Befassung mit Islam ist "Überlebensfrage"
Auf die Bedeutung einer wissenschaftlich-theologischen Befassung mit dem Islam hat der Berliner evangelische Theologe Christoph Markschies hingewiesen. Die Berücksichtigung islamischer Theologie und kritischer Koranforschung könne zukünftig geradezu zu einer "Überlebensfrage christlicher Theologie" an den Universitäten werden, sagte Markschies bei der Verleihung des "Theologischen Preises" der "Salzburger Hochschulwochen" am Mittwochabend in Salzburg. Markschies unterstrich die Bedeutung islamischer Theologie und Koranforschung im Zuge einer Laudatio für die Preisträgerin, die Koranforscherin Angelika Neuwirth. Die Arbeiten Neuwirths könnten als Beispiel für eine solche positive Aneignung neuester Forschungen gelten und zugleich die Basis einer kritischen christlichen Reflexion bieten.
Markschies, selbst 2010 mit dem "Theologischen Preis" ausgezeichnet, würdigte Neuwirth in seiner Laudatio als "Grand dame der Koranforschung". Durch ihr wissenschaftliches wie persönliches Engagement verstehe es Neuwirth, das Verständnis des Islam und des Koran in der christlichen Theologie und umgekehrt das Verständnis des Christentums im Islam zu vertiefen und damit ein friedliches Miteinander der beiden Religionen zu fördern, so Markschies. Zugleich habe Neuwirth durch ihre zahlreichen Arbeiten etwa zur Verortung des Koran in der Spätantike deutlich gemacht, dass der Koran "Teil der europäischen Geschichte" ist und ein "europäischer Zugang zum Koran" auch einen "neues Verständnis Europas" hervorbringen könne.
Die Verleihung des "Theologischen Preises" stellt einen Höhepunkt der "Salzburger Hochschulwoche" dar, die heuer unter dem Motto "Prekäre Humanität" steht und noch bis 2. August dauert. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Unter den bisherigen Preisträgern sind u.a. Kardinal Walter Kasper, Kardinal Karl Lehmann sowie die Theologen Johann Baptist Metz und Erich Zenger. Anwesend waren bei der Verleihung u.a. der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, Abtpräses Christian Haidinger sowie der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück.
In ihren Dankesworten hatte Neuwirth für eine "zeitgemäße, auch politikbewusste kritische Koranforschung" plädiert. Eine solche Forschung, die sich historischer Methoden ebenso bedient wie literatur- und kulturwissenschaftlicher Methoden, könne ein "ideologisches Korrektiv" gegen jede theologisch verengende Koran-Lektüre sein, so Neuwirth. Zugleich lasse eine solche historisch-kritische Lesart auch die "hermeneutische Verwandtschaft" zwischen Islam, Judentum und Christentum in einem neuen Licht erscheinen: "Der Koran ist kein nur-islamischer, und daher erst durch den islamischen Kanon zu filternder Text, sondern ebenso ein integraler Teil unserer - eben nicht nur - jüdisch-christlichen Spätantike".
Angelika Neuwirth wurde am 4. November 1943 in Nienburg/Weser geboren. Sie studierte Arabistik, Semitistik und Klassische Philologie in Berlin, Teheran, Göttingen, München und Jerusalem. Von 1977 bis 1983 hatte sie eine Gastprofessur an der University of Jordan in Amman inne. Seit 1991 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Arabistik an der Freien Universität Berlin. Von 1994 bis 1999 leitete sie weiters das Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut und Istanbul als Direktorin. Seit 2007 ist sie Leiterin des Projekts Corpus Coranicum an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Neuwirth ist bereits Trägerin zahlreicher Auszeichnungen - u.a. des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, des Sigmund-Freud-Preises für wissenschaftliche Prosa und des Dr. Leopold-Lucas-Preises. Außerdem ist sie seit 2013 Ehrendoktor der Universität Salzburg.