf den Umgang mit Asylwerbern betrachtet Caritas-Präsident Michael Landau die Marktgemeinde unweit von Wiener Neustadt als Gegenmodell zu dem rund 30 Kilometer entfernten Traiskirchen und der dortigen "humanitären Katastrophe". Im von der Caritas geführten "Haus Sarah" in Neudörfl sind derzeit 56 großteils unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) untergebracht und werden kompetent sozialpädagogisch betreut. Landau besuchte die Einrichtung am Mittwoch gemeinsam mit dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl, Landesrat Norbert Darabos und SPÖ-Bürgermeister Dieter Posch.
Der Besuch erfolge nicht allein vor dem Hintergrund, weil das Haus Sarah so vorbildlich geführt werde, so Landau: "Wir sind heute hier, weil die Zustände in Traiskirchen so dramatisch sind", weil die meisten Bundesländer die vereinbarten Quoten bei der Flüchtlingsaufnahme nicht erfüllen und weil auch die meisten der knapp 2.100 Gemeinden in ganz Österreich noch immer keinen einzigen Asylwerber beherbergen.
Unter verantwortlichen Politikern sei "ein verabscheuungswürdiger Wettkampf entbrannt, frei nach dem Motto: Wer schützt seine Bürger am besten vor schutzsuchenden Menschen?", sagte der Caritas-Chef wörtlich. Der für seine klaren Aussagen zur Asylpolitik bekannt gewordene Bürgermeister von Neudörfl ("Verliere lieber ein paar Stimmen als mein Gesicht") zeigt laut Landau, das eine von Menschlichkeit geprägter Umgang mit Flüchtlingen bei entsprechendem politischen Willen möglich ist und von der Bevölkerung mitgetragen wird. Er wünsche sich auch anderswo "mehr Mut zur Menschlichkeit, wie er in Neudörfl heute schon gelebt wird", sagte der Caritas-Präsident.
Einmal mehr hielt Landau fest: "Flucht ist kein Verbrechen und Asyl ein Menschenrecht." Nicht jeder, der Asyl beantragt, werde auch Asyl erhalten. Aber jeder habe das Recht auf ein anständiges Verfahren.
Zum Thema Volksbefragung zum Asylthema, das von der FPÖ nach beschlossenem Durchgriffsrecht des Bundes bei der Schaffung von Unterkünften aufs Tapet gebracht wurde und auch im Burgenland diskutiert wird, sagte Landau unmissverständlich: "Wir brauchen eine Gewissensbefragung und keine Volksbefragung." Jeder stehe letztlich vor der Frage: "Wollen wir wirklich in einem Land leben, in dem Kinder und Schwangere in einer Bundesbetreuungsstelle zur Obdachlosigkeit verurteilt sind? Wollen wir wirklich in Städten und Gemeinden leben, wo mit dem Verweis auf behördliche Auflagen gegen die wichtigste Auflage - die Auflage Menschlichkeit - verstoßen werden kann?"
Mit Blick auf Traiskirchen äußerte Landau die Überzeugung: "Wir brauchen Hilfs- statt Grenzeinsätze!" Es gelte das Know-How von Hilfsorganisationen, aber auch jenes des katastrophenerfahrenen Bundesheeres zu nutzen, um heimatvertriebenen Menschen eine sichere Zuflucht bieten zu können. "Wir brauchen in Österreich keine Eisernen Vorhänge, wie sie derzeit in Ungarn oder Bulgarien wieder hochgezogen werden", betonte der Caritas-Präsident. Notwendig seien vielmehr mutige Bürgermeister, "lösungsorientierte Landeshauptleute, eine an den konkreten Nöten der Menschen Maß nehmende Politik auf Bundesebene sowie den Willen, Menschen in Not ohne Wenn und Aber zu helfen - Wir brauchen also noch mehr Neudörfls".
Niessl: Statistik verfälscht Leistungen
Auch Landeshauptmann Niessl lobte die Flüchtlingsbetreuung in Neudörfl als österreich-, ja europaweites "Mustermodell", das die Tradition des Burgenlandes als "Land der Humanität und Solidarität" fortsetze. Er widersprach vehement Statistiken, die das östlichste Bundesland als Nachzügler in Sachen Asylquotenerfüllung ausweisen: Bei der Betreuung der UMF sei das Burgenland österreichweite Nummer eins. Und kein anderes Land fördere erforderliche Umbauten zur Schaffung von Flüchtlingsquartieren mit bis zu 10.000 Euro, so Niessl, der sich zuletzt gegen ein Durchgriffsrecht des Bundes bei der Schaffung von Unterkünften gewehrt hatte.
