Gewalt als theologische Herausforderung
Immer wieder wurde nach den Anschlägen von Paris und Kopenhagen von Religionsvertretern betont, die Gewaltexzesse hätten nichts mit Religion, konkret: mit dem Islam zu tun. Und doch orten Islamvertreter in der öffentlichen Debatte eine zunehmend islamophobe Grundstimmung. Wenn nun indes auch Vertreter des Judentums ein erneutes Ansteigen des Antisemitismus in Europa konstatieren, scheint sich das Problem nicht mehr nur auf "den Islam" als Religion oder den Nahen Osten zu begrenzen. Anders gesagt: Der Monotheismus selbst steht - abermals - auf dem theologischen Prüfstand. Befördert er durch seinen Wahrheitsanspruch notwendigerweise Gewalt? Oder gibt es einen verschütteten theologischen Kern, der auf Verständigung und Dialog zwischen Christentum, Judentum und Islam zielt?
Dieser Frage stellen sich derzeit in Wien internationale Theologen im Rahmen einer Fachtagung über Lessings Ringparabel. "Kann Lessings Ringparabel ein Vorbild für die aktuelle Verständigung zwischen den Religion sein?", fragte entsprechend der Wiener katholische Dogmatiker und Initiator der Tagung, Jan-Heiner Tück, zur Eröffnung am Donnerstagabend. Tatsächlich werbe die Ringparabel aus Gotthold Ephraim Lessings Werk "Nathan der Weise" in besonderer Weise für Toleranz gegenüber Andersgläubigen und für ein hohes Maß an kritischer Infragestellung der eigenen religiösen und theologischen Traditionen. "Lessing weist auf Humanitätspotenziale im Judentum und im Islam hin, hinter die das Christentum in seiner Geschichte nur allzu oft zurückgefallen ist".
Im Zentrum der Ringparabel steht die Frage nach der Wahrheit der Religion: In der Erzählung geht es um Sultan Saladin, der einen kostbaren Ring an denjenigen unter seinen Söhnen weitergibt, den er am meisten liebt und den er damit zum Erben einsetzt. So verfahren auch seine Nachkommen. Als Generationen später jedoch ein Vater seine drei Söhne alle gleich liebt, lässt er ohne deren Wissen zwei weitere Ringe anfertigen, sodass der Vater kaum und die Söhne gar nicht mehr entscheiden können, welcher Ring der ursprüngliche ist. Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Jeder Ringträger solle sich also bemühen, diese Wirkung für sich herbeizuführen.
In der Erzählung gehe es Lessing nicht etwa um die Auflösung aller Religion in einen "abstrakten Humanismus" oder um einen Wettstreit um die Wahrheit einer einzigen Religion, so Tück, sondern um einen Wettstreit der Religionen um das Gute auf Augenhöhe: "Das Jude-, Christ- und Muslimsein soll gerade nicht neutralisiert, sondern als geschichtliche Quelle von Humanität stark gemacht werden. Die jeweilige Religion soll als Vehikel der Menschwerdung des Menschen dienen, die strittige Echtheit des Ringes soll durch die humane Praxis seines Trägers sichtbar gemacht werden."
Assmann: Unterwegs zu "performativer Theologie"
Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann zeigte als Eröffnungsredner der Tagung am Donnerstagabend in einer historisch-theologischen Betrachtung den theologischen Wert der Ringparabel für die heutige Diskussion auf: Diesen sieht Assmann in Ansätzen einer "performativen Theologie", die Lessing in der Ringparabel skizziert habe. Indem Lessing seine Parabel nämlich - anders als bei der historischen Textvorlage, dem 1348 entstandenen "Decamerone" von Boccaccio - auf einen Wettstreit nicht um das Wahre, sondern um das moralisch Gute hinauslaufen lässt, werde ein theologischer Raum eröffnet, in dem nicht unterschiedliche Wahrheitsansprüche kollidieren, sondern in dem Wahrheit in eine moralische Kategorie überführt werde. "Plädiert wird für eine Anerkennung des Anderen auf der Grundlage einer Selbstzurücknahme, einer Relativierung der eigenen Wahrheit", so Assmann.
"Performativ" könne man die zugrunde liegende Theologie nennen, so Assmann, insofern nicht die Wahrheit der einen oder anderen Religion konstatiert werde, sondern sie sich als Wahrheit erst im Tun, im Akt erweise. Damit konzipiere Lessing eine "Theologie des Als Ob": Die drei Söhne müssten leben, "als ob ihr Ring der echte wäre" - nichts anderes meine das Wort "Glauben": "Dieses 'Als Ob' hat nichts mit Fiktionalität zu tun, sondern mit Glauben. Fiktionen 'glaubt' man nicht." Dass es Wahrheit gibt, werde nicht bestritten, so Assmann, aber sie sei nicht mehr eindeutig auszumachen: "Die Wahrheit ist verborgen, sie ist immer nur anzustreben aber niemals zu besitzen." Insofern zeige sich Wahrheit nicht in der "besten Theologie", sondern in einer "Lebensführung nach dem Prinzip 'An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen'".
Die Pointe der Assmannschen Lektüre der Ringparabel liegt nun in der Übertragung dieses theologischen Ansatzes auf den biblischen Monotheismus schlechthin: "Mein Eindruck ist nun, dass auch schon die biblische Religion überhaupt diese Wendung ins Performative vollzieht, und nicht dem Gegebenen, sondern dem Herzustellenden gilt." Schon die biblische Exodus-Erzählung, der Bund des Volkes Israel mit Gott und der Auszug ins Gelobte Land komme einen "Auszug aus der Welt des Gegebenen in die Welt des Aufgegebenen, Verheißenen, im Tun zu Verwirklichenden gleich", so Assmann abschließend.
Die Tagung "Lessings Ringparabel. Ein Paradigma für die Verständigung zwischen den Religionen heute?" findet im Rahmen der Feierlichkeiten zum 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien statt. Sie endet am Freitagabend mit einem Vortrag von Jan-Heiner Tück über "Die katholische Kirche und die anderen Religionen - Nostra Aetate und die Folgen".