Bringt Monotheismus wirklich Gewalt?
Die These des deutschen Religionswissenschafters Jan Assmann, dass mit dem Monotheismus und dessen Absolutheitsanspruch eine neue Form der Gewalt in die Welt gekommen sei, wird seit Jahren kontrovers diskutiert - zuletzt auch in Wien. Beim dies facultatis am vergangenen Dienstag und beim interdisziplinären Kolloquium "Monotheismus unter Gewaltverdacht" am Mittwoch an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien stand Assmanns These einer konfliktstiftenden "mosaischen Unterscheidung" zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie im Mittelpunkt - und wurde durch katholische Theologen kritisch hinterfragt.
So habe das kirchliche Lehramt beim II. Vatikanischen Konzil "Abschied von der Entweder-Oder-Logik" genommen, die dieser "mosaischen Unterscheidung" zugrunde lag, wies der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück beim Kolloquium hin. Wurden davor in Kirchen- und Theologiegeschichte "falsche" Glaubensüberzeugungen noch mit einem bannenden "Anathema sit" verurteilt, so sei man beim Konzil zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit Anders- und Nichtgläubigen gelangt. Tück erinnerte an die Aussage im Dekret "Nostra Aetate", wonach die Kirche nichts von dem verwirft, was in den nichtchristlichen Religionen "wahr und heilig" ist. Zugleich werde "bei aller dialogischer Öffnung am Wahrheitsanspruch der christlichen Religion festgehalten".
Das Konzil verteidigte - "nach einem langwierigen Lernprozess" - das Recht auf Religionsfreiheit nicht nur für Mitglieder der eigenen Kirche, sondern auch für Anders- und Nichtgläubige, erinnerte Tück. Würden andere Religionen dem folgen, "wäre der friedlichen Koexistenz der Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen in der globalen Welt gedient, ohne dass diese ihre jeweiligen Wahrheitsansprüche zurücknehmen müssten".
Dass zugestandene Gewissensfreiheit und Wahrheitsanspruch zusammengehen, begründete der Dogmatiker folgendermaßen: "Wie in der rechtlichen Sphäre das Prinzip der Religionsfreiheit gilt, so gilt in der moralisch-religiösen Sphäre die Pflicht, nach der Wahrheit zu suchen." Es gelte für die Wahrheit des christlichen Glaubens "werbend Zeugnis abzulegen", ohne die Person des Anderen, dessen Religions- und Gewissensfreiheit uneingeschränkt zu achten sei, vereinnahmt werde. Das viele Religionen miteinbeziehende Weltgebetstreffen von Assisi ist laut Tück dafür ein wegweisendes Modell.
Assmann plädiert für "doppelte Religion"
Jan Assmann, Festvortragender beim dies facultatis, modifizierte seine "Monotheismus bringt Gewalt"-These zuletzt durch die Idee einer "doppelten Religion" - nämlich einer universalen vernünftigen Menschheitsreligion einerseits und den vielen partikularen tatsächlichen Religionen andererseits. "Jeder soll eine bestimmte Religion praktizieren, als ob sie die wahre wäre, in voller Anerkennung der Möglichkeit, dass die Wahrheit bei einer anderen liegt oder vielmehr: dass die Wahrheit verborgen ist und alle Religionen sie auf ihre Weise anstreben", so Assmanns Vorschlag zur Vermeidung bzw. Befriedung potenzieller Religionskonflikte. Diese Form des Sowohl-als-Auch, sowohl Treue zum eigenen als auch Respekt zum anderen, sei eine "vernünftige Lösung", so der international renommierte Forscher.
Jan-Heiner Tücks kritische Rückfrage dazu: Wie kann ein Glaubender, der Gott als einen aus dem Verborgenen Herausgetretenen und sich selbst Offenbarenden betrachtet, "sowohl seiner Überzeugung treu bleiben als auch anerkennen, dass die Wahrheit möglicherweise doch noch verborgen ist?" Laufe das nicht auf eine "gespaltene Wahrheit" hinaus?
Am Kolloquium nahmen u.a. auch der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt, der Professor für Biblische Theologie, Michael Theobald, und der Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger teil. Angenendt legte die mit dem Monotheismus verbundene "achsenzeitliche Wende" hin zur Herausbildung des ethisch geforderten "inneren Menschen" dar; Theobald zeigte mit der Rezeptionsgeschichte des Exodus-Verses "Über die Götter sollst du nicht schlecht reden" (Ex 22,27) frühe Toleranzideen auf; Schwienhorst-Schönberger antwortete auf die von Assmann vertretene Verdrängung der "kosmotheistischen Seite" von "Moses, dem Ägypter" durch einen exklusiven Monotheismus von "Moses, dem Hebräer" mit einem Verweis auf die christliche, ja bereits biblische Mystik: In ihr seien beide Seiten integrativ verbunden worden.