Kirche muss "neurotische Fixierungen" ablegen
Scharfe Kritik an einer kirchlichen "neurotischen Fixierung" in Fragen der Sexualmoral und der Ehe- und Familienpastoral hat der Innsbrucker Dogmatiker Jozef Niewiadomski geübt. Diese Fixierung betreffe die Bereiche Empfängnisverhütung und den "Schutz der Ehe durch die Jagd auf den Sündenbock wiederverheiratete Geschiedene", betonte der Theologe im Interview mit der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag". Angesichts der tatsächlichen Probleme - "Es gibt eine Krise der Familie" - sei dies "eine zu enge Sicht".
Die von Niewiadomski diagnostizierte Krise sei "nicht durch einen moralischen Verfall bedingt", sondern durch Veränderungen in der Gesellschaft. Die Kirche tue daher gut daran, die Familie in dieser neuen Situation zu stärken: "Ich glaube aber nicht, dass sie dadurch gestärkt wird, dass wir den bisherigen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder den bisherigen Umgang im Hinblick auf die Empfängnisverhütung beibehalten. Das geht am Leben der Menschen vorbei."
Die Kritik, die Papst Franziskus innerkirchlich in diesen Fragen immer wieder entgegenweht, führt Niewiadomski auf ein "Paradox der verwickelten Hierarchien" zurück: So komme die Kritik vor allem aus jenen Kreisen, "die in der Zeit Benedikts XVI. auf die päpstliche Autorität als allein gültiges Argument gepocht haben." Diese Zeit sei jedoch vorbei - und jene, die damals allein auf die päpstliche Autorität pochten, stünden nun unter Zugzwang und müssten "Inhalte liefern". Diese seien jedoch oftmals "so dürftig, dass sie in der heutigen Welt davonschwimmen".
Umdenken müssten unter Franziskus auch die Bischöfe und Bischofskonferenzen, insofern sie sich nicht länger als "eine Art Filialleiter" der Weltkirche oder als "Beamte des Papstes" verstehen dürften, sondern ihre eigene Verantwortung stärker wahrnehmen sollten. "Evangelii Gaudium" komme da eine besondere Rolle zu, denn: "Was der Papst da geschrieben hat, ist eine gewaltige Erneuerung", wies Niewiadomski hin.
Päpstliche Kontinuität
Deutliche Parallelen sieht der aus Polen stammende Theologe weiters zwischen Papst Franziskus und Papst Johannes Paul II. Die inhaltlichen Verbindungen seien "sehr eng": "In vielen Punkten sehe ich Johannes Paul II. und Franziskus in einer direkten Kontinutität." Dies betreffe vor allem die bei beiden Päpsten zentrale Botschaft der Barmherzigkeit vor jeder Gerechtigkeitsfrage, so Niewiadomski. Die persönlichen Erfahrungen als Zwangsarbeiter im Steinbruch sowie als von der Spiritualität der Sr. Faustina Kowalska berührter Theologe habe Johannes Paul II. maßgeblich geprägt.
Eine ähnliche Spiritualität verfolge auch Franziskus, wenn er von einer armen Kirche für die Armen spreche. Es gelte jedoch, diesen Begriff richtig zu deuten, so Niewiadomski: Schließlich sei der Arme nicht zu würdigen, weil er arm ist, weil er Opfer ist, sondern weil er Mitmensch sei: "Es ist eine ungeheure Verführung unserer Zeit, jenen, die unter die Räder der Geschichte gekommen sind, eine ethisch höhere Qualität zuzusprechen. Opfer sein bringt noch keine Identität."
Der Kern der päpstlichen Botschaft bestehe daher laut Niewiadomski nicht in erster Linie in einer Kritik von Geld und Besitz, sondern vor allem darin, die Selbstbezogenheit der Kirche immer wieder aufs Neue zu durchbrechen. Entscheidend sei, ob man sich "durch den anderen, der hungert, dürstet, nichts hat," herausfordern lässt und auf ihn zugeht. Durch eine solche Beziehung entstehe "Veränderung bei jedem Einzelnen", so der Theologe.
Quelle: Kathpress