"Humanität": Flüchtig und doch unaufgebbar
So grausam und inhuman sich die Welt auch darstellen mag, so sehr der Mensch auch sich und seines Nächsten Wolf ("homo homini lupus") zu sein scheint - so unaufgebbar ist doch zugleich der Begriff der "Humanität", wenn sich der Mensch nicht zum bloßen Triebwesen degradieren will: Mit diesem emphatischen Plädoyer des Berliner Philosophen Volker Gerhardt für eine Relecture und Wiedergewinnung des Begriffs der Humanität in der Philosophie hob der zweite Tag der heurigen "Salzburger Hochschulwoche" an. Die renommierte Vortrags- und Diskussionsveranstaltung findet noch bis 2. August zum Thema "Prekäre Humanität" statt.
Das Zauberwort für die Fundierung der Humanität als ethische Selbstverpflichtung sieht Gerhardt im Begriff der Kultur. Diese sei - bei aller bleibenden Abhängigkeit von der Natur des Menschen, seiner Sterblichkeit, seiner Triebhaftigkeit - eine allen Verständigungsprozessen vorausliegende und verbindende Gemeinsamkeit. Kultur bedeute Welterschließung ebenso wie eine aus ihr hervorgehende Verpflichtung zu moralischem Handeln. "Wir verdanken der Welt und der Natur natürlich viel, aber durch die Kultur wird dieses Wissen erst umgeformt und angereichert und auf die gemeinsame Welt gerichtet. Dieser Impuls beinhaltet einen universalistischen Anspruch", so Gerhardt.
Damit erscheine der Mensch letztlich in einer Art "hybriden Verfassung", lebe er doch aus einem doppelten Antrieb heraus: der ihn bestimmenden Natur ebenso wie der Kultur als Form der Bewältigung der Natur. "Spätestens mit diesem Übergang aber von der Natur zu einer vom Menschen gestalteten Kultur gehört mehr zu seinem Leben als er selbst". Umgekehrt bedeute dies, dass ein Mensch immer zugleich auch Träger der Humanität, Träger der Idee der Menschheit ist.
Werthaftigkeit religiöser Lebenswelten
Skeptischer im Blick auf die Begründungskompetenz eines allein auf Vernunft basierenden Humanitäts-Begriffs zeigte sich der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn. So müsse zwischen einem "Begründungskontext" und einem "Entdeckungskontext" von Werten und Überzeugungen unterschieden werden. Während moderne - säkulare - Ethiken sich mit Begründungsverfahren und -prozessen befassen und nach den Bedingungen der Verallgemeinerbarkeit von Werten und Normen fragen, habe die Religion die Kraft, Normen und Werte zu entdecken und zu fundieren. Wohl gemerkt: nicht als eine der Vernunft äußerliche, sozusagen "unvernünftige" Kraft, sondern als das "vernunftgemäß Andere der Vernunft".
So böten religiöse Lebenswelten ein Ethos, das zum Umgang mit den "Wechselfällen des Lebens" - mit Glück, Unglück, Trauer, Leid etc. - in besonderer Weise befähige und zu dem man allein auf dm Weg der Vernunft nicht gekommen wäre. Begriffliche Beispiele für diese Formen der Humanität seien etwa die Feindesliebe, Barmherzigkeit oder Versöhnung. Ein religiöser Zugang zu diesen Begriffen sei nicht von abwägender Rationalität bestimmt, sondern vom Wissen um ein umfassenderes Ganzes: "Der andere mag mein Feind sein, aber er bleibt dabei aber immer mein Mitmensch".
Einem solchen Zugang liege laut Höhn jedoch eine wichtige Annahme zugrunde, die ebenfalls von einer säkularen Vernunft nur schwer rekonstruiert werden könne: Die Annahme einer prinzipiellen Werthaftigkeit der Welt. Humanes Handeln in der Welt, die Wahrnehmung von Verantwortung in der Welt mache nur dann einen Sinn, wenn man davon ausgehen könne, dass die Welt "eine Art ursprüngliche Bonität" besitze.
Und so sei der Mensch genötigt, um seiner eigenen Humanität willen sich und die Welt zu "transzendieren", zu übersteigen. Dies sei "eine Art wohltuende Nötigung der Vernunft", so Höhn, dass sie um der Humanität willen zur Übersteigung ihrer selbst gedrängt werde und in der Religion einen wiewohl ungleichen, so doch kostbaren Partner finde. So stehe es der Vernunft letztlich gut zu Gesicht, in Fragen der Humanität und Moralität den Dialog mit der Religion zu suchen - aus einer "berechtigten Renditeerwartung" heraus.
Quelle: kathpress