Religionen: Wahrheitsanspruch nicht aufgeben
Mit einem Plädoyer, den interreligiösen Religionsdialog als Friedensdialog zu intensivieren, ohne den je eigenen Wahrheitsanspruch aufzugeben, endete am Freitagabend in Wien eine internationale Tagung über Lessings Ringparabel. Der Wiener Dogmatiker und Tagungsinitiator Jan-Heiner Tück zeigte in seinem Abschlussvortrag auf, dass ein solcher Dialog durchaus zentrale und heute aktuelle Motive aus Lessings Ringparabel aufgreifen könne, aber doch darüber hinaus gehen müsse: Eine Verflüssigung des Wahrheitsanspruchs in einen moralischen Wettstreit oder in eine "performative Theologie", wie sie der Ägyptologe Jan Assmann am Vorabend empfohlen hatte, sei nur bedingt hilfreich und greife zu kurz, so Tück.
Wo Lessing mit seiner Ringparabel Partei gegen "eingefleischte Vorurteile und doktrinale Ignoranz" ergreife ohne die religiösen Eigenheiten aufzugeben, wo er für Toleranz gegenüber Andersgläubigen werbe, eine kritische Infragestellung der eigenen Religion empfehle, könne man in Papst Franziskus durchaus einen würdigen Verfechter Lessings sehen. Schließlich trete auch Franziskus dafür ein, "Vorurteile und negative Stereotypen über andere Religionen abzubauen", "Juden und Muslime in ihrem Selbstverständnis ernst zu nehmen" und "die Schatten der christlichen Schuldgeschichte selbstkritisch aufzuarbeiten", so Tück.
Anders als Lessing fuße diese Begegnung "auf Augenhöhe" bei Franziskus jedoch nicht auf einer Transformation der Wahrheitsfrage, sondern auf einem Bezeugen der Wahrheit "in Demut und in konkreten Taten". So könne sei die Kirche Lessing tatsächlich "in Vielem" gefolgt, "in dem Punkt aber, den christologischen Universalitätsanspruch zurückzunehmen, wird die Kirche ihm nicht folgen können, wenn sie weiterhin die Kirche Jesu Christi bleiben will". Dies sei letztlich auch das Anliegen des päpstlichen Schreibens "Evangelii Gaudium".
Dieser Weg einer dialogischen Öffnung zu den anderen Religionen ohne Absentierung des eigenen Wahrheitsanspruchs sei bereits vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) eingeschlagen und von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in Form der Weltgebetstreffen in Assisi konsequent weiterentwickelt worden, so Tück. Auch wenn die zentralen Konzilstexte "Lumen Gentium", "Nostra Aetate" oder "Gaudium et spes" durchaus noch "Reste eines Heilsexklusivismus" aufwiesen, so enthielten sie doch zugleich auch jene "Momente einer Selbstrelativierung" und einer Würdigung der Heilswege der anderen biblischen Religionen, wie sie sich bereits bei Lessing finden lassen. Von dieser Wende zeuge laut Tück etwa die sprachliche Kehrtwende von "Häretikern" und "Schismatikern" hin zu "getrennten Brüdern" sowie die Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit durch das Konzil.
Streiten "auf die schönste Weise"
Tücks Vortrag gingen Beiträge des Religionsphilosophen und Islamwissenschaftlers Ahmad Milad Karimi und des Frankfurter Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik voraus. Karimi betonte in seinem Vortrag zur "Aktualität der Ringparabel im islamischen Selbstverständnis" die Bedeutung des Streites für den interreligiösen Dialog - jedoch stets unter der Voraussetzung, dass dieser unter Einhaltung fester Regeln vonstatten gehe. So heiße es in einer Sure etwa: "Streitet, aber nur auf die schönste Weise". Dies zeige, dass der Streit und die Diskussion durchaus gottgewollt seien, aber niemals die Absicht verfolgen dürften, den Gegenüber verändern zu wollen: "Theologie besteht immer aus Streit, denn Wahrheit entsteht im Gespräch", so Karimi.
Weiters unterstrich Karimi die Verbindungen der drei abrahamitischen Religionen: Die Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem Christentum sei für den Islam unabdingbar, da man den Koran nur verstehen könne, wenn man sich auch mit der Bibel befasse. Es wäre eine Tragödie für den Islam, wenn es kein Christentum und Judentum gäbe, so Karimi. Deswegen könne man provokant formulieren, dass der Islam eigentlich keine "neue Religion" darstellt, sondern eine Erinnerung an die alten, biblisch überlieferten Erfahrungen von und mit Gott.
"Aufklärung mit Religion verbinden"
Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik bezeichnete Lessings Ringparabel als "klugen Versuch, Aufklärung mit Religion zu verbinden". Insbesondere Lessings Korrespondenzen mit seinem Freund und Wegbegleiter, dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, hätten sich in der Ringparabel widergespiegelt, so Brumlik. Lessings Erkenntnis, die Menschheit habe durch das Judentum überhaupt erst Kunde von Gott erhalten, sei seiner Zeit weit voraus gewesen.
Abschließend zeigte sich Tück im Gespräch mit "Kathpress" äußerst zufrieden mit dem Verlauf der Tagung. Selten habe er einen so konstruktiven interdisziplinären Dialog erlebt. Dies sei ihm auch von allen Referenten bestätigt worden. Selbst der als Hauptredner geladene Ägyptologe Jan Assmann plädierte laut Tück dringend für eine Fortsetzung des in Wien eingeschlagenen Weges einer dialogischen Verständigung zwischen den drei großen monotheistischen Weltreligionen. Eine Anregung, die man gerne aufgreifen werde, kündigte Tück an.
Die Tagung "Lessings Ringparabel. Ein Paradigma für die Verständigung zwischen den Religionen heute?" fand im Rahmen der Feierlichkeiten zum 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien statt.