80. Todestag von Bonhoeffer: Moderner Märtyrer mit Widersprüchen
Am 9. April jährt sich zum 80. Mal die Hinrichtung des evangelischen Theologen und NS-Gegners Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) im Konzentrationslager Flossenbürg. Bonhoeffer gilt über konfessionelle Grenzen hinweg als eine der eindrucksvollsten Gestalten des christlichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Der evangelische Theologe Ulrich Körtner und der Wiener Ethiker Gunter Prüller-Jagenteufel betonten im Kathpress-Gespräch seine bleibende ethische Relevanz - gerade mit Blick auf Verantwortung, Gewissen und das Verhältnis von Glaube und politischem Handeln. Bonhoeffer sei dabei aber alles andere als glatt und widerspruchsfrei, so der Tenor.
Bonhoeffers Leben sei "keineswegs aus einem Guss gewesen", sagte Körtner. "Er war ein vielschichtiger Mensch mit Widersprüchen." Tendenzen, sein Leben "im Ideal des Heiligen" zu deuten, hält der reformierte Theologe daher für problematisch. Bonhoeffer selbst habe zudem ebenfalls keine abschließende Antwort auf die Frage nach seiner Identität gegeben - das Gedicht "Wer bin ich?" zeuge davon. In ihm bekenne er trotz aller Zweifel: "Wer ich auch bin, dein bin ich, oh Gott."
Bonhoeffer wurde wenige Wochen vor Kriegsende im Alter von 39 Jahren auf Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtet, nachdem seine Verbindung mit dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 aufgedeckt worden war. Auch sein Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleier gehörten dem Widerstand an und wurden im April 1945 ermordet.
Bonhoeffer habe sich "aus einem motivierten politischen Impuls heraus" gegen die Diktatur gestellt und "Schuld auf sich geladen", weil er den Nationalsozialismus beenden wollte, so Körtner. Dabei sei sein Handeln theologisch tief begründet gewesen: "Für ihn war das eine schuldhafte Tat und auch unter der Kategorie der Sünde zu sehen."
Gewalt als äußerstes Mittel
Bonhoeffers Ethik sei dabei weder normativ rigide noch beliebig situationsbezogen, erklärte der evangelische Ethiker Körtner: "Er sieht in einem Regelrigorismus die größere Gefahr. Aber er ist kein Normenethiker in dem Sinn, sondern ein Verantwortungsethiker." Bonhoeffer sei es um ein "ernsthaftes Abwägen mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen" gegangen. Dazu habe es auch gehört "die Wissenschaften heranzuziehen, auch Erfahrungen natürlich heranzuziehen - was ist jetzt möglich, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen". Dieses Handeln geschehe im Wissen darum, dass alles "vor Christus meinem Richter" zu verantworten sei. Bonhoeffer sei damit "nicht relativistisch", sondern verantworte seine Entscheidungen "bis zur letzten Konsequenz".
Körtner, der mehrere Publikationen zu Bonhoeffer verfasst hat, erklärte Bonhoeffers Bereitschaft zum aktiven Widerstand auch mit dessen Blick auf die damalige Gegenwart: "Wenn ich sehe, dass da ein Mörder und Gewalttäter den Staat gekapert hat, dann müssen wir ihn stoppen. Wenn es keine friedlichen Mittel gibt, dann ist Gewalt das äußerste Mittel."
Diese Haltung - die sich schlussendlich auch in einem versuchten Attentat gegen Hitler äußerte - gründe nicht in heroischem Pathos: "Die letzte Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehen kann (...), sondern wie eine kommende Generation weiterleben kann", unterstrich auch Prüller-Jagenteufel. Bonhoeffer sei zur radikalen Konsequenz bereit gewesen - nicht aus Ideologie, sondern aus Verantwortungsbewusstsein und Pflicht gegenüber der Zukunft.
Entweder Nationalsozialist oder Christ
Bonhoeffer habe schon Mitte der 1930er-Jahre geschrieben, "dass man vor der Entscheidung steht, entweder Nationalsozialist zu sein oder Christ. Man kann nicht beides zugleich sein", so Prüller-Jagenteufel. Hintergrund sei auch Bonhoeffers Erkenntnis und Wissen darum gewesen, "dass der Nationalsozialismus Menschen erniedrigt, ihnen die Menschenwürde abspricht und sie dann in letzter Konsequenz auch umbringt."
