"Ein weiteres Konzil wird unumgänglich sein"
Er betrachtet Kardinal Franz König als eine der "bedeutendsten Gestalten der Kirche des 20. Jahrhunderts", sieht die Notwendigkeit eines Dritten Vatikanischen Konzils und erklärt die vatikanische Sorge um die Piusbrüder damit, dass "von rechts" stets "Spaltungen" drohten, nie jedoch von links: so der bekannte emeritierte Regensburger Dogmatiker Wolfgang Beinert. Auf Einladung der Wiener "Theologischen Kurse" war er jüngst in Wien, um über den Dialog mit den Piusbrüdern und das Konzil zu sprechen. Am Rande stand er "Kathpress" zu einem ausführlichen Interview zur Verfügung. Der "Info-Dienst" dokumentiert dieses Interview im Folgenden im Wortlaut:
Kathpress: Herr Prof. Beinert, das laufende "Jahr des Glaubens" steht ganz im Zeichen der Erinnerung an das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65). Stets wird die bleibende Relevanz des Konzils betont - aber was kann das Konzil den Menschen von heute tatsächlich noch sagen?
Beinert: Es könnte den Menschen heute viel sagen - wenn sie nur die Texte lesen würden. Wenn man etwa die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" liest, dann ist dort die Rede von Erneuerung, davon, dass "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute (...) auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi" sein müssen. Von diesem Anspruch der Solidarität und Compassion sind wir heute noch immer weit entfernt. Oder nehmen Sie Kapitel 91, wo von der Vorläufigkeit alles Gesagten die Rede ist und die zukünftige Entwicklung positiv bewertet wird.
Aber was sehen wir heute? Seit Paul VI. bewegt sich die Kirche rückwärts. Sie hat eine Wagenburgmentalität ausgeprägt und geht nicht vorwärts. Das "aggiornamento" des Konzils ist weitgehend nicht umgesetzt worden, statt dessen wird das alte Gespenst des Modernismus wieder beschworen und es geht die Angst um, man könnte sich zu sehr auf die Zeit einlassen. Dabei ist das eigentlich eine neue Angst! Am Anfang der Kirchengeschichte ist die Kirche mutig auf die Welt zugegangen. Etwa bei der Amalgamierung von biblischem Judentum und griechischem Hellenismus. Das waren gewaltige Umwälzungen, die aber von der Kirche wunderbar gemeistert wurden. Aber seit der Aufklärung, kann man sagen, geht nichts mehr.
Kathpress: Aus österreichischer Sicht wird immer wieder auf die Rolle von Kardinal Franz König beim Konzil geblickt. Wie schätzen Sie die Rolle Königs ein?
Beinert: Ich kannte König gut. Er war ein konservativer Mann in dem Sinn, dass er bewahren wollte, was das Wesen des Glaubens ist. Aber auf der anderen Seite war er ganz aufgeschlossen und damit auf Seiten des "aggiornamento", wenn es darum ging, diese Botschaft ins Heute zu übersetzen. Und er war ohne Angst und tat sehr unbefangen, was er für die Kirche für richtig hielt. Meines Erachtens kann man Kardinal König daher ohne Zweifel als eine der bedeutendsten Gestalten der Kirche des 20. Jahrhunderts bezeichnen.
Meines Erachtens kann man Kardinal König daher ohne Zweifel als eine der bedeutendsten Gestalten der Kirche des 20. Jahrhunderts bezeichnen.
Kathpress: 2009 hat der Vatikan den Dialog mit den Piusbrüdern aufgenommen. Nach fast vier Jahren scheint immer noch kein Ende in Sicht zu sein. Warum ist das so?
Beinert: In der Tat müsste man meinen, dass mittlerweile eine Lösung greifbar sein müsste. Ich hatte die Hoffnung vor allem im Zuge des Wechsels an der Spitze der Glaubenskongregation, als Erzbischof Müller dort das Ruder übernahm. Müller hatte nämlich schon vorher immer gesagt, dies könne so nicht weitergehen. Ich war irritiert, als eine der ersten Verlautbarungen nach der Amtsübernahme durch Müller ein zeitlich faktisch nicht eingegrenztes Moratorium war.
Kathpress: Ist eigentlich noch die Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn man bedenkt, welchen dialogischen Aufwand man seitens des Vatikans betreibt, um eine Einigung mit einer vergleichsweise kleinen Gruppe wie den Piusbrüdern zustande zu bringen?
Beinert: Zum einen muss festgehalten werden, dass das Amt des Papstes ein Amt der Einheit der Kirche ist. Es ist seine Aufgabe, die Einheit im Blick zu haben und herzustellen. Zu Fragen wäre hier, um welchen Preis dies - theologisch - geschieht. Zum anderen muss man sagen, dass Quantität keine kirchliche Kategorie ist. So darf man kirchlich nicht denken. Es kommt auf jeden Einzelnen an. Das macht den "guten Hirten" schließlich aus. Wie gesagt: Fragen muss man nach der Qualität dessen, was und worüber verhandelt wird. Da hat sich gezeigt, dass derzeit die Aussagen der Piusbrüder nicht geeignet sind, um eine tragfähige Brücke zu bauen.
Kathpress: Dennoch bleibt ein schaler Beigeschmack, wenn man bedenkt, welcher Aufwand hier betrieben wird, während in anderen Fragen wie etwa so konkreten wie dem Diakonat der Frau oder dem Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten nicht viel weitergeht. Sind die Piusbrüder "mehr wert" als die engagierten Laien?
