20 Jahre "Lichtermeer" für mehr Menschlichkeit
Beim "Lichtermeer" gegen Ausländerfeindlichkeit vor 20 Jahren waren auch die christlichen Kirchen wichtige "Zündler" für mehr Menschlichkeit: Am 23. Jänner 1993 traten bei der größten Demonstration in der Zweiten Republik viele prominente Kirchenvertreter wie Kardinal Franz König, der damalige Caritas-Präsident Helmut Schüller oder der Wiener Weihbischof Florian Kuntner als Redner auf, zudem waren zahlreiche kirchliche Organisationen Mitveranstalter der auch in beinahe allen Landeshauptstädten durchgeführten Großkundgebungen. Der Fokus lag dabei auf dem von einer Viertel Million friedlichen Demonstranten mit Kerzen und Fackeln erleuchtete Heldenplatz. In den "Salzburger Nachrichten" hieß es tags darauf: "Fast ein religiöser Akt."
Schon im Vorfeld des "Lichtermeers" hatten Kirchenvertreter verschiedener Konfessionen keinen Zweifel daran gelassen, dass sie das von der FPÖ - damals noch unter der Führung von Jörg Haider - betriebene Volksbegehren "Österreich zuerst" als Widerspruch zu christlichen Kernbotschaften betrachteten. Egon Kapellari, damals Diözesanbischof von Gurk-Klagenfurt in dem vormals von Haider als Landeshauptmann geführten Kärnten tätig, stellte klar, dass Christen in Sachfragen zwar unterschiedlicher Meinung sein könnten, "die großen moralischen Prinzipien gelten aber für alle in gleicher Weise".
Auch bei der Groß-Demo in Wien und begleitenden Veranstaltungen in ganz Österreich wurde kirchlicherseits Klartext gesprochen: Fremdenfeindlichkeit und christlicher Glaube sind ein Widerspruch in sich. Viele der damaligen Ansprachen klingen auch heute wie Kommentare zum politischen Zeitgeschehen.
Kardinal König gegen "Aufreißen von Gräben"
Nicht das Aufreißen von Gräben, sondern nur das Bauen von Brücken "mit dem Blick in die Zukunft" sei heute hilfreich, betonte Kardinal König, damals bereits Wiener Alterzbischof, bei der Auftaktveranstaltung zum "Lichtermeer" auf dem Stephansplatz, an der auch sein Nachfolger Hans Hermann Groer teilnahm. Vor rund 20.000 Menschen sagte der hoch angesehene König, mit Recht werde heute viel von Umweltzerstörung geredet. Dabei dürfe aber die Gefährdung der seelischen Umwelt durch "Egoismus und Selbstsucht" nicht übersehen werden.
Ängste vor Wohlstandsverlust und andere Sorgen verdienten Verständnis, "aber wir dürfen sie nicht einseitig hochspielen", betonte der Kardinal König: "Schlagworte, die nicht unterscheiden, stiften nur Verwirrung".
Der damalige evangelisch-lutherische Oberkirchenrat Johannes Dantine forderte von Christen ein entschiedenes "Nein zu einer Politik, die mit Ängsten spielt". Der Glaube an Jesus Christus und Fremdenfeindlichkeit würden einander ausschließen, "Nächstenliebe kennt keine Grenzen".
Weitere Redner des an verschiedenen Plätzen Wiens startenden "Lichtermeers" waren der Wiener Weihbischof Florian Kuntner am Rathausplatz, die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreichs (KAÖ), Eva Petrik, und Martin Kargl von der Katholischen Jugend, in den Landeshauptstädten sprachen u.a. die damaligen Bischöfe Reinhold Stecher (Innsbruck) und Maximilian Aichern (Linz).
