Theologische Hintergründe der Verhüllung
Wenn in den nächsten Wochen tausende Objekte und Glaubenssymbole in ganz Österreich mit leuchtenden gelben und violetten Stoffen verhüllt werden, mag sich manch einer nicht nur fragen, was konkret hinter diesem oder jenem Stoff steckt, sondern auch, was der tiefere Sinn der Verhüllung im Christentum ist. Tatsächlich stellt die "Aktion Glaube" nur eine Verheutigung einer jahrhundertealten Tradition der Kreuzes-, Altar- und Bilderverhüllung in der vorösterlichen Fasten- und Bußzeit dar.
Die Verhüllung will theologisch die Demut und Scham vor dem Geheimnis des Kreuzes zum Ausdruck bringen, jenem Marterwerkzeug, das im Christentum zugleich zum Ort des Heiles wird. Auch Askese und banges Warten auf die Auferstehung werden durch die Verhüllung ausgedrückt.
Zugleich symbolisiert die Verhüllung, dass einen unverhüllte Schau Gottes, aber auch eine unverhüllte Schau der Wirklichkeit, des Ganzen, immer ausständig bleibt. "Religiös motivierte Verhüllungspraktiken bewahren davor, das vordergründig Sichtbare schon für alles zu halten, was es zu sehen und zu entdecken gibt", schreibt etwa der Grazer Liturgiewissenschaftler Peter Ebenbauer. Sie bieten "die Chance, durch die vielfältigen Facetten äußeren und inneren Sehens hindurch immer mehr zu entdecken."
Gestufte Nüchternheit
Liturgisch betrachtet herrscht in der Fasten- bzw. österlichen Bußzeit eine "gestufte Nüchternheit", wie es das "Lexikon für Theologie und Kirche" (LThK) auf den Punkt bringt. D.h. etwa auch, dass in Heiligen Messen das Gloria und Halleluja ausfällt, in der Tagzeitenliturgie das "Te Deum".
Die Tradition der Kreuzverhüllung reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Ihre genaue Entstehung ist nicht überliefert. Im Messbuch von 1570 wurde der Brauch offiziell: "Vor der ersten Vesper des Passionssonntages werden die Kreuze und Bilder verhüllt." Mit den Bildern sind alle bildlichen Darstellungen wie Heiligenfiguren und Darstellungen von Kreuzen gemeint. Sie wurden ab dem 5. Fastensonntag mit violetten Tüchern verhüllt. Das Kreuz blieb bis zum Ende der Karfreitagsliturgie, die Bilder jedoch bis zum Beginn der Osternachtsfeier verhüllt.
Während nach dem heutigen römischen Brauch die Kreuze und Bilder nur während der Passionszeit verhüllt werden, wurden sie in früheren Zeiten gleich zu Beginn der Fastenzeit verdeckt. Es wurden auch nicht nur die Kreuze und Bilder den Blicken der Gläubigen entzogen, auch die Reliquiare und die Lichterkronen, ja selbst Evangeliare, deren Deckel mit bildlichen Darstellungen geschmückt waren, wurden bisweilen verhüllt.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) und im Zuge der folgenden Liturgiereform wurde die Verhüllung freigestellt. Das Bischöflichen Zeremoniale von 1996 kennt diesen Brauch überhaupt nicht. Wohl aber werden - wie es im Messbuch steht - nach der Messe vom Letzten Abendmahl die Kreuze aus der Kirche entfernt bzw. verhüllt.
Lebendige Tradition der Fastentücher
Bis ins 11. Jahrhundert zurück reicht die Tradition der Verhüllung des Altarraumes durch "Fastentücher", auch "Hungertücher" genannt. Dieses "Hungertuch" wurde später mit Bildern versehen, zunächst war es nur ein schlichtes Tuch: u.a. waren darauf Motive wie die Passion und die Heilsgeschichte zu sehen. Die Motive dienten auch der Veranschaulichung, um den Gläubigen, die nicht des Lesens mächtig waren, die Heilsgeschichte näher zu bringen. So wurden aus den reich bebilderten Hungertüchern "Armen-Bibeln".
In Österreich hat sich der Brauch der Fastentücher insbesondere in Kärnten und Tirol erhalten. Das älteste und zugleich größte der erhalten gebliebenen Fastentücher in Kärnten - das Fastentuch von Gurk - stammt aus dem Jahr 1458 und enthält 99 szenische Darstellungen auf 80 Quadratmeter Leinentuch. Es wird im Rahmen einer liturgischen Feier am Aschermittwoch (13. Februar) um 18 Uhr im Gurker Dom aufgezogen.
Verhüllung führt in Kern des Glaubens
Traditionell bezeichnet man die Verhüllung von Glaubenssymbolen auch als "Fasten für die Augen". Damit wohnt der Verhüllung ein asketisches Moment inne, wie es das frühe Christentum etwa auch noch in der sogenannten "Arkandisziplin" kannte. Dabei handelt es sich vermutlich um einen auf das 2. Jahrhundert zurückgehende katechetische Praxis, in der den Katechumenen, also den Taufbewerbern, ein gestufter Zugang zu den Geheimnissen des Glaubens geboten wurde.
Somit verweist die Arkandisziplin darauf, dass man bereits in der frühen Kirche das mystagogisch-psychologische Spiel von Verhüllung und Enthüllung, von Geheimhaltung und Offenbarung und dessen Wert für den Glauben kannte. Dabei geht es, wie der Theologe Christoph Jacobs im "LThK" schreibt, nicht um die Entwicklung "elitär-esoterischer Elemente der Pastoral, sondern um die Frage nach dem Selbstverständnis von Theologie" insgesamt.
Anders gesagt: Das Spiel von Verhüllung und Offenbarung stellt nicht nur eine Grundfrage nach der Rolle von Religion in der Öffentlichkeit dar, sondern es führt in den Kern des Glaubens selbst, in den Kern dessen, wie Offenbarung zu verstehen, zu denken - und weiterzugeben ist.
Quelle: Kathpress