Kirche braucht "dienenden Gestus des Angebots"
Bedarf an mehr dienenden und hilfreichen kirchlichen Angebote ortet der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher: Weiterhin würden Menschen Kirchenangebote zumindest situativ nutzen; in der Annahme, "dass die christlichen Kirchen etwas zur Verfügung stellen, was man eventuell brauchen kann", so Bucher im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (Donnerstag).
Anstatt ihr Leben wie noch vor zwei Generationen prinzipiell an den Regeln der Kirche auszurichten, würden die Menschen heute selbst über die Nutzung kirchlicher Orte bestimmen - "und das nach ihren jeweiligen individuellen biografischen Bedürfnissen", erklärte Bucher. Besonders treffe dies in einer Lebenskrise, bei Lebenswenden, zu einem gelegentlichen Gottesdienst oder einfach zum Stillwerden in einem Gotteshaus zu. Die Kirchen müssten darauf "vorurteilsfrei und offen zugehen" und sich auf ihre religiöse Aufgabe konzentrieren, "Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes zu sein".
Außer die Sorge um Ausgeschlossene, Leidende und Opfer müsse die Kirche jedoch auch die "Mühen des Alltags" begleiten und die Welt der Menschen von heute - besonders der statusniedrigeren Lebensmilieus und der Eliten - besser kennenlernen, mahnte der Theologe: "Sie darf sich nicht in Idyllen zurückziehen, wo man nicht scheitern darf, wo die Brüche des postmodernen Lebens verschwiegen werden müssen, weil man sonst nicht dazugehört."
Bedarf sehe er zudem für kirchliche Orte für "offene, wertschätzende, aufmerksame und liebevolle" Diskurse, Begegnungen und Riten zwischen dem Leben in seiner ganzen Bandbreite und der Glaubenstradition.
Eine Erneuerung werde der Kirche nur als "radikal selbstlose, dienende Kirche" gelingen, erklärte Bucher. Dies sei auch der Weg von Papst Franziskus: "Er will eine Kirche, die selbstbewusst und freundlich, kreativ und hilfreich auf die Probleme der Menschen reagiert." Erfolg habe die Kirche schließlich "überall dort, wo sie den Menschen dienend entgegentritt, im Gestus des Angebots, überall dort, wo sie als hilfreich erfahren wird".
Bollwerk gegen Kapitalismus
Eine Art "Versicherungskalkül", demzufolge man die Kirche einmal konkret im Leben oder als "transzendente Rückversicherung" noch brauchen könnte, sei Studien zufolge ein Hauptmotiv für das Bezahlen des Kirchenbeitrages, so Bucher. Ein weiteres sei die Wertschätzung der Kirche als "Wertevermittlungsagentur, als Sozialagentur, als Institution, die der fortwährenden kapitalistischen Verwertungsdynamik etwas entgegensetzt".
Durchaus habe die Kirche gegen den zerstörerischen Kapitalismus, der außer den religiösen Fundamentalismen der "große Gegenspieler der Kirche" sei, gute Argumente vorzubringen: Sie stelle Horizonte und Ressourcen bereit, "die man anderswo nicht so leicht bekommt". Den kirchliche Widerstand gegen die Dynamiken der Selbsterlösung und des Ausschlusses werde in Zukunft noch wichtiger werden, so Buchers These. "Wir verrennen uns, wenn wir glauben, wir könnten als die Fitten und Schönen und Erfolgreichen gut durchs Leben kommen."