Kuntners uneingelöste "Europa-Vision"
Viel Beachtung fand die leidenschaftliche Ansprache des damaligen "Iustitia et Pax"-Bischofs Kuntner, die heute freilich wie ein noch unerfüllter Wunsch an die Zukunft klingt: Unter Verweis auf ähnliche Demonstrationen in ganz Europa sah Kuntner "ungeahnte Kräfte der Menschlichkeit" aufbrechen. "Vielleicht erleben wir heute in Europa eine historische Stunde, die vielen sogenannten 'Beobachtern' noch entgangen zu sein scheint: die Stunde, da der schrankenlosen Selbstsucht, dem verhängnisvollen Nationalismus, dem geisttötenden Materialismus und der mitleidlosen Gleichgültigkeit gegenüber dem tragischen Schicksal anderer Menschen und Völker eine machtvolle Gegenkraft erwächst. Das könnte - weit mehr als Freihandelszonen und politische Abkommen - der Keim für jenes 'neue Europa' sein, auf das wir alle hoffen: ein friedlicheres, humaneres, gerechteres und solidarischeres Europa."
In seiner Ansprache richtete Kuntner (er wurde wie KAÖ-Präsidentin Petrik und der damals in der KAÖ für Flüchtlingsfragen zuständige Franz Küberl zwei Tage vor dem "Lichtermeer" von Bundespräsidentin Thomas Klestil empfangen)auch "ein offenes Wort an unsere Mitbürger aus den Reihen der FPÖ und an die Sympathisanten des geplanten Volksbegehrens". Er zweifle nicht daran, dass die meisten von ihnen gute Demokraten seien und er unterstelle auch Jörg Haider "in keiner Weise eine totalitäre oder nazistische Gesinnung". Aber er bitte zu bedenken, "wie kurz der Schritt von einem achtbaren Patriotismus bis zu einem gefährlichen Chauvinismus sein kann", fügte Kuntner hinzu: "Die Älteren unter uns haben es noch im Ohr, was man vor 50 Jahren in unseren Landen zu singen hatte: 'Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt...' Wo dieser nationale Hochmut endete, wissen wir."
Schüller sieht Positiv-Effekt bis heute
Helmut Schüller, als Caritas-Präsident 1993 auch Vertreter der veranstaltenden Plattform "SOS Mitmensch", hatte vor 250.000 Teilnehmern auf dem Heldenplatz das letzte Wort. "Wir haben dieses Meer von Lichtern entzündet, weil wir einen Vormarsch der Dunkelheit in politischen Reden und in Gesetzen, in Versammlungen und an den Wahlurnen feststellen müssen", sagte er. Demokratie jedoch setze Moral und "Bewusstsein um unaufgebbare Werte" voraus. Einer davon sei Solidarität mit allen "Beiseitegeschobenen". Heimat bleibe für niemanden Heimat, "wenn an ihren Staatsgrenzen die Mitmenschlichkeit aufhört", so Schüller.
Im Rückblick auf das "Lichtermeer" bezeichnete der nunmehrige Sprecher der Pfarrer-Initiative eine breitere Aufmerksamkeit und auch eine höhere Sensibilität für das Thema Ausländer als nachhaltigen Ertrag. "Vieles ist weitergegangen, aber ich male mir nicht aus, wo wir heute wären, wenn das 'Lichtermeer' nicht gewesen wäre", sagte Schüller am Wochenende im ORF-Mittags-Journal. Selbstverständlich gebe es nach wie vor viel Ausländerfeindlichkeit, aber damals hätten sehr viele Gruppen verstanden, worum es geht und dass man auf die Menschenrechte aufpassen müsse - "auch wenn es ein zäher Kampf ist".
Zwei Tage nach dem "Lichtermeer" lief das FPÖ-Volksbegehren an. Das Ziel von mehr als einer Million Unterschriften wurde mit etwas über 400.000 klar verfehlt. Die Ausländergesetze wurden wenige Monate nach dem Lichtermeer dennoch verschärft und sind im Asylbereich erst jüngst durch die Besetzung der Votivkirche durch verzweifelte Flüchtlinge - begleitet erneut von polarisierenden FPÖ-Tönen - wieder in Diskussion geraten.
Quelle: Kathpress