Papst Benedikt XV. und das "unnütze Blutbad"
Als Giacomo Paolo Battista della Chiesa Anfang September 1914 zum Papst gewählt wurde, war der Erste Weltkrieg vier Wochen im Gang: Benedikt XV. (1914-1922) verzichtete auf eine pompöse Krönung im römischen Petersdom und appellierte stattdessen an die Völker Europas, mit ihrem "Selbstmord" aufzuhören. In den folgenden Jahren bemühte sich der Vatikan mit viel stiller Diplomatie, pazifistischen Appellen und einer großen Friedensinitiative im Jahr 1917, die verhärteten Fronten aufzulockern und einen Verhandlungsfrieden zu erreichen. Das Friedenswerk scheiterte jedoch, das Gemetzel - das "unnütze Blutbad" ("inutile strage"), wie Benedikt XV. sagte - ging weiter, bis zum bitteren Ende.
Schon Benedikts Vorgänger Papst Pius X. (1903-1914) hatte den aufziehenden Ersten Weltkrieg vorausgeahnt. "Der Balkan ist nur der Anfang eines großen Weltenbrandes, den ich nicht hintanhalten noch ihm Widerstand leisten kann", vertraute er im Mai 1913 dem brasilianischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Bruno Chaves, an. Vom damaligen vatikanischen Kardinalsstaatssekretär Kardinal Merry del Val bezeugt ist zudem die päpstliche Bemerkung: "Eminenz, es steht schlecht, wir kommen über das Jahr 1914 nicht hinaus!"
Auf den Kriegsausbruch reagierte der erschütterte Pius X. am 2. August 1914 mit einem Aufruf an die Katholiken in aller Welt: Durch öffentliche Gebete sollten sie erreichen, dass Gott so bald wie möglich die Fackeln des Krieges entferne und den Leitern der Völker Gedanken des Friedens eingebe. Nur wenige Tage später erkrankte der Papst an einer schweren Lungenentzündung, die in der Nacht zum 20. August zu seinem Tod führte.
Friedenspapst
Im folgenden Konklave wählten die Kardinäle den 60-jährigen Erzbischof von Bologna, Kardinal Della Chiesa, zum Papst. Benedikt XV. kam als Kompromisskandidat auf den Stuhl Petri und war dennoch zweifellos die beste Wahl, denn er galt als versierter Kirchendiplomat mit jahrzehntelanger Erfahrung. Auf ihn wartete eine heikle Aufgabe: Schuld und Unschuld ließen sich in diesem Krieg keineswegs sauber trennen; jeder behauptete, sich nur verteidigen zu müssen, die Aggressoren seien die anderen.
Kompromisslose Friedensfreunde wie Benedikt XV. hatten da einen schweren Stand. Dennoch ließ der neue Papst schon in seinen ersten Äußerungen keinen Zweifel daran, wie er über den Krieg dachte: Er sei eine Schlächterei. Schon am 8. September rief er im Apostolischen Schreiben "Ubi primum" alle Katholiken auf, sich für ein Ende des Blutvergießens einzusetzen. Noch deutlicher wurde Benedikt XV. in seiner ersten Enzyklika "Ad beatissimi apostolorum" vom 1. November 1914. Die Menschen sollten sich darauf besinnen, dass sie "Träger derselben Natur" und Kinder des einen Vaters im Himmel seien, und sich zum Verhandlungsfrieden durchringen. Denn es gebe bessere Mittel und Wege, verletzte Rechte wiederherzustellen, als den Krieg. "Wer würde glauben, dass jene, die derart in Hass gegeneinander entbrannt sind, aus einer Art stammen, die gleiche Natur haben, der gleichen menschlichen Gesellschaft angehören? Wer würde glauben, dass sie Brüder sind, deren Vater im Himmel ist?", klagte der Papst.
Friedensdiplomatie hinter den Kulissen
Benedikt hielt zwar strikt an seiner Pflicht zur Neutralität fest und redete keiner Seite das Wort. Dennoch bezichtigten ihn die Kriegsgegner alsbald der Parteilichkeit. Der deutsche Generalstabschef Erich von Ludendorff schimpfte Benedikt den "Franzosenpapst", gleichzeitig nannte ihn der spätere französische Premierminister Georges Clemenceau mit Bezug auf ein französisches Schimpfwort für die Deutschen "le pape boche". Die auf beiden Seiten tonangebenden Kriegstreiber machten dem Papst allein schon seine Friedensappelle zum Vorwurf: Er lähme damit die Widerstandskraft gegen die Feinde, hieß es.
Die päpstliche Diplomatie versuchte indes unverdrossen, sich in die praktisch seit Kriegsbeginn laufenden Geheimverhandlungen zwischen den Blöcken einzuklinken. Denn während die Propagandamaschinerie den jeweiligen Kriegsgegner zum Teufel stempelte und an den Fronten Hunderttausende starben, entfalteten Minister, Parlamentarier und Diplomaten hinter den Kulissen hektische Aktivitäten zwischen allen Lagern.
