
Theologe Winkler: Syrisches Christentum verdient mehr Beachtung
Auf die vielfach zu wenig bekannte Bedeutung Syriens für das Christentum hat der Salzburger Kirchenhistoriker und Theologe Prof. Dietmar Winkler aufmerksam gemacht. Angesichts der aktuellen Lage im Land und der vielen Unsicherheiten sei die Sorge um die Zukunft der religiösen Minderheiten, darunter der Christen, sehr berechtigt, so Winkler in einem aktuellen Beitrag auf dem Portal "feinschwarz.net". Doch die Frage sollte nicht nur lauten, was Syrien ohne Christinnen und Christen wäre, sondern: "Was wäre das Christentum ohne Syrien?" Winkler ist Dekan der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Salzburg und Vorsitzender der Salzburger "Pro Oriente"-Sektion.
Es werde vielfach übersehen, "dass Syrien eine Schlüsselrolle in der Geschichte des Christentums einnimmt. Seine Ursprünge liegen nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Damaskus und Antiochien, von wo aus das Evangelium sowohl nach Osten bis nach Zentralasien, Indien und China als auch nach Westen in die griechisch-römische Welt getragen wurde", so Winkler.
Syrien sei eine Wiege des Christentums und ein zentraler Ausgangspunkt: "Von Antiochien und Damaskus aus verbreitete sich das Christentum einerseits in seiner griechischen Prägung nach Europa und andererseits in seiner syro-aramäischen Tradition nach Asien", erläutert der Kirchenhistoriker. Nachsatz: "Fehlt die Wiege, ist man entwurzelt."
Das syrische Christentum bilde neben der lateinisch-abendländischen und der griechisch-byzantinischen Tradition den dritten großen Zweig der Christenheit, wie Winkler ausführt. Mehrere Kirchen seien dieser Tradition bis heute zuzuordnen: In der westsyrischen Tradition stünden die Syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien und die Malankara-orthodoxe Kirche von Indien, sowie die Maronitisch-, Malankara- und Syrisch-katholische Kirche. In der ostsyrischen Tradition seien dies die Assyrische Kirche des Ostens und die zwei mit Rom unierten katholischen Ostkirchen der Chaldäer und der Syro-Malabaren in Indien.
Winkler: "Obwohl das Evangelium im syrisch-aramäischen Raum seinen Ursprung hat und eine kontinuierliche syro-aramäische christliche Tradition besteht, wird diese oft übersehen." Theologisch verkenne man so die frühe Pluralität des Christentums und betrachte seinen Weg einseitig in Richtung Westen.
Antiochien, Damaskus, Edessa
Die Provinz Syrien zur Zeit des frühen Christentums deckt sich nur grob mit dem heutigen Staatsgebiet von Syrien, dessen Grenzen erst nach den Weltkriegen festgelegt wurden. Antiochien (das heutige Antakya in der Türkei) war die Hauptstadt der römischen Provinz Syria und eine der bedeutendsten antiken Städte, geprägt von kultureller und sprachlicher Vielfalt. Antiochien habe eine der ältesten christlichen Gemeinden beherbergt, so Winkler: "Die besondere geopolitische Lage Antiochiens als Knotenpunkt bedeutender Handels-, Verkehrs- und Heeresstraßen machte die Stadt auch zu einem zentralen Ausgangspunkt der christlichen Mission."
Dazu kam, mit Abstrichen, die heutige syrische Hauptstadt Damaskus, wo bereits vor Paulus eine Gemeinde von Jesu Anhängern bestand, die vermutlich kurz nach der Urgemeinde in Jerusalem entstanden war.
Ein weiteres bedeutendes Zentrum des syrischen Christentums war Edessa (heute Urfa in der Türkei), das im spätantiken nordsyrischen bzw. obermesopotamischen Raum lag. Die christliche Gemeinde in Edessa entstand vermutlich zeitgleich mit jener in Antiochien. Von hier aus verbreitete sich das syrische Christentum entlang wichtiger Handelsrouten durch Soldaten, Kaufleute und Reisende in das Zweistromland, nach Persien und Indien. In späteren Jahrhunderten fand es sogar seinen Weg entlang der Seidenstraßen bis zum Gelben Meer.
Die Bedeutung Syriens für das Christentum zeige sich demnach auf vielen Ebenen, so Prof. Winkler weiter: "In lebendigen, aber gefährdeten kirchlichen Traditionen, im patristischen und spirituellen Erbe, in der monastischen Tradition und in der theologischen Reflexion."
Reiches syrisches Erbe
Der Ostkirchenexperte nennt einige Beispiele: So entstand im syrischen Raum die Didache, eine um das Jahr 100 verfasste Gemeindeordnung und damit die älteste erhaltene Kirchenordnung. Tatian der Syrer (ca. 170) habe mit dem "Diatesseron" die erste Evangelienharmonie verfasst, in der er die vier kanonischen Evangelien mit apokryphem Material verband. Auch andere apokryphe Schriften wie die Johannesakten, Jakobusschriften, Thomasakten und das Thomasevangelium zeugten von der frühen Vielfalt des syrischen Christentums.
In Syrien sei zudem mit der Hauskirche in Dura Europas die älteste sicher identifizierbare christliche Hauskirche der vorkonstantinischen Zeit erhalten (ca. 233/34). Der beeindruckende Klosterkomplex von Qal'at Sim'an, der sich um die Säulenreste des heiligen Simeon des Säulenstehers (4. Jahrhundert) gruppiert, zeuge weiters von der eigenständigen Entwicklung syrischer asketischer und monastischer Traditionen und belege, dass Syrien ebenso wie Ägypten eine zentrale Rolle in der Entstehung des frühen Mönchtums spielte.
Im syrischen Raum entstand nicht zuletzt ein theologisches Modell, das sich im Gegensatz zum europäischen Christentum nicht auf die analytische Philosophie der Griechen stützte. Es lehnte die feste Terminologie ab, da Versuche, das Glaubensgeheimnis in definierte Begriffe zu fassen, als unzulänglich empfunden wurden. Die Stärke der syrisch-aramäischen Theologie liege vielmehr in ihrer Poetik, Paradoxie und Metaphorik, so Winkler. Diese Ausrichtung habe die Liturgien der Kirchen syrischer Tradition geprägt, "die bis heute diesen reichen Schatz bewahren".
Quelle: Kathpress