Beinert: Nein, natürlich nicht. Aber es gibt eine kirchliche Erfahrung, die für diese Schwerpunktsetzung prägend war: Es sind immer rechte Gruppen wie die Piusbrüder, von denen Spaltungen ausgehen. Ich behaupte sogar, dass alle Häresien in der Kirche von rechts kamen, keine einzige von links. Der linke katholische Flügel war schließlich auch nie gemeinschaftsbildend oder hatte gar kirchenbildende Kraft. So richtet sich die Sorge des Vatikans, der sich schließlich um die Einheit bemühen muss, vor allem auf solche eher "rechten" Gruppen. Dazu noch eine Anmerkung zur jeweiligen Sprachform: In linken Gruppierungen debattiert man in der Regel so, wie es unter gebildeten Menschen üblich ist; auf der rechten Seite sind immer Anwürfe und Beleidigungen da. Da wird mit Himmel und Teufel gearbeitet.
Es sind immer rechte Gruppen wie die Piusbrüder, von denen Spaltungen ausgehen. Ich behaupte sogar, dass alle Häresien in der Kirche von rechts kamen, keine einzige von links.
Kathpress: Ein zentraler Vorwurf der Piusbrüder betrifft das Konzil und seine Geltung. So unterscheiden die Piusbrüder zwischen einem pastoralen und dogmatischen Konzil mit der Intention, die Verbindlichkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils in Frage zu stellen...
Beinert: Diese Unterscheidung ist unsinnig. Die Kirche ist kein Gelehrtenverein, der nur auf dogmatische Wahrheit abhebt, sondern sie hat eine pastorale Aufgabe für die Menschen. Beides darf man nicht voneinander trennen. Ihre Dogmatik ist sozusagen für die Menschen, sie muss ihre Wahrheit pastoral erweisen. Eine Unterscheidung qualitativ zwischen pastoral und dogmatisch ist daher nicht zulässig. Das, was das Konzil gesagt hat, ist verbindlich.
Kathpress: Positiv in Beschlag nehmen vor allem kirchliche Reforminitiativen das Konzil. Worauf stützen sich diese dabei besonders?
Beinert: Im Fokus ist dabei vor allem das Kirchenbild, denn hier hat das Konzil ja einen tatsächlichen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Das dominierende Bild bis dahin war die streng hierarchische, von Zentralismus und Autoritarismus geprägte Kirche. Das Konzil dagegen griff auf das Kirchenbild des ersten Jahrtausends zurück - jenes der Communio, der Gemeinschaft von grundsätzlich Gleichen durch Taufe und Firmung. Da verbieten sich Zentralismus und Autoritarismus, denn jeder Gläubige - Stichwort "Sensus fidelium" - muss gleichermaßen ernst genommen werden. Das Kirchenvolk wurde durch das Konzil sozusagen wieder zu einer theologischen Größe erhoben.
Kathpress: Von der Kirchenleitung werden die Reformgruppen wie etwa auch die österreichische "Pfarrer-Initiative" kritisch und mit Sorge verfolgt. Wie wird sich die Reformdebatte Ihres Erachtens nach weiterentwickeln?
Beinert: Es wird weitergehen. Denn die Not der Kirche ist groß, und durch restriktive Eingriffe wird diese Not nicht gelindert, sondern - im Gegenteil - nur verschärft. Die Frage hinter allen Reformbestrebungen lautet schließlich: Wie kann die Kirche in Europa davor bewahrt werden, zur "Groß-Sekte" zu werden? Wenn wir der Verkündigung des Wortes Gottes höchste Priorität einräumen, müssen wir auch dafür sorgen, dass es genügend personelle Ressourcen gibt, die dieser Aufgabe nachkommen. Wir müssen also das Problem fehlenden Priesternachwuchses lösen - und zwar nicht in 20 oder 30 Jahren!
Die Frage hinter allen Reformbestrebungen lautet schließlich: Wie kann die Kirche in Europa davor bewahrt werden, zur "Groß-Sekte" zu werden?
Dazu ein Beispiel: Es wird ja in diesem Zusammenhang gern das Modell der bewährten verheirateten Männer, der "viri probati", angeführt. Ich habe da eine Angst: Im Moment wüsste ich ein paar solcher bewährten Männer in meinem Umfeld, die durchaus geeignet wären. Ich weiß aber genau so sicher: Ihre Söhne würden das nicht mehr sein und nicht mehr machen. Das Zeitfenster schließt sich. In der nächsten Generation - da kann man die "viri probati" hochloben wie man will - wird es keine mehr geben. Also: Die Zeit drängt.
Kathpress: Wenn Sie abschließend einen Ausblick wagen würden: Braucht es ein Drittes Vatikanisches Konzil?
Beinert: Ja, ich denke ein weiteres Konzil wird unumgänglich sein, um den Reformstau aufzulösen. Dieser hat sich durch oft jahrhundertealte Vorgeschichten und geschichtliche Konstellationen gebildet. Nehmen Sie etwa die Frage des Zölibats. Natürlich könnte der Papst diese Dinge seit dem Ersten Vatikanischen Konzil quasi im Alleingang regeln. Aber das wird keiner tun. Wenn ein Papst gut beraten ist, wird er sich in diesen Fragen stets des Konsenses der Bischöfe bedienen und so auch sichtbar dokumentieren: Das ist die Meinung der gesamten Kirche. Und das ist schließlich auch die Übersetzung des Wortes Konzil.
Quelle: Kathpress-Info-Dienst