Bonhoeffer sei bewusst gewesen, dass er mit dem geplanten Attentat gegen das Gebot "Du sollst nicht töten" verstoße, doch: "Er relativiert nicht die Gebote Gottes, weil er damit rechnet, dass ich das alles vor Christus meinem Richter verantworten muss." Es gehe nicht darum, "sich billig aus der Affäre zu stehlen, sondern bereit zu sein bis zur letzten Konsequenz. Um in seinem Fall das massive Unrecht, das geschieht, zu beenden", so der Wiener Moraltheologie Prüller-Jagenteufel. Bonhoeffer spreche dabei "von einem ernsthaften Abwägen mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen".
Kein Held
Vor einer Überhöhung Bonhoeffers warnten Körtner wie Prüller-Jagenteufel allerdings: "Bonhoeffer wollte nie auf einen Sockel gehoben werden, und jeder Heldenmythos über ihn ist eigentlich falsch, weil er verschleiert, dass er auch ein Mensch war, der Zweifel und Angst hatte - besonders am Anfang seiner Haft", gab Prüller-Jagenteufel zu bedenken. Für den Wiener Theologen Körtner gehört Bonhoeffer zu den "modernen Heiligen des 20. Jahrhunderts" - etwa neben Martin Luther King. Solche Persönlichkeiten seien heute über konfessionelle Grenzen hinweg gefragt und könnten als Vorbilder dienen.
Gerade Bonhoeffers Versuch, Glaube und Leben untrennbar zu verbinden, mache ihn heute so relevant: "Er hat jegliches Schwarz-Weiß-Denken abgelehnt und vielmehr von einem 'Zwielicht' gesprochen, in dem wir Entscheidungen treffen müssen."
Prüller-Jagenteufel würdigte Bonhoeffers bleibende Bedeutung: "Er ist ökumenisch sehr anschlussfähig" und sein Denken "für Katholiken und Protestanten gleichermaßen bedeutsam", da er die Kirche als Verantwortungsgemeinschaft verstehe, die für eine von Leid und Unrecht geprägte Welt da sein müsse. Auch im katholischen Bereich werde Bonhoeffer längst rezipiert, so Prüller-Jagenteufel: "Er ist eine Stimme, die Gewissen, Glaube und Engagement zusammenführt." Das gelte nicht nur für Lateinamerika und die Befreiungstheologie, sondern auch für Papst Franziskus.
Die Neuen-Rechten?
Zur Wirkungsgeschichte Bonhoeffers gehören laut Körtner auch Versuche, ihn zu vereinnahmen. So werde etwa das Zitat "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist" dafür benutzt, die Botschaft des Evangeliums auf die Dimension der Ethik zu reduzieren - "was bei Bonhoeffer keineswegs der Fall war", stellte Körtner klar. Vielmehr habe Bonhoeffer eine radikale Kirchenreform gefordert. Das exklusivistische "nur" in diesem Satz mache ihn jedoch zugleich für evangelikale oder pietistische Auslegungen anschlussfähig.
Kritik übte Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, am Versuch der "Neuen Rechten", Bonhoeffer für sich zu beanspruchen. Bereits im US-Wahlkampf 2016 - Donald Trump versus Hillary Clinton - sei er von Teilen der religiösen Rechten als Vorbild für den Widerstand gegen den liberalen Zeitgeist dargestellt worden. Die Ursache sah Körtner u.a. in der Bonhoeffer-Biografie des US-Autors Eric Metaxas, der darin von einem "Bonhoeffer-Moment" spricht und damit den Aufstand gegen den liberalen Zeitgeist meint. Ein aktueller Kinofilm - "Bonhoeffer: Pastor, Spy, Assassin" - zeichne Bonhoeffer gar als Kämpfer mit Waffe in der Hand.
Bonhoeffer sei klar "kein Widerstandskämpfer gegen die liberale Welt", dies sei "schlicht hanebüchern", meinte Körtner. Obwohl Bonhoeffer aus einer elitären, intellektuellen Familie stammte, sei sein Elitenbewusstsein "von einer verantwortungspolitischen Idee durchzogen gewesen". Das stehe "im krassen Gegensatz zu dem, was die Neuen Rechten daraus machen". Bonhoeffers Widerstand habe sich zudem nie gegen den zeitgenössischen Liberalismus gerichtet, sondern auf eine "mündige Theologie und Welt" vertraut, "in der säkulare Tendenzen bejaht würden".
Quelle: Kathpress