Beziehe man denn die mehr als 300 permanent in Asyl-Erstaufnahmestellen wie Nickelsdorf, Schattendorf und Heiligenkreuz betreuten aufgegriffenen Flüchtlinge in die Statistik mit ein, wäre das Burgenland überhaupt österreichischer Spitzenreiter bei der die Quotenerfüllung. In diesen "Sammelstellen" wird nach den Worten Niessls die härteste Arbeit für Flüchtlinge geleistet, das müsse fairerweise berücksichtigt werden. Auch das Bundesheer solle bei der Bewältigung der Asylproblematik stärker zum Einsatz kommen.
Der burgenländische Landesrat für Soziales, Darabos, sicherte zu, dass die erforderliche Anzahl an aufgenommenen Flüchtlingen zur Erfüllung der Quote bis Jahresende erfüllt wird. Sehr hilfreich sei dabei die Zusage des Eisenstädter Bischofs Ägidius Zsifkovics, in diesem Zeitraum 200 kirchliche Plätze zu schaffen; 300 weitere habe das Land "in der Pipeline". Für Darabos steht fest: Die Akzeptanz in der Bevölkerung bei der Flüchtlingsaufnahme sei hoch, und sie werde umso höher, je kleiner die Einheiten bei der Unterbringung sind. Massenquartiere etwa in Kasernen wie Bruckneudorf, wo 400 Asylwerber Plätz fänden, seien abzulehnen.
Bürgermeister stellt sich Verantwortung
Die auch medial geschürte Hysterie rund um das Asylthema kritisierte der Neudörfler Bürgermeister Posch. Er habe zuletzt Journalisten gefragt, wie viele Flüchtlinge zur Erfüllung der Quote im Burgenland wohl aufzunehmen wären. Die Vermutungen hätten sich im fünfstelligen Bereich bewegt; tatsächlich fehlten nach aktuellem Stand zu den 1.540 in Grundversorgung befindlichen Asylwerbern dafür lediglich 62 weitere - laut Posch eine durchaus zumutbare Belastung und zu bewältigende Aufgabe für ein Bundesland mit 290.000 Einwohnern. In Neudörfl gebe es bei 4.300 Einheimischen knapp 60 junge Flüchtlinge, und auch der einzige FP-Gemeinderat würde bestätigen, dass es keine Probleme mit ihnen gebe. Und die SPÖ habe trotz ihrer asylfreundlichen Linie auf Gemeindeebene Zuwächse erzielt.
Er wolle als Bürgermeister nicht bloß Beobachter beim "Match Bund gegen Länder" sein, sondern wolle selbst einer Verantwortung gerecht werden, die sich derzeit in ganz Europa stelle, sagte Posch. Das Einschwenken auf Parolen von Rechtpopulisten bewähre sich beim Thema Flüchtlinge nicht - im Gegenteil: Denn die Stimmen der Unzufriedenen würden letztlich dort verbleiben.
Edith Ivancsits, Leiterin des Hauses Sarah, veranschaulichte bei der Begrüßung der Gäste die Integrationserfolge ihrer Einrichtung: Im Rahmen der professionellen 24-Stunden-Betreuung der 30 jungen Flüchtlinge von 15 bis 18 Jahren sowie der 26 Erwachsenen würden Deutschkurse und anderer Unterricht sowie eine freizeitpädagogische Tagesstruktur mit Sport und Ausflügen angeboten. Zugewiesen werden die Betroffenen über das Leger in Traiskirchen, die Herkunftsländer sind u.a. Afghanistan, Syrien, Somalia, Nigeria und Eritrea. Einige der jungen Männer engagieren sich in Neudörfl etwa in der Freiwilligen Feuerwehr oder spielen Fußball beim Ortsverein.
Österreichweit betreut die Caritas bereits 30 Prozent aller Asylwerber in der Grundversorgung - mehr als 4.400 Personen. Zusätzlich werden 10.500 Flüchtlinge mobil betreut.