Vor Weihnachten 1914 unternahm der Papst einen Versuch zur Vermittlung eines Waffenstillstands. Der Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf der Habsburgerarmee Franz Conrad von Hötzendorf unterstützte dies jedoch nicht, weil er glaubte, dass sich die Russen nicht daran halten würden.
Pacelli als Gesandter
Benedikt und sein Kardinal-Staatssekretär Pietro Gasparri fühlten dennoch weiterhin bei den Kriegsparteien bezüglich der Friedensbedingungen vor. Als sich Anfang 1915 die Signale für eine Kriegseintritt Italiens mehrten, versuchte der Vatikan zu vermitteln und empfahl Österreich-Ungarn die Abtretung des Trentino an Italien im Interesse eines Friedens zwischen Wien und Rom. Benedikt entsandte Eugenio Pacelli, den späteren Papst Pius XII. nach Wien. Seine Gespräche mit Kaiser Franz Joseph blieben jedoch ohne Erfolg. Am 23. Mai 1915 erfolgte die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn.
Zum ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs veröffentlichte der Papst angesichts der "blutgetränkten Schlachtfelder" am 28. Juli 1915 im Apostolischen Schreiben "Allorche fummo chiamati" erneut einen öffentlichen Friedensaufruf an die Kriegsparteien. Friede in der Welt beruhe "auf gegenseitigem Wohlwollen und auf der Hochachtung der gegenseitigen Würde und Rechte vielmehr als auf großen Heeren und gewaltigen Festungen", schrieb Benedikt XV. und warnte gleichzeitig die künftigen Sieger des Weltkriegs, die Verlierernationen zu demütigen: "Die Nationen, erniedrigt und gedemütigt, ertragen mit Widerwillen das Aufgezwungene, bereiten sich aber auf Wiedereroberung vor und verbreiten von Geschlecht zu Geschlecht Hass und Rache", so die prophetischen Worte Benedikts über die Gefahr eines neuen Krieges.
Ende 1916 versuchten die Mittelmächte den Papst für die Unterstützung eines Friedensangebots an die Entente zu gewinnen. Benedikt XV. schwieg jedoch dazu, was ihm von Berlin und Wien sehr übel genommen wurde. Großbritannien ließ damals verlauten, dass jeder Schritt des Papstes zu einem Friedensschluss sehr negativ aufgenommen würde. Die Initiative fiel nämlich in eine Zeit, in der sich die Entente in der Defensive befand.
In den Mittelpunkt des Interesses rückte bald das von Deutschland besetzte Belgien. Der junge Monsignore Pacelli, gerade zum Nuntius in Bayern ernannt, konnte bei persönlichen Sondierungen in Wien und Berlin Anfang 1917 weitreichende Zusagen für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Belgiens erreichen. Aber es blieb bei den Absichtserklärungen.
Erfolglose Initiativen
Am 29. Juni 1917 hatte Nuntius Pacelli eine wichtige Unterredung mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. in Bad Kreuznach, wo im Ersten Weltkrieg die Zentrale der obersten militärischen Führung des Deutschen Kaiserreichs untergebracht war. Deutschland hatte signalisiert, es sei zu Rüstungsbeschränkungen und zur Anerkennung internationaler Schiedsgerichte bereit, wenn darüber eine allgemeine Übereinkunft erzielt werden könne. Sogar über wechselseitige Gebietsabtretungen zwischen Deutschland und Frankreich in Elsass-Lothringen wurde gesprochen.
Am darauffolgenden Tag traf Pacelli in München mit Kaiser Karl von Österreich zusammen. Seit Mitte 1917 hatte der Vatikan versucht, konkrete Bedingungen der Donaumonarchie für eine Friedensvermittlung zu erhalten. Im Vatikan hofften manche Kreise weiterhin, dass Österreich für einen Frieden über Gebietsabtretungen an Italien gesprächsbereit sein werde. In einem am 12. Juni übergebenen Schreiben empfahl Kardinal-Staatssekretär Gasparri dem österreichischen Kaiser erneut, er solle Zugeständnisse an Italien machen und dem deutschen Kaiser die Wiederherstellung Belgiens vorschlagen.
Wien hielt das Schreiben vor dem deutschen Kriegspartner geheim. Von den vatikanischen Konzessionsempfehlungen an Österreich-Ungarn wusste das Deutsche Reich nichts, als Pacelli am 24. Juli 1917 neuerlich Berlin besuchte und ein Angebot zur Vermittlung unterbreitete: Sollte das Deutsche Reich die Bedingungen annehmen, würde der Papst das Friedensangebot unter strengster Diskretion gegenüber Deutschland allen kriegsführenden Mächten zuleiten.
Doch auch dieser Plan scheiterte, nicht zuletzt weil in Berlin zuvor Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg auf Druck der Armeeführung entlassen worden war und von ihm gemachte Zusagen über Belgien und Elsass-Lothringen erheblich eingeschränkt wurden.
