Sonntagseinkauf: Widerstand der Kirche
Widerstand aus den Reihen der Kirche hat das Ansinnen der Wirtschaftskammer ausgelöst, das Einkaufen in Wiener "Tourismuszonen" auch am Sonntag zu gestatten. Vor einem Verlust an Lebensqualität und Sonntagskultur sowie schwerwiegenden Nachteilen für Handelsangestellte haben am Dienstag Vertreter der Wiener Katholischen Aktion (KA), des Katholischen Familienverbandes und der "Allianz für den freien Sonntag" gewarnt. Auch die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten wurde angezweifelt.
"Wien ist eine Weltstadt - auch ohne Sonntagsöffnung", betonte der Präsident der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien, Walter Rijs, in einer Stellungnahme am Dienstag. Gerade das sei das Spezifische, das Wien von vielen anderen großen Städten unterscheidet, "und darauf sollten wir stolz sein". Laut Rijs müsse den Menschen, insbesondere den im Handel beschäftigten, Erholung, Ruhe und gemeinsame Zeit für Familie und Gemeinschaft gegönnt werden. Auch viele Touristen schätzten die Tatsache, dass es in Wien auch Zeiten gibt, wo es "ruhiger und gemächlicher" zugeht. In diesem Sinne ist der arbeitsfreie Sonntag laut der KA Wien "eigentlich ein Teil der österreichischen Kultur", der sowohl für Einheimische als auch Besucher eine wichtige Pause bedeute.
Die Initiative der Wirtschaftskammer gegen den arbeitsfreien Sonntag erachtet Rijs als "sehr befremdlich": "Hier wird etwas zum Thema gemacht, was nur dem Interesse einzelner Lobbys dient und nicht dem gesamten Wohlbefinden der Wiener Bevölkerung oder der meisten Wirtschaftsbetriebe." Dass sich seit 2004 der Tourismus in Wien verdoppelt habe, beweise, dass Gäste nicht wegen des Einkaufens nach Wien kommen.
Dass der wirtschaftliche Erfolg einer Sonntagsöffnung überschaubar bliebe, haben laut Rijs auch die Ausnahmebestimmungen während der Fußball-Europameisterschaft 2008 gezeigt. Gerade der Einzelhandel mit wenigen oder geringer Mitarbeiterzahl wäre durch eine Sonntagsöffnung finanziell besonders belastet. Die Mehrkosten bzw. der Arbeitsaufwand der Eigentümer stünden in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Erfolg.
"Es braucht in unserer immer schneller werdenden Lebenswelt gemeinsame Ruhezeiten, Zeit für gesellschaftliche Kontakte und auch Zeit für den gemeinsamen Besuch der Sonntagsgottesdienste", ist der KA-Präsident überzeugt. Der arbeitsfreie Sonntag wirke dem Trend entgegen, "dass alle Lebenszeit zu Arbeits- und Konsumzeit wird".
Auch Familienverband sagt "klares Nein"
Ein "klares Nein" zum Vorstoß der Wiener Wirtschaftskammer, die Sonntagsöffnung in Wien zu erlauben, kam am Dienstag auch von Seiten des Katholischen Familienverbandes (KFÖ). "Der arbeitsfreie Sonntag darf nicht infragegestellt werden!", betonte KFÖ-Präsident Alfred Trendl. Der überwiegend arbeitsfreie Sonntag präge für große Teile der Bevölkerung das gesellschaftliche, religiöse, kulturelle und familiäre Zusammenleben, "er ist ein psychosozialer Dienst an der ganzen Gesellschaft", so Trendl. Die Folgen einer Sonntagsöffnung wären gravierend: "Wird der Sonntag zum Werktag, hat jeder seinen eigenen, anderen 'Sonntag'." Gerade für Familien wäre das ein dramatischer Verlust.
Der Präsident des Katholischen Familienverbandes ortet, wenn es um gemeinsame freie Zeit für Familien geht, gar eine "Salamitaktik": Nach den Überlegungen der Bundesregierung, das Recht auf Elternteilzeit zu verkürzen und die Langvariante des Kinderbetreuungsgeldes in Frage zu stellen, sei die Lockerung der Ladenöffnungszeiten ein nächster Schritt, gemeinsame Familienzeit zugunsten der Wirtschaft zu verkürzen. "Dagegen müssen wir uns wehren", sagte Trendl.
Sonntag bringt Wien "einzigartige Lebensqualität"
Der arbeitsfreie Sonntag in Wien "sorgt für eine weltweit einzigartige Lebensqualität": Das hielt die "Allianz für den freien Sonntag Österreich", der mehr als 50 Organisationen aus Zivilgesellschaft, Kirchen und Gewerkschaften angehören, in ihrer Stellungnahme fest. In ganz Europa werde Wien für zweierlei beneidet: für den wirtschaftlichen Erfolg und eben für diese Lebensqualität, sagt die Koordinatorin der Allianz für den freien Sonntag Österreich Gabriele Kienesberger. "Eine Tourismuszone würde Wien aus dem Takt bringen."
"Das Wahrzeichen Wiens ist das Riesenrad und nicht das Hamsterrad von Arbeit und Konsum", sagte auch Franz Georg Brantner von der Wiener "Allianz für den freien Sonntag". Er warnte davor, dass aus dem "Spiel" mit einer begrenzten Tourismuszone "schnell bitterer Ernst für alle Handelsangestellten" würde. Wiener und österreichische Sonntagsallianz würden sich "dafür engagieren, dass das Gemeinwohl siegt und nicht einzelne Wirtschaftslobbys".
Kienesberger zur geplanten Urabstimmung in der Wiener Wirtschaftskammer: "Wer befragt die Bewohner in Wien, ob sie auch sonntags den durch Zulieferung verursachten LKW-Transit und das erhöhte Verkehrsaufkommen durch Einkaufsfahrten ertragen wollen?"
Die "Allianz für den freien Sonntag Österreich" befürchtet, dass Wien zum "Präzedenzfall für ganz Österreich" würde. "Wenn ganz Wien Tourismuszone wird, warum sollte dann nicht ganz Österreich Tourismuszone werden?", so Kienesberger.
Drei Tourismuszonen angedacht
Vorausgegangen war eine "Empfehlung" des neuen Präsidenten der Wirtschaftskammer Wien (WKW), Walter Ruck, die Wiener Innenstadt ebenso als "Tourismuszone" zu definieren wie eventuell die untere Mariahilfer Straße beziehungsweise den Bereich rund um das Schloss Schönbrunn. Durch dortige Shopping-Möglichkeiten würden an die 800 neue Arbeitsplätze entstehen, so die Behauptung, die Sonntagsöffnung in einer Tourismuszone würde dem Handel 140 Millionen Euro an Mehreinnahmen bringen würde.
Die Wirtschaftskammer plant nun die laut eigenen Angaben größte Befragung in ihrer Geschichte. Die Urabstimmung soll in den kommenden Wochen durchgeführt werden, teilnehmen dürfen daran alle Wiener Firmen. Unterstützung für eine Liberalisierung kommt von Hoteliers, Tourismusbetrieben und dem Handel. Die Gewerkschaft, Gastronomen und der sozialdemokratische Wirtschaftsverband reagierten skeptisch.