Macht des Rechts statt Gewalt der Waffen
Im Vatikan wurde man jetzt nervös, wollte aber auch die Gunst der Stunde nutzen: die allgemeine Kriegsmüdigkeit nach den verlustreichen Materialschlachten mit Panzern, Bombern und Giftgas, die Diskussionen über einen Friedensschluss in England, wo man ein Abkommen der Mittelmächte mit der neuen russischen Führung, den Bolschewiken, fürchtete.
Jedenfalls preschte der Papst jetzt vor und publizierte zum 1. August 1917, drei Jahre nach Kriegsbeginn, eine sechs Punkte umfassende Friedensnote ("Dès le début") mit sehr konkreten Details: "An der Stelle der materiellen Gewalt der Waffen tritt die moralische Macht des Rechts; infolgedessen soll eine gerechte Verständigung aller über die gleichzeitige und gegenseitige Abrüstung nach zu vereinbarenden Regeln und Garantien erfolgen (...); dann käme an Stelle der Armeen die Einrichtung eines Schiedsgerichts (...) nach zu vereinbarenden Normen und festzulegenden Sicherungen gegenüber dem Staat, der sich weigern sollte, die internationalen Fragen dem Schiedsgericht zu unterwerfen oder seine Entscheidungen anzunehmen (...) Was die gutzumachenden Kriegsschäden und die Kriegskosten angeht, sehen wir keinen anderen Weg, die Frage zu lösen, als die Aufstellung des allgemeinen Grundsatzes eines vollen und wechselseitigen Verzichts (...)."
Weitere Punkte des päpstlichen Friedensplans: Allgemeine Anerkennung der Freiheit der Meere und gegenseitige Rückgabe der besetzten Gebiete. Ein für alle Seiten annehmbares Maßnahmenpaket, möchte man meinen, doch die Antworten der Großmächte gingen über höflichen Beifall zur edlen Absicht nicht hinaus.
Heute zugängliche Geheimdokumente belegen, dass die Kriegsmächte durch Rücksichtnahme auf ihre jeweiligen Bündnispartner in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt waren. Ende August 1917 erklärte etwa Kaiser Karl gegenüber dem Nuntius in Wien, Teodoro Valfre de Bonzo, dass er auf die Anregungen des Papstes bezüglich des Trentino unmöglich eingehen könne. Laut historischen Akten scheiterte die päpstliche Friedensvermittlung, weil weder die protestantische Führung in Berlin noch die alliierten Regierungen einen vom Papst vermittelten Frieden wollten. Vor seinem Kriegeintritt hatte sich zum Beispiel Italien von der Entente den Ausschluss jeder Vertretung des Heiligen Stuhles bei künftigen Friedensverhandlungen vertraglich absichern lassen, aus Furcht vor einer Wiederherstellung des Kirchenstaates.
Hilfloser Papst
Auf dem Stuhl Petri verfiel Benedikt XV. nach dem erneuten Scheitern seiner Friedensinitiative in tiefe Resignation. Erschütternd jene Friedensprozession von 5.000 römischen Kindern, die zum Vatikan zogen und denen der Papst seine ganze hilflose Verzweiflung anvertraute: "Die meisten von Euch können sich zum Glück noch keinen richtigen Begriff machen von dem schrecklichen Schauspiel ... Wir hingegen als der Vater aller Gläubigen, Wir fühlen und verspüren in Unserem Herzen gar deutlich und nachhaltig die Schmerzen und Qualen all Unserer Kinder ..."
Dem Vatikan blieben nur noch Samariterdienste zur Milderung der durch den Krieg verursachten Leiden: Er erreichte die Unterbringung von mehr als 10.000 kranken und verwundeten Kriegsgefangenen in neutralen Ländern, den Austausch kriegsgefangener kinderreicher Familienväter und die Rückkehrerlaubnis für lungenkranke Italiener aus österreichisch-ungarischen Internierungslagern. Außerdem gab es vatikanische Unterstützung durch Lieferungen von Lebensmitteln, medizinischem und Verbandmaterial sowie einen Suchdienst für Vermisste und Vertriebene.
Friedensenzyklika
Als das Gemetzel, das zehn Millionen Tote gefordert hatte, endlich vorbei war, tadelte Benedikt XV. den Versailler Vertrag als "rachsüchtiges Diktat" und warb für einen Frieden, der nicht auf die Vernichtung der Besiegten, sondern auf Versöhnung ausgerichtet sei.
Auch wenn Benedikt XV. zu seiner Zeit auf wenig Verständnis stieß und seine Friedensappelle ungehört verhallten, leitete er mit seiner kompromisslosen Ablehnung des Krieges die "Tradition des Verantwortungspazifismus in der katholischen Kirche" ein, wie dies der Theologe Wolfgang Palaver beschrieben hat. In seiner Friedensenzyklika "Pacem Dei munus" vom 23. Mai 1920 verwies Benedikt XV. besonders auf die biblische Aufforderung zur Feindesliebe. Das christliche Liebesgebot bezog er dabei ausdrücklich auch auf den Bereich der Politik: "Das evangelische Gebot der Liebe unter den einzelnen Wesen ist keineswegs verschieden von jenem, das unter Staaten und Völkern zu gelten hat."
Quelle